KONTEXT:Wochenzeitung
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"Man ist ständig am Kompromisse-Machen"

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Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann fährt Rad und E-Auto aus Überzeugung. Im Gespräch mit Stefan Siller spricht der Grüne über Norwegen als Vorbild, falsche Diesel-Subventionen und den Wunsch nach mehr gesellschaftlicher Verantwortung in GroKo-Zeiten.

Montagnachmittag, halb drei. Winfried Hermann sitzt in einem noch etwas leeren Büro am Stuttgarter Karlsplatz. Gerade ist sein Ministerium umgezogen, alles ist noch so neu, dass sogar die Tür nicht mehr aufgeht, wenn sie zufällt. Also bleibt sie offen für das Kontext-Gespräch mit Stefan Siller. Der Minister hat viel zu erzählen. Meistens.

Nur zu Winfried Kretschmanns Diesel-Daimler für den Privatgebrauch hat er nicht mal ein ganzes Wort übrig: Hermann macht nur ein vielsagendes "Mhm" (Minute 22:30) und trinkt zur Überbrückung einen Schluck Wasser. "Der Ministerpräsident hat ja immerhin gesagt: 'Ich habe den besten und den saubersten Diesel gekauft'."

Logo: Siller fragt

Alle Folgen von "Siller fragt" gibt's hier.

Herrmann fährt Rad oder Elektroauto aus grüner Überzeugung. Selbst Modellfahrzeuge kommen ihm nur umweltfreundliche ins Büro – wie die gelbe kleine Stadtbahn, die neben dem Mini-Kaktus auf dem Fensterbrett steht. Auf dem Tisch steht ein Strauß gelber Tulpen, es gibt Kaffee mit Rohrzucker für alle. Gerade war Hermann mit einer Delegation in Norwegen und ist noch immer begeistert: "97 Prozent des Stroms wird dort mit Wasserkraft erzeugt. Das heißt, in Norwegen ist der Strom per se grün. Und dann kommen noch die Windräder dazu. Und es gibt selbst dort Fotovoltaik". Im dunklen Norden! Und, noch besser: Es gebe im ganzen Land parteiübergreifend ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz und zur Elektromobilität.

Übers Jahr 2017 gerechnet habe Oslo 40 Prozent Elektroautos bei Neuzulassungen verzeichnet, landesweit seien es 30 Prozent (Minute 1:00). "Da geht richtig viel ab. Da ist die Verkehrswende schon richtig gut sichtbar auf der Straße." Allerdings eine, die vor allem aus koreanischen und chinesischen Fahrzeugmodellen bestünde. Da müsse sich die deutsche Autoindustrie schon ranhalten, das habe er auf seiner Reise häufiger gehört. 

"Im Vergleich zu Deutschland hat die norwegische Regierung viele Anreize gesetzt. Und ökonomische Bestrafungspunkte für die, die herkömmliche Technologien fahren. Wer E fährt, zahle keine Parkgebühren, keine Mehrwertsteuer, keine Luxussteuer, ist befreit von Mautgebühren – "die sind heftig in Norwegen" – und darf auf Busspuren mit seinem Elektroauto sogar am Stau vorbeifahren. Deutschland habe zwar nicht den gleichen Reichtum an Energie, aber Norwegen zeige immerhin: Wenn man will, geht auch was.

Zu viel Subventionen für herkömmlichen Verkehr

"Hier in Deutschland muss man überzeugter Öko sein, um elektrisch zu fahren, weil du auf jeden Fall mehr bezahlst", sagt Hermann. "Wenn man die Förderung, die wir in Deutschland für Elektromobilität ausgeben – Steuerbefreiung, Zuschüsse – zusammennimmt, ist das grob gesagt eine Milliarde im Jahr. Gleichzeitig fördern wir große Fahrzeuge herkömmlicher Bauart durch Dienstwagenprivileg und den Diesel durch Subvention, sodass wir grob gesagt etwa zehn Milliarden in die Subventionierung des alten Systems stecken und eine Milliarde in das neue. Solange das so ist, wird die Verkehrswende nicht gelingen."

Die Verantwortung dafür sieht Hermann nicht nur bei den Konzernen wie Daimler oder der Bundeskanzlerin. "Die Gesellschaft selber muss ein Anliegen haben, dass wir uns in Richtung klimafreundliche Mobilität entwickeln", meint er.

Winfried Hermann (Grüne)

Winfried Hermann ist 1952 geboren und aufgewachsen in Rottenburg am Neckar. Er hat Deutsch, Politik und Sport an der Uni Tübingen studiert und arbeitete zuerst als Gymnasiallehrer in Stuttgart, später dann fast zehn Jahre als Leiter des Fachbereichs "Gesundheit und Bewegung" bei der Volkshochschule. Ab 1984 saß er im Baden-Württembergischen Landtag, 1992 wurde er Landesvorsitzender der Grünen in Baden-Württemberg, ab 1998 saß er für den Wahlkreis Tübingen im Bundestags. Seit 2011 ist er Verkehrsminister von Baden-Württemberg. (ana)

Ob Hermann manchmal bereue, in die Politik gegangen und nicht Lehrer geblieben zu sein?, fragt Stefan Siller. Dass ein Verkehrsminister keine Freude hat an Fahrverboten für die Landeshauptstadt, liegt nahe, aber als Grüner Revision einlegen zu müssen, wenn das Stuttgarter Verwaltungsgericht Fahrverboten für bessere Luft möglich macht, das muss doch wehtun. Also: Sehnsucht nach dem alten Job?

Nee, sagt der Grüne. Bloß: "Man macht als Minister schon auch die manchmal schmerzhafte Erfahrung, dass man denkt, jetzt ist man endlich auf dem Sessel der Macht angekommen und dann stellt man fest, man ist auch da nicht alleine. Demokratie heißt, dass man nie alleine ist mit seinen Entscheidungen. Man entscheidet innerhalb einer Regierung oder einer Partei, aber dann hat man einen Koalitionspartner, es gibt gesellschaftliche Gruppen, die Lobbygruppe der Wirtschaft ist da genauso legitim wie die Lobbygruppen der Umweltverbände oder der Bürgerinnen und Bürger, und alle versuchen, auf einen einzuwirken. Man ist ständig am Kompromisse-Machen. Das in der Tat muss man allerdings können, sonst sollte man nicht in die Politik gehen."

Bald Fahrverbote in Stuttgart? Glaubt Hermann nicht

Zum Thema Revision erzählt Hermann den Werdegang des Gerichtsverfahrens: Den Vorstoß zur Blauen Plakette, wie der Ex-Bundesverkehrsminister Dobrindt ihm dann mailte, er solle halt Fahrverbote machen und die Grüne Plakette auf den Schildern an den Straßen zukleben ("Was ist denn das für ein absurder Vorschlag? Nur weil er nicht den schwarzen Peter haben will, soll ich ihm den übernehmen?"). Wer jetzt in dieser Sache das Sagen hat, Bund oder Land, das werde nun vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geklärt. Um die Sache an sich gehe es dabei ja nicht. Insofern: Die Revision hat ihm keine Bauchschmerzen gemacht. 

