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Rente für Fortgeschrittene

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Union und SPD haben sich auf ein Rentenniveau von 48 Prozent bis 2025 geeinigt. Das Thema betrifft alle – und trotzdem blickt kaum einer durch. Unser Autor räumt auf mit dem Kuddelmuddel um Nettorentenniveau, Standardrente und Besteuerung. Und stellt fest: Höhere Renten sind bezahlbar.

Ganz oben auf der von der SPD als ihr Erfolg propagierten Rentenreformliste steht die Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent bis 2025. Zu teuer, sagen die Arbeitgeber, geht in Ordnung, sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund, zu wenig, sagt die Linke. Und die hat Recht. 48 Prozent sind alles andere als ein ambitioniertes Ziel. Um das aber zu durchschauen, braucht es ein gewisses Grundwissen. Denn was in der Diskussion um das Rentenniveau niemand erklärt: Was das Rentenniveau überhaupt ist. Und so ist die Rentendebatte für diejenigen, die existenziell davon betroffen sind – und das ist der Großteil der Bevölkerung – kaum durchschaubar.

Das Rentenniveau ist … nun ja: netto oder brutto? West oder Ost? Vor oder nach Steuern? Konzentrieren wir uns auf das Nettorentenniveau, denn das ist in der Regel gemeint, wenn vom Rentenniveau die Rede ist, und als in Stuttgart erscheinende Wochenzeitung auf das Rentenniveau West.

Anders, als man es als Laie vermuten könnte, ist das Nettorentenniveau nicht einfach das Verhältnis von Nettorente zum Nettoeinkommen. Sondern das Verhältnis der Nettostandardrente zum Durchschnittsbruttoeinkommen abzüglich des durchschnittlich zu entrichtenden Arbeitnehmersozialbeitrags einschließlich des durchschnittlichen Aufwands zur zusätzlichen Altervorsorge.

Standardrente kriegt nur der Standardrentner

Beginnen wir mit der Nettostandardrente. Die Nettostandardrente ist die Rente eines Rentners, der 45 Jahre lang sozialversicherungspflichtig bis zum Renteneintrittsalter erwerbstätig war und über den gesamten Zeitraum genau durchschnittlich verdient hat. Das Renteneintrittsalter lag 2016 bei 65 Jahren und vier bzw. fünf Monaten, das Durchschnittseinkommen betrug rund 3016 € brutto und die Nettostandardrente lag 2016 bei 1197 € – allerdings "vor Steuern". Netto vor Steuern – in der Umgangssprache gibt es das nicht. Im Rentenversicherungskauderwelsch gibt es das schon.

Hintergrund der Nettostandardrente vor und nach Steuern ist die sogenannte nachgelagerte Besteuerung. Die vom Arbeitseinkommen zu bezahlenden Rentenversicherungsbeiträge werden seit 2005 schrittweise von der Steuer freigestellt, die ausbezahlten Renten werden im Gegenzug schrittweise besteuert. Wer 2016 in Rente ging, muss über die ganze Zeit seines Rentenbezuges 72 Prozent seiner Rente versteuern. Wer 2017 in Rente geht, muss 74 Prozent, wer dieses Jahr in Rente geht, bereits 76 Prozent der Rente versteuern. Bis zum Renteneintrittsjahrgang 2020 steigt der Satz um jährlich zwei Prozentpunkte, ab 2021 um einen Prozentpunkt, sodass Rentner, die 2040 oder später in Rente gehen, ihre Rente komplett versteuern müssen. Ein alleinstehender "Standardrentner", der 2016 in Rente geht, muss knapp 40 Euro Steuern zahlen. Die Nettostandardrente von 1197 € vor Steuern beträgt also nach Steuern nur noch rund 1157 €.

Der Betrag, durch den die Nettostandardrente nun geteilt wird, um das "Nettostandardrentenniveau vor Steuern" zu erhalten, ist aber weder das durchschnittliche Brutto-- noch das Nettoeinkommen, sondern ein fiktiver Wert dazwischen, der auf keiner Lohnabrechnung auftaucht und sich auch aus keiner Lohnabrechnung errechnen lässt.

Gerechnet wird mit fiktiven Werten

Vereinfacht erklärt ist dieser Wert der Bruttoeinkommen abzüglich der Abgaben zur Sozialversicherung und der durchschnittlichen Ausgaben für "Riesterrenten". Das ist aber sehr vereinfacht gesprochen, da mit den "durchschnittlichen" Abgaben zur Sozialversicherung gerechnet wird und damit auch Einkommen in die Berechnung eingehen, für die prozentual weniger oder gar keine Abgaben zur Sozialversicherung gezahlt werden müssen. Der langen Rede kurzer Sinn: Dieser fiktive Wert lag 2016 bei 2 490 € pro Monat. Das Nettostandardrentenniveau ergibt sich nun, wenn man die Nettostandardrente vor Steuern durch den Fiktivwert teilt. Ergebnis: Das "Nettostandardrentenniveau vor Steuern" 2016 betrug 48,1 Prozent.

Doch was das Nettostandardrentenniveau praktisch bedeutet, wird erst deutlich, wenn man die Nettostandardrente ins Verhältnis zum tatsächlichen Nettodurchschnittseinkommen setzt. Da das Nettoeinkommen unter anderem davon abhängt, in welcher Steuerklasse man ist, in welcher Krankenversicherung und ob man Kirchensteuer zahlt, lässt sich eine allgemeingültige Relation von Nettorente und Nettoeinkommen kaum berechnen. Stellen wir uns also eine in Baden-Württemberg lebende alleinstehende Person vor, die 45 Jahre lang genau das Durchschnittseinkommen verdient hat und im Laufe des Jahres 2016 in Rente ging. Sie hat keine Kinder, keine über die Pauschale hinausgehenden Werbungskosten, zahlt den durchschnittlichen Eigenbeitrag zur Krankenversicherung und ist Kirchenmitglied. Ihr letztes Einkommen lag bei 3016 Euro brutto und rund 1889 Euro netto pro Monat. Die Nettostandardrente nach Steuern von 1157 Euro entsprach damit 61,2 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens.

