KONTEXT:Wochenzeitung
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"Die Grünen gehen nicht nach rechts"

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Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete gilt als linker Grüner und hat bei Jamaika mitverhandelt. Gerhard Schick über die Ergebnisse der GroKo, Lobbyregister und warum er Daimlerchef Zetsche nicht zum Parteitag eingeladen hätte.

Herr Schick, manche SPD-PolitikerInnen sind "fassungslos" über das Resultat der Groko-Sondierungsgespräche. Sind Sie das auch?

Nein. Es fehlen zwar die großen Würfe nach vorn. Aber im Verbraucherschutzbereich hat die SPD einiges rausgeholt. Und bei den Europa-Fragen könnte ein SPD-Finanzminister was draus machen. Europa voranzubringen, mit dem französischen Präsidenten Macron zusammen, halte ich für eines der wichtigen Themen. Enttäuschende Leerstellen gibt es allerdings bei zwei großen Zukunftsthemen: sozialer Zusammenhalt und Klimaschutz. In Sachen Bürgerversicherung ist es nicht gelungen, soziale Sicherung auf eine neue Basis zu stellen, obwohl das ein wichtiges Thema der SPD war. Und beim Thema Klimaschutz herrscht gähnende Leere.

Leere herrscht derzeit auch auf den Ministerstühlen. Schulz weg, Gabriel weg: Ist die SPD inzwischen streitlustiger als die Grünen?

Streit in der Politik ist ja dann etwas Positives, wenn es um inhaltliche Fragen geht. Aber darum geht es  derzeit in der SPD nur zum Teil. Bei diesem Teil, dem Ringen um die Frage der Regierungsverantwortung, habe ich großen Respekt vor den Sozialdemokraten auf beiden Seiten der Debatte. Bei den Personalentscheidungen hingegen hat die SPD-Führung nicht immer eine gute Figur gemacht. Dass dann Konflikte aufkommen, überrascht mich nicht.

Ihr Thema war und ist seit Jahren die Regulierung im Finanzsektor. Erhoffen Sie sich von einem Finanzminister Olaf Scholz mehr als von Wolfgang Schäuble?

Olaf Scholz hat sich als Erster Bürgermeister von Hamburg nicht gerade als großer Kritiker der Banken hervorgetan. Der <link https: www.ndr.de nachrichten hamburg external-link-new-window>Umgang seiner Finanzverwaltung mit der Warburg-Bank stimmt bedenklich. Da musste der Bund Hamburg anweisen, das Geld aus Cum-Ex-Geschäften der Bank zurückzuholen. Und wenn man sich anschaut, wie Scholz gemeinsam mit Bayern eine verfassungsgemäße Grundsteuerreform blockiert hat, gibt's da, nett gesagt, ein paar Fragezeichen.

Aber damit sind Sie schon einverstanden: Google, Facebook und Apple sollen gerechter besteuert werden?

Unbedingt, da ist eine große Lücke. Es gibt ja auch mit anderen europäischen Staaten eine Initiative, die Steuern stärker am Umsatz zu orientieren und nicht an den sehr gestaltbaren Erträgen. Aber das reicht nicht. Wir müssen uns auch mit dem Umgang der Konzerne mit den Daten und Algorithmen beschäftigen. Die sind mir zu mächtig. Hier muss neben der Steuer auch die wettbewerbspolitische Dimension mit rein und der Datenschutz. Fragen wie "Werden bestimmte Bevölkerungsgruppen benachteiligt im Netz?" oder "Was passiert mit unseren Daten?" sind von großer Bedeutung. Es kann sehr viel Diskriminierung in einem Algorithmus stecken, da können wir nicht einfach zugucken.

Ein weiterer Punkt aus dem Koalitionsvertrag, der Ihnen wohl gefällt: Systemrelevante Banken sollen strenger beaufsichtigt werden.

Ja, aber das Finanzmarkt-Kapitel ist mir zu weich. Das ist Prosa, die alle gerne aufschreiben. Aber in den zehn Jahren seit der Lehman-Brothers-Pleite ist leider zu wenig passiert, und wenn da jetzt keine klaren Maßnahmen vereinbart sind, dann wird da auch nichts Überzeugendes passieren.

Steueroasen, Geldwäsche und Steuerhinterziehung soll der Kampf angesagt werden. Klingt auch gut, oder?

Auch das ist wieder nur eine Überschrift. Deutschland ist aktuell <link https: www.financialsecrecyindex.com introduction fsi-2018-results external-link-new-window>beim Schattenfinanzindex wieder auf Platz sieben, weil es hier ein großes Umsetzungsproblem beim Thema Geldwäsche gibt. Hierzulande kann über Immobilienkäufe leicht und viel Geld gewaschen werden. Und das macht Deutschland attraktiv für ausländische Investoren, auch aus dem mafiösen Bereich. Wie man dieses Defizit beheben kann, dazu lese ich im Koalitionsvertrag nichts Substantielles.

