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Nazis und Bratwürste

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Dass der Thüringer Neonazi und ehemalige V-Mann Tino Brandt das NSU-Trio finanziell unterstützte, ist schon länger bekannt. Trotzdem wurde er am vergangenen Montag in Stuttgart zum ersten Mal als Zeuge vor einem NSU-Ausschuss gehört.

Thüringen, ein Land voller Erfolgsgeschichten. Hier lässt sich gut leben und arbeiten, bestens sind die Karrierechancen und Freizeitmöglichkeiten, "kurz: eine hervorragende Work-Life-Balance". Verspricht zumindest die Imagekampagne "Das ist Thüringen".

Von einem ganz anderen Thüringen berichtet Tino Brandt am vergangenen Montag im NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags, und auch von der Suche nach einem "dritten Weg". Die DDR sei zwar teilweise ein Verfolgungsstaat gewesen, aber nach der Wende habe er feststellen müssen, "dass die BRD auch nicht das Gelbe vom Ei ist". Seine Alternative war die Radikalisierung: "Wir wollten Thüringen verändern, weg von Multikulti zu einer nationalen Politik." Jedes Wochenende hätten sich in den Neunzigern linke und rechte Gruppen gekloppt und die Polizisten bei ersteren grundsätzlich und bei letzteren niemals weggesehen. Einmal sei er, nur weil er eine Demonstration anmelden wollte, mit Kabelbindern gefesselt für ein ganzes Wochenende in einer Turnhalle festgehalten worden.

Mag stimmen oder nicht. Auf jeden Fall stimmt, dass der 43-jährige Gründer des "Thüringer Heimatschutzes", der schon als Schüler seine Vaterstadt Rudolstadt zur "national befreiten Zone" ausrief, bislang in keinem der inzwischen 14 parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüsse als Zeuge gehört wurde, Stuttgart ist die Premiere. 2016 hatte er im Münchner NSU-Prozess ausgesagt, dass ein Großteil der etwa 200 000 D-Mark, die er in seiner Eigenschaft als V-Mann des Verfassungsschutzes – von 1994 bis zur Enttarnung 2001 – bekommen haben will, in die Finanzierung nicht der rechtsradikalen Szene floss, sondern in die Taschen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

In Stuttgart, vorgeführt mit Fußfesseln übrigens, nennt er Details. Etwa, dass er den Kollegen vom Verfassungsschutz die rassistische Monopoly-Variante "Progromly" verkauft hat. Das Spiel ist in Heimat- und Handarbeit vom NSU-Trio höchstpersönlich produziert worden und geistert noch immer durchs Netz. Anstelle von Straßen und Gebäude können – mit Reichsmark, versteht sich – Konzentrationslager oder ein Gaswerk erworben werden. Für Verdienste gibt es Boni: "Dir ist es gelungen eine Horde roter Zecken mit Hilfe eines MG's abzuwehren. Du erhälst eine Prämie von 2000 RM", heißt es da. Oder: "Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest Du Dir hierbei eine Infektion zugezogen. Arztkosten 1000 RM." Oder: "Gehe zum nächsten KZ um die gefangenen Juden abzugeben und zahle dem Besitzer das doppelte der normalen Miete."

Angesichts von Brandts Aussagen bleibt manchem die Spucke weg

Grünen-Obmann Jürgen Filius empfiehlt, dass sich der Thüringer NSU-Ausschuss, ebenfalls der zweite seiner Art, noch einmal mit dem gesamten Finanzierungskomplex beschäftigt. SPD-Obmann Boris Weirauch, der dem ersten Ausschuss nicht angehörte und den Münchner Prozess offenbar nur am Rande verfolgt, "bleibt die Spucke weg" angesichts der "jüngsten Aussagen des Neonazis". Denn das Landesamt für Verfassungsschutz habe "offenbar nicht nur wissentlich und willentlich den Aufbau des Thüringischen Heimatschutzes finanziell unterstützt, sondern in diesem Zusammenhang mittelbar auch das NSU-Terrortrio im Untergrund 'gesponsert'".

Tatsächlich ist der Aufklärungsbedarf noch immer immens. Allerdings nicht in Baden-Württemberg, denn Brandt hatte zwar Kontakte in die hiesige Szene, aber die These einer Verbindung zum Mord an Michèle Kiesewetter im April 2007 ließ sich nicht erhärten. Als Strohmann hatte der Hardcore-Nazi, zeitweise Landesvorsitzender der NPD, ein Haus im Großraum Heilbronn gekauft, das als Unterschlupf nach der Tat hätte dienen können. Brandt will aber nicht einmal Schlüssel besessen haben, und die Indizienkette ist schwach. "Da war niemand", wird der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler in seinem Tagesresümee zusammenfassen.