Diese Zahl ist die einzige Größe, die Rentner wirklich interessiert, nicht das abstrakte Rentenniveau, das mit 48,1 Prozent wesentlich unter diesem Wert liegt. Läge das Rentenniveau bei 53 Prozent, wie es zum Beispiel Die Linke fordert, würdenalleinstehende Standardrentner eine Nettorente nach Steuern in Höhe von rund 1260 Euro erhalten. Das wären im Beispiel der alleinstehenden Person rund 66,7 Prozent des letzten Nettoeinkommens.

Der Durchschnittsrentner kriegt viel weniger als die Standardrente

Die Standardrente ist allerdings alles andere als ein Durchschnittswert, obwohl sie in vielen Medien immer wieder als Durchschnittsrente bezeichnet wird. Viele Menschen verdienen weniger als das Durchschnittseinkommen, und vielen gelingt es auch nicht, 45 Jahre erwerbstätig zu sein. Und so liegt die Durchschnittsrente tatsächlich deutlich unter der Standardrente. Die Zahlbeträge der Altersrenten lagen 2016 bei durchschnittlich 819 Euro im Westen und 1012 Euro im Osten. Differenziert nach Männern und Frauen ergibt sich folgendes Bild: Die Frauen im Osten erhielten 894 Euro, die West-Frauen 606 Euro. Die Männer in den neuen Bundesländern bekamen 1171 Euro, die in den alten Bundesländern 1096 Euro.

Allerdings ist für viele SeniorInnen die gesetzliche Rente nicht die einzige Einnahmequelle. Viele RentnerInnen haben zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente Einkünfte aus betrieblichen oder privaten Renten, aus Zinsen, Dividenden oder aus der Vermietung von Immobilien. Deswegen müssen bei der Beurteilung, ob die Rente ausreicht, die gesamten Haushaltseinkommen betrachtet werden.

Viele RentnerInnen, deren Erwerbsleben dem eines "Standardrentners" nahekam, erhalten in der Tat eine Betriebsrente oder Zahlungen aus einer privaten Versicherung oder sie leben im abbezahlten Wohneigentum, sodass ein Rentenniveau von 48 Prozent bei vielen, aber bei weitem nicht bei allen, zur Sicherung ihres Lebensstandards ausreicht. Wer aber im Laufe seines Erwerbslebens unterdurchschnittlich verdient hat oder deutlich weniger als 45 Jahre erwerbstätig sein konnte, hat in der Regel geringere oder keine Betriebsrentenansprüche und konnte auch weniger oder gar nicht privat vorsorgen. Für diesen in den letzten Jahrzehnten größer gewordenen Personenkreis reicht ein Rentenniveau von 48 Prozent zur Sicherung des Lebensstandards bei weitem nicht aus. Und so ist schon heute die Zahl der in prekären Verhältnissen lebenden SeniorInnen erheblich.

Nach dem bisher letzten im Jahr 2016 erschienenen Alterssicherungsbericht der Bundesregierung hatten 20 Prozent der alleinstehenden Männer und 25 Prozent der alleinstehenden Frauen der Generation 65+ Einkünfte von unter 1000 Euro pro Monat. Mehr als ein Drittel dieser Personen hatte sogar monatliche Einnahmen von nicht einmal 750 Euro.

Für immer mehr Menschen reicht die Rente nicht

Da die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten in den 1990er und den 2000er Jahren stark angewachsen ist und im Laufe der 2000er Jahre die Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose in mehreren Schritten bis auf Null abgesenkt wurden, wird die Zahl der in prekären Verhältnissen lebenden RentnerInnen immer weiter ansteigen. Denn mit jedem Rentnerjahrgang werden mehr ehemalige Niedriglohnbeschäftigte und ehemalige Langzeitarbeitslose, die für die Zeit ab dem zweiten Jahr ihrer Arbeitslosigkeit keine oder nur minimale Rentenansprüche haben, in Rente gehen.

Also ist ein Rentenniveau von 48 Prozent alles anderes als ein ambitioniertes Ziel. Gelingt es nicht, eine politische Mehrheit zu organisieren, die ein höheres Rentenniveau durchsetzt, werden für eine immer größer werdende Zahl von RentnerInnen ihre Alterseinkünfte nicht mehr ausreichen. Das gerne nachgeplapperte Argument, höhere Renten seien unbezahlbar, ist nicht stichhaltig.

Wurden 2005 noch 10,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt von der gesetzlichen Rentenversicherung ausgegeben, waren es 2016 nur noch 9,2 Prozent. Geld wäre also genügend vorhanden. Es fehlt aber der politische Wille, RentnerInnen nicht in erster Linie als Kostenfaktoren, sondern als Menschen zu betrachten. Und die haben einen Anspruch auf einen menschenwürdigen Lebensabend.


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5 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 26.01.2018
    Antworten
    Eine ganz wichtige Zusammenstellen, vielen Dank!
    Ein Aspekt kommt aber zu kurz:
    Die Rentenkürzungen seit Mitte der 90er Jahre dienten nur der Finanzierung der Wiedervereinigung. Mit ihnen wurde die Lücke in den Einnahmen der Rentenversicherung geschlossen, die durch den Beitritt der neuen Länder…
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