Mit dem Mähdrescher fahren AfD-Abgeordnete über Differenzierungen, wenn es darum geht, sich selber in die Opferrolle oder die "Altparteien" in möglichst schlechtes Licht zu rücken. Jüngst, in einer Debatte über Antisemitismus in Baden-Württemberg, behauptet Fraktionschef Bernd Gögel ungeniert, alle einschlägigen Straftaten, die nicht zugeordnet werden könnten, würden "automatisch" zu einer Aktion von rechts. Tatsächlich haben sich die Innenminister von Bund und Ländern bei antisemitischen Straftaten auf eine entsprechende Kategorisierung verständigt, wenn "keine gegenteiligen Tatsachen zur Tätermotivation" ermittelt wurden. Nur nie feinzeichnen, nicht argumentieren oder gar umdenken. Im Gegenteil: Wer sich auf ein längeres Gespräch einlässt, muss feststellen, dass die Haltbarkeit neuerworbenen Wissens bei AfDlern gerne unter der Nachweisgrenze liegt. Wie kürzlich Gisela Erler, die Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft, die mit dem Kehler Abgeordneten Stefan Räpple in der Schweiz unterwegs war (<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik kein-paradies-fuer-populisten-4938.html external-link-new-window>Kontext berichtete).
Dafür ist kein Mangel an leicht widerlegbaren Behauptungen, an Fiktionen, Unterstellungen, haarsträubenden Hypothesen und dreisten Angriffen. Kaum ein Tagesordnungspunkt in den bisher 57 Plenarsitzungen der 16. Legislaturperiode wird ohne Krawall abgehandelt, massive Anwürfe beherrschen die Tonlage. Räpple, gewählt in seinem Wahlkreis mit 15 Prozent der Stimmen, darf nach einer Entscheidung des Offenburger Landgerichts bei den "üblen Rassisten" eingereiht werden, die "derbe Nazi-Propaganda betreiben". Wolfgang Gedeon, der unbelehrbare Singener (15,7 Prozent), muss sich, so das Landgericht Berlin im Januar, einen Holocaust-Leugner nennen lassen, weil dies durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Ein weiterer Problemfall heißt Christina Baum. Die Zahnärztin aus Lauda-Königshofen wurde von ihrem Rechtsaußen-Parteifreund Björn Höcke allen Ernstes zur "Jeanne d'Arc der AfD" gekürt und gepriesen als "idealistisch, patriotisch, mutig (...), Vorbild und Freundin zugleich". Frau Doktor Baum fühlt sich der rund 30 000 Mitglieder zählenden Facebook-Gruppe "Die Patrioten" verbunden. In dem geschlossenen Zirkel wurde ein Bild von Anne Frank mit der widerlichen Unterschrift "Die Ofenfrische" gepostet.
"Das ist das wirklich ekelhafteste und abscheulichste Machwerk antisemitischer Propaganda, das Deutschland seit den Tagen eines Julius Streicher erlebt hat", empörte sich FDP-Fraktionschef Hans Ulrich Rülke im Landtag. Baum sieht sich daraufhin in "Sippenhaft", weil Rülke "29 999 Mitglieder" mitverantwortlich mache für diese eine Äußerung. Im Netz ließen Sympathisanten die Post abgehen. "Liebe Christina, lass Dich von den Polit-Gutmenschen nicht reglementieren!", mahnt ein anderer vermeintlicher "Patriot", der prognostiziert, dass diese radikale Truppe "aufgrund der aktuellen BRD Situation einer der schnellstwachsenden Gruppen werden". Und im richtigen Leben findet sich niemand, in Fraktion oder der baden-württembergischen Parteispitze, der sich distanziert oder auch nur mäßigend auf Baum einwirkt.
Breiter Gedeon-Flügel in der Fraktion
Viel zu viele sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Zum Beispiel Bernd Grimmer, der im Wahlkreis Pforzheim mit mehr als 24 Prozent direkt gewählte promovierte Volkswirt. Seine Unterstützung bekam ein Gedeon-Antrag zum vergangenen Bundesparteitag, in dem die AfD Wert auf die Feststellung legt, "dass nicht israelische Politiker und Medien festlegen können, ob unsere Kritik an Israel legitim ist und geäußert werden darf oder nicht". Gemeinsam mit anderen vom sogenannten Gedeon-Flügel, darunter Baum, Emil Sänze (Wahlkreis Rottweil, 16,4 Prozent), Rainer Podeswa (Heilbronn, 18,2) und Fraktionschef Bernd Gögel (Enz, 19,2) will Grimmer von der Landesregierung per parlamentarischer Anfrage wissen, von wie vielen heutigen Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschisten die Landesregierung Kenntnis habe, "die tatsächlich Repressalien des NS-Regimes ausgesetzt waren".
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Charlotte Rath
am 20.03.2018