Aber wenn es zutrifft, dass sich die Parlamentarier ernsthaft über ihre Arbeit und ihre Erkenntnisse austauschen, müssten viele Fragen nach Erfurt weitergereicht werden. Zum Beispiel, was aus den menschenverachtenden Spielen wurde, oder ob, wie Weirauch moniert, beim Thüringer Verfassungsschutz "das Prinzip Quellenschutz durch Täterschutz galt". Trotz 35 Ermittlungsverfahren in seiner Zeit als Führungsfigur im Thüringer Heimatschutz wurde Brandt niemals wegen rechtsradikaler Taten verurteilt. Derzeit sitzt er in der JVA Hohenleuben, allerdings wegen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen.

Löchriges Gedächtnis: Thüringens Ex-Innenminister Dewes

Nach den im Westen der Republik üblichen Maßstäben für politische Verantwortung hätten gerade diverse Innenminister Grund, ihr Gedächtnis aufzufrischen. Der Saarländer Sozialdemokrat Richard Dewes etwa, der zwischen 1994 und 1999 Innenminister in Thüringen war. Dem ersten Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss blieb der promovierte Theologe vor allem wegen seines löchrigen Gedächtnisses in Erinnerung. Und er bestätigte 2012 indirekt Brandts jetzige Aussage in Stuttgart mit seinem Loblied auf die eigene "Politik der harten Hand": In seiner Zeit als Minister habe es keine Aufmärsche von tausend Neonazis mit Fackeln, Trommeln und Hakenkreuzsymbolen gegeben. Von einem "Lehrstück der Verdrängung" schrieb der "Spiegel" damals. Auf Dewes folgte Christian Köckert, der unter anderem im Zusammenhang mit Thomas Dienel, einem anderen Rudolstädter Neonazi, in die Schlagzeilen geriet und 2002 zurücktreten musste.

Überdeutlich wurde während der Aussage Brandts, den im Stuttgarter Plenarsaal immer drei Polizeibeamte fest im Blick hatten, wie richtig der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow 2015 mit seiner Entscheidung lag, sämtliche V-Leute abzuschalten. Der "Thüringer Heimatschutz", der, wie sein Gründer ausführte, nie Vereinsstrukturen besaß, damit er nicht verboten werden konnte, zählte zwischen 1994 bis 2002 bis zu 200 Mitglieder. Rund 40 davon sollen gleichzeitig als Informanten des Verfassungsschutzes tätig gewesen sein, wöchentliche Treffen inklusive. "Die V-Leute von früher waren vielfach Teil der braunen Mordszene", begründete der Linke Ramelow damals seine Entscheidung. Sie seien "keine Vertrauenspersonen" gewesen, sagte er im "stern"-Interview, "sondern eher Drei-Groschen-Jungs", die Schaden angerichtet hätten. Etwa, weil das damalige NPD-Verbotsverfahren vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht letztlich an den Thüringer V-Leuten gescheitert sei.

Der verdiente Applaus für Ramelows ungewöhnliches Vorgehen blieb weitgehend aus. Auch mit seiner Geschichtsschreibung konnte sich der Ministerpräsident nicht wirklich durchsetzen. Die "Hysterie", meinte er, habe sich keineswegs immer gegen rechts gerichtet, sondern gegen links, "weil man einfach das Thema rechtsextremistische Gewalt und die Trennlinie zu rechtsextremistischem Terror nicht wahrhaben wollte". Dabei seien seit der Wende 187 Menschen in Deutschland aus rassistischen Gründen ermordet worden. Nach dem Auffliegen des NSU-Trios 2011 stellte Ramelows CDU-Vorgängerin Christine Lieberknecht "Das ist Thüringen" übrigens vorübergehend ein. Und die Vorgänger-Imagekampagne war erst recht verbrannt. Denn für die waren Handys, MP3-Spieler und Ferngläser in Karikaturen zu Bratwürsten geworden – kombiniert mit dem unbrauchbar gewordenen Slogan "Aus Thüringen kommt mehr, als man denkt". Heute, lässt Brandt durchblicken, würden er und die Seinen gegebenenfalls die AfD unterstützen. Und die erreichte in Thüringen bei der Bundestagswahl mit knapp 23 Prozent sieben Punkte mehr als die Linke.


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5 Kommentare verfügbar

  • albert klütsch
    am 25.02.2018
    Antworten
    ERSTAUNLICH... ist schon der unwille oder die unfähigkeit der parlamente an der landesweiten aufklärung des thüringischen heimatschutzes und der nsu. in brandenburg hat der ausschuss es nicht einmal für notwendig befunden, den damals 1998/1999 für den staatschutz zuständigen abteilungsleiter zu…
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