Geht es nach Dieter Nuhr, dann ist alles halb so schlimm. Besser gesagt: gar nicht schlimm. "Woran ich schon alles hätte sterben sollen: Aufrüstung, Tschernobyl, Rinderwahnsinn. Hab ich alles überlebt. Und jetzt gerade im Moment sterb ich an Stickoxid", witzelte der Kabarettist jüngst in seiner TV-Show über das Reizgas aus den Auspuffrohren. Die Autoindustrie dürfte es gefreut haben: in Zeiten des Diesel-Skandals schlägt sich auch mal einer aus dem Showbizz auf ihre Seite.
EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hingegen findet die überhöhten Schadstoffwerte überhaupt nicht lustig. "Jährlich wird das Leben einer erstaunlichen Anzahl von EU-Bürgern aufgrund der Luftverschmutzung verkürzt. Wir wissen dies seit Jahrzehnten, und solange gibt es auch die Grenzwerte. Und trotzdem bis heute, bis 2018, sterben jedes Jahr 400 000 Menschen vorzeitig, weil dieses massive, weit verbreitete Problem nicht richtig angegangen wird. Und viele leiden unnötigerweise an Krankheiten, die mit der Luftverschmutzung zu tun haben", begründete Vella, warum er Ende Januar die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zusammen mit Amtskollegen aus acht weiteren EU-Ländern nach Brüssel zitierte. Damit sie Rede und Antwort stehen, welche Maßnahmen ihre Regierungen planten, die EU-Grenzwerte endlich einzuhalten. Allein in Deutschland werden diese für Stickstoffdioxid (NO2) in rund 70 Städten gerissen.
Fast schon kabarettreif verwies die deutsche Ministerin nach Jahren schleppender Luftreinhaltebemühungen auf das gemeinsam mit der Autoindustrie aufgelegte "Sofortprogramm saubere Luft 2017 - 2020", besser bekannt als Diesel-Fonds. Bis zu einer Milliarde Euro stehen den Kommunen zur Verfügung, Maßnahmen für eine bessere Luftqualität umzusetzen. Bis 2020 wolle man in den 20 Städten mit den größten Problemen "in die Nähe der Einhaltung der Vorgaben" kommen, versprach Hendricks dem Kommissar. Die EU-Grenzwerte müssten selbstverständlich überall eingehalten werden, räumte sie Versäumnisse ein – die eigentlich die früheren CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer und Alexander Dobrinth zu verantworten haben.
Kurz vor Fahrverbot hektische Betriebsamkeit in Berlin
Doch das beeindruckte Vella nicht. Falls binnen Wochenfrist nicht brauchbare Maßnahmen vorlägen, werde er Deutschland verklagen, drohte er. Nur Schritte, die "ohne jegliche Verzögerung" zur geforderten Luftreinheit führten, könnten einen Gang Brüssels vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch verhindern.
Weiteres Ungemach droht morgigen Donnerstag (22.2), wenn in Leipzig das Bundesverwaltungsgericht über die Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf wirksamere Luftreinhaltepläne in Düsseldorf und Stuttgart verhandelt. Im Kern geht es um die Frage, ob Bundesländer Fahrverbote in Eigenregie umsetzen können, wenn der Bund nicht handelt, obwohl er zuständig ist. Sollten die Richter im Sinne der Umweltorganisation urteilen, müssten wohl alte Benziner und Diesel unter Euro 6 Norm künftig aus Städten mit mieser Luft draußen bleiben.
Eine Gemengelage, die hektische Betriebsamkeit in Berlin auslöste und in einen Brief von Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU), Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und der Umweltministerin an den EU-Kommissar mündete. Mit konkretisierten Vorschlägen zur Luftreinhaltung, von denen speziell einer für Schlagzeilen sorgte: In Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim sollen Busse und Bahnen zumindest an schadstoffträchtigen Tagen kostenlos nutzbar sein, um für weniger Autoverkehr und damit weniger Schadstoffe zu sorgen.
7 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 14.04.2018NEIN, wirklich? O-Ton Fritz Kuhn: "Lange Zeit wurde das Thema unter den Teppich gekehrt."
SWR»AKTUELL Di. 06.03. um 11.30 Uhr "OB…