KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Das tote Pferd

Das tote Pferd
|

Datum:

Andere Regierungen wären in einer veritablen Krise. Weil aber alle wichtigen Grünen in Treue fest zum Koalitionspartner CDU stehen, kann deren selbsternannter starker Mann, Innenminister Thomas Strobl, einen Aufreger an den nächsten reihen. Fragt sich nur, wie lange noch.

Im Haus der Abgeordneten, dem Bürotrakt des Landtags, macht ein derber Spruch die Runde. Er soll die Lage des Innenministers nach dem Absprung seines Staatssekretärs Martin Jäger beschreiben, den Thomas Strobl eigens in Berlin abgeworben hatte und der überraschend wieder zurückrotiert: Strobl erinnere an ein totes Pferd vor dem Western-Saloon, das da nur noch liegt, weil niemand es wegräumt. Grüne behaupten, der böse Vergleich stamme von der CDU, Schwarze erzählen sich maßvoll empört, so böse werde bei Grüns geurteilt.

Allerdings gilt bei letzteren bis heute die Tonlage, die Winfried Kretschmann vor zwei Jahren nach dem ersten Gespräch mit der CDU verordnete. "Mit weitem Herzen und hohem Pragmatismus" begegnete er dem möglichen Koalitionspartner damals. Daran hat sich nichts geändert. Seine Nachsicht ist inzwischen tragender Pfeiler der gemeinsamen Regierungsarbeit. Ein einziges Mal hat er seinen Stellvertreter Strobl bisher öffentlich brüskiert, als er in dessen ureigenste Zuständigkeit eingriff, um die Hängepartie bei der Polizeireform in einem Telefonat mit <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik der-langstreckler-4893.html _blank external-link>CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart zu beenden. Und kürzlich entglitten dem Grünen kurz die Gesichtszüge, als der Innenminister mit vielen Worten nichts Konkretes zum Thema Fahrverbot in Innenstädten zu sagen wusste.

Von solchen Einzelfällen abgesehen gibt es aus Kretschmanns Mund überwiegend Lob für Strobl, der in der Bundespartei immerhin Angela Merkels Vize-Vorsitzender ist und jahrelang Sprecher der baden-württembergischen CDU-Bundestagsabgeordneten war. Selbst hinter verschlossenen Türen rühmt der Ministerpräsident den Schwarzen, früher durchaus ein Grünen-Fresser, als Stabilitätsfaktor im Kabinett.

Das hat verschiedene Gründe. So ist schlecht vorstellbar, dass Kretschmann selbst oder sein Chef der <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik der-kretschmann-fluesterer-4542.html _blank external-link>Staatskanzlei Klaus-Peter Murawski Reinhart oder einzelnen RessortministerInnen anhaltend über Bande spielt – Strobls dünne Machtbasis in der Landespolitik würde noch mehr geschwächt werden und die Koalition erst recht in Schieflage geraten. Zudem geht seit einigen Wochen ein Gespenst um, das Gerücht, womöglich könne die sogenannte Deutschland-Koalition (schwarz, rot, gelb) wachgeküsst werden, wenn die Grünen die Schwarzen zu scharf kritisieren. Die Vorstellung ist reichlich absurd. Aber gerade kritische Stimmen in der Grünen-Fraktion und in der Partei können kleingehalten werden vor einer solchen Drohkulisse. 

Erwin Teufel wäre längst ausgerastet

Außerdem ist von Kretschmann schon aus grün-roten Zeiten bekannt, dass er seinem Kabinett lange Leine lässt bis an die Schwelle zur Selbstverleugnung. Das gilt auch, wenn Mist gebaut wird. Erwin Teufel, mit dem der Ministerpräsident so oft verglichen wird, wäre schon längst mit heiligem Zorn dazwischengefahren, hätte sich einer seiner Minister, egal von welcher Partei, ähnlich viele Patzer <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne thomas-strobl-ist-ueberall-4726.html _blank external-link>geleistet wie Thomas Strobl, der Jurist aus Heilbronn. Erst recht nach dem jüngsten. Durch eine Pressemittteilung aus seinem Haus wurde nicht nur das "Konzept sicheres Sigmaringen" publik, das die Kriminalität rund um die dortige Flüchtlingsunterkunft eindämmen soll. Interessierte erfuhren auch, wie "mit Beginn der wärmeren Jahreszeit verdeckte Kräfte des Landeskriminalamts bei den Ermittlungen insbesondere im Prinzenpark tätig sein" würden. Was wiederum, wie sich Strobl-KritikerInnen hämisch vorstellen, dunkle Objekte bestückt mit einer Kamera auf den Plan rufen könnte, die alle im Park ablichten, um zivile Drogenfahnder herauszufiltern.