Gerhard Schick

Gerhard Schick (45) sitzt seit 2005 im Bundestag, war lange Jahre Mitglied im grünen Parteirat und gilt als einer der wenigen Linken bei den baden-württembergischen Grünen. Als finanzpolitischer Sprecher der Grünen setzte er sich immer wieder dafür ein, Steuerschlupflöcher zu stopfen und den Finanzmarkt zu regulieren.

Der Mannheimer Bundestagsabgeordnete gehörte bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen zum grünen Verhandlungsteam. Dass FDP-Chef Christian Lindner Jamaika platzen ließ, kam für Schick nicht überraschend. "Die Bereitschaft, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen, war bei Christian Lindner nicht da", sagte er beim Kontext-Redaktionsgespräch. (sus)

Welche knackigen Vorschläge haben denn Sie?

Es braucht zum einen eine klare Zuständigkeit. Meine Vorstellung wäre, die Zuständigkeit beim Zoll zu bündeln und dort die Personalausstattung deutlich zu erhöhen. Außerdem müsste die Koordination etwa mit der Finanzaufsichtsbehörde und den Steuerbehörden besser organisiert werden. Letztlich entscheidend ist der politische Wille, wirklich durchzugreifen. Bei den Paradise Papers hatte die Finanzaufsicht festgestellt, dass alles, was die Banken gemacht haben, irgendwie legal war. Obwohl die Banken mitgeholfen haben, Geld zu verstecken. Entweder handelt also die Aufsicht zu lasch, oder wir müssen gesetzlich nachsteuern. Konsequenzen gab es bisher aber keine.

Die Schaffung eines Lobbyregisters ist bei den Groko-Verhandlungen gescheitert. Im Jamaika-Sondierungspapier stand es schon drin. Wie findet das der Anti-Lobbyisten-Kämpfer Schick?

Das ist enttäuschend. Hier zeigt sich deutlich, dass entgegen dem oft gehörten Vorurteil eben nicht alle Parteien gleich sind. Es gibt ganz klar Parteien, die wollen, dass es Transparenz gibt beim Thema Lobbyismus, und dass wir dadurch zu besseren Gesetzen kommen, weil der Einfluss der finanzstarken Gruppen zurückgedrängt wird. Und es gibt mit CDU/CSU und FDP Parteien, die wollen, dass es dunkel bleibt, damit weiter unklare Einflüsse der großen finanziellen Interessen in Deutschland sich Bahn brechen können.

Beim Thema Lobbymacht ist man derzeit schnell bei der Autoindustrie. Gegenüber dieser ist ja der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann erstaunlich konziliant, gilt als Wirtschaftsversteher. Ist das die Zukunft grüner Wirtschaftspolitik oder eher eine regionale Besonderheit?

Politiker sollten mit Menschen, die Verantwortung in Unternehmen haben, auf der unternehmerischen oder Vorstands- wie auf der Arbeitnehmer-Seite, im Dialog sein. Ich halte nichts davon, wenn man sich sozusagen in die linke Ecke stellt und meint, man wisse alles besser. Wenn Unternehmen jedoch offensichtlich Aufsichtsbehörden, die Öffentlichkeit und politische Verantwortliche hinters Licht geführt und nicht die Wahrheit gesagt haben – das ist doch der Kern des Abgas-Betrugsskandals –, dann endet der Dialog und es braucht die harte Hand des Gesetzes. Wir müssen aus diesen Verfehlungen, wo Gesetze systematisch umgangen werden – das können wir im Bankenbereich sehen, in der Automobilbranche, in der Agrarwirtschaft –, die Schlussfolgerung ziehen, dass hier die Staatsanwaltschaften gefragt sind. Diese Probleme löse ich nicht durch ein gutes Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden.

Sie hätten also Daimler-Chef Zetsche nicht zum Parteitag eingeladen?

Ich hätte ihn gerne zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen – das, finde ich, sollte man immer tun. Aber ihm auf einem Parteitag ein großes Forum zu bieten, nein.

Sie haben von der "linken Ecke" gesprochen – jetzt haben die Grünen zwei neue Realo-Vorsitzende und der eine, Robert Habeck, redet plötzlich von der linken Mitte und mutiert zum Angstgegner der Wirtschaft. Verkehrte Welt?