Die Geschichte sei aufgebauscht worden, die Aufregung der Polizeigewerkschaft zumindest teilweise gespielt gewesen, wird im stetig schrumpfenden Strobl-Lager behauptet. Selbst wenn: Aus den Reaktionen spricht doch erheblicher Zorn. Die gängige Version der Kritik einer traditionell eher CDU-geneigten Polizei: Nicht einmal in Zeiten übervoller Kassen schafft es der Minister, die eigene Klientel im Markenkern Sicherheit zu bedienen. Zudem blamierte er sich, als er wichtige Begriffe durcheinanderwarf. Und der durchsichtige Versuch, die Verantwortung für die "Kommunikationspanne" auf möglichst viele Schultern zu verteilen, erwies sich wie fast immer in solchen Fällen als untauglich. Zumal der grüne Regierungssprecher selbstlos seine Hilfe anbot – ohne Erfolg. Der Regierungschef kommentiert die Vorgänge unwirsch: "Was soll er denn verraten haben?"

Ganz anders der Umgang mit Martin Jäger: Mit "wärmsten Worten" berichtet einer, der dabei war, sei der scheidende Staatssekretär im Kabinett verabschiedet worden. Auch öffentlich und "persönlich" zollte ihm der Ministerpräsident "hohe Anerkennung für die geleistete Arbeit". Wenn aber wahr ist, dass mit dem gebürtigen Ulmer eine derartig wichtige Stütze geht, dann muss das Auswirkungen auf die Arbeit der Koalition haben. Deren Kern, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen Uli Sckerl tapfer, sei aber nicht berührt. Was in Wirklichkeit noch gar nicht abzusehen ist.

Denn zum einen will der Innenminister erst bis Ostern über Jägers Nachfolge entschieden haben. Kommt der Neue abermals nicht aus der Fraktion, ist der nächste Aufruhr programmiert. Und zum anderen wird – gerade unter Grünen – darüber diskutiert, dass die Zwischenbilanz dieser Landesregierung noch nicht wirklich strahlend ist. Die versprochene Nullverschuldung steht zwar, aber in der Klima- und der Bildungspolitik, bei der Integration von Flüchtlingen, dem Umgang mit der Automobilindustrie und so weiter und so fort muss noch intensiv nachgearbeitet werden.

Die Eieruhr tickt

Da stört Unruhe an der Personalfront, zumal die CDU sogar noch einen politischen Staatssekretär besetzen könnte. Ein Amt, das ihr in den Koalitionsverhandlungen 2016 zugesprochen wurde, das aber bisher ungenutzt blieb. Und die Eieruhr tickt. Nach der Sommerpause ist Bergfest der Legislaturperiode, die Kommunal- und Europawahlen am 26. Mai nächsten Jahres werden die Zusammenarbeit in der von Kretschmann so getauften "Komplementärkoalition" kaum erleichtern. 2020 beginnt spätestens im Herbst der Wahlkampf für die nächste Landtagswahl – unter anderem mit der spannenden Frage, ob beide Parteien vorher voll Stolz und Freude ihren Willen zum Weitermachen verkünden werden. Nur zur Erinnerung: Strobl hatte den Grünen schon vor der ersten offiziellen Sondierungsrunde vollmundig den Stuhl für in fünf Jahren vor die Tür gestellt und eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen.

Aus CDU-Sicht hatte der zu früh gegangene Jäger jedenfalls die nächsten Jahre maßgeblich mitprägen sollen. Im September 2016 war er der Fraktion nicht nur als zuständig für Polizei, Feuerwehr, Katastrophen- und Verfassungsschutz sowie Flüchtlingspolitik und einiges mehr vorgestellt worden – besonders gute Parteifreunde fragten damals schon gehässig: "Und was macht eigentlich der Minister?" – Jäger galt auch als "brillanter Kopf" mit Blick auf 2021.

Am Dienstag war "the Brain", wie der gebürtige Ulmer im Berliner Politikbetrieb genannt wird, kein großes Thema mehr in der CDU-Fraktion, von einer eher beiläufigen Verabschiedung abgesehen. "Die Reihen fest geschlossen", sagte einer danach, werde jetzt auf Strobls Entscheidungen gewartet. Was dem großen Mosaik nur ein weiteres Steinchen hinzufügt, das zeigt, wie der auf geradezu skurrile Weise beim grünen Koalitionspartner mehr Rückhalt hat als in den eigenen Reihen. Fortsetzung folgt auf jeden Fall. Im Landtag oder vor dem Saloon. Denn da liegt ja noch das tote Pferd.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Fritz Meyer
    am 21.03.2018
    Antworten
    Aus welchem Grund waren die Olivgrünen noch mal zur letzten Wahl angetreten? Ach ja, als politische "Alternative". Vermutlich bräuchten die nur (noch) ein paar Legislaturperioden länger, um sich deutlicher von der CDU absetzen zu können...

    Und die Wähler werden hoffentlich schon bis zur nächsten…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!