Wenn Robert Habeck von der "linken Mitte" redet, dann meint er das ernst. Er ist keiner, der die Partei nach Rechts führen will, sondern einer, der die Partei – wie auch Annalena Baerbock – nach vorne führen will, auch in gesellschaftlichen Debatten. Und weil wir Grüne uns immer auch für Gerechtigkeit eingesetzt haben, sehen das die misstrauisch, die weiter von einer Umverteilungspolitik von unten nach oben träumen. Dem werden sich Grüne entgegenstellen.

Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten ist Umverteilung weniger ein Herzensthema.

Winfried Kretschmann steht in der Frage der Vermögensungleichheit nicht im grünen Mainstream. Die breite Mehrheit der Grünen in Bund und Ländern hat die zunehmende Vermögenskonzentration immer als ein Problem angesehen, auch wenn es unterschiedliche Einschätzungen gibt, mit welchen Instrumenten dem begegnet werden soll. Manche wollen stärker an die Erbschaftssteuer rangehen, andere eher an die Vermögenssteuer, für wieder andere steht die Bekämpfung von Steuerbetrug im Vordergrund. Winfried Kretschmann hat gegen die Vermögenssteuer und für Erleichterungen bei der Erbschaftssteuer gestritten. Da fehlt von ihm schlicht eine Antwort auf das Problem der zunehmenden Vermögenskonzentration. Deswegen bin ich in dieser Frage mit ihm nicht einer Meinung.

Annalena Baerbock und Robert Habeck werden schon als die neuen Petra Kelly und Joschka Fischer bezeichnet. Das klingt fast wie ein Heilsversprechen. Sehen Sie das als einer vom linken Flügel auch so?

Ich sehe die Chance, mit dem neuen Bundesvorstand eine stärkere Schlagkraft hinzubekommen. Dass grüne Programmatik und das, was wir in der Öffentlichkeit rüberbringen, auch zusammen passen. Wir haben uns vorgenommen, einen Programmprozess zu starten, denn es stehen ja große Fragen im Raum: Wie können wir als Gesellschaft diese Klimakrise noch aufhalten? Oder die Frage der Selbstbestimmung in Zeiten von Digitalisierung, wo nicht mehr klar ist, ob mein Datensatz mich mehr beeinflusst oder ich meinen Datensatz. Das sind große Fragen, die an den Kernzielen von grüner Politik – Ökologie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit – rühren.

Die SPD hat sich so auf Opposition gefreut und muss jetzt regieren. Weil Jamaika nicht geklappt hat, sind die Grünen jetzt Opposition. Würden Sie gerne mit der SPD tauschen?

Naja, wir hatten schon zwölf Jahre die Chance der Opposition, deswegen hätte ich Regieren ganz gut gefunden. Deshalb habe ich mich auch stark bei den Jamaika-Verhandlungen engagiert. Aber jetzt müssen wir das nutzen, was wir an Möglichkeiten haben. Es gibt gute Chancen, dass wir aus der Opposition heraus, aber auch aus der Zivilgesellschaft, in den nächsten Jahren wirklich etwas gestalten können. Nicht nur im Parlament, sondern immer auch verbunden mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen.

Sie wollen in die parlamentarische und in die außerparlamentarische Opposition gehen?

Das gilt praktisch für alle Themenbereiche. Ich habe das Thema Selbstbestimmung genannt, die Frage, wie diese gelingt im Zeitalter der Digitalisierung. Oder das Thema Europa. Es gibt viele Menschen, die besorgt sind über den Zustand, und die wollen, dass eine gute proeuropäische Politik gemacht wird. Und die auch als Gesellschaft auf die AfD reagieren wollen – nicht nur, indem sie wählen, sondern auch zwischen den Wahlen –, und die sagen wollen, wir wollen eine freiheitliche Gesellschaft, wir wollen in Europa gemeinsam arbeiten, wir überlassen der AfD diese Gesellschaft nicht. Da kann und muss man jetzt dringend gemeinsam handeln. Und ich würde auch unbedingt das nennen, was ich als "neue soziale Frage" bezeichnen würde: Die Tatsache, dass auf demselben Territorium praktisch zwei Gesellschaften sind, die sich immer weniger berühren, und dass die Gesellschaft nicht mehr so richtig zusammenhält. Ich glaube, dass es da Antworten nicht nur aus der Politik braucht, sondern auch zivilgesellschaftlich.


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6 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 20.02.2018
    Antworten
    Unter zügellos bürgerlich neoliberaler sprich pro kapitalistischer herrschender Politik mutieren westliche Demokratien (insbesondere in Deutschland) und deren glorifizierten "Werten" zum organisierten Verbrechen an der Menschlichkeit (neoimperiale Angriffskriege, Prekarisierung des Arbeitsmarktes,…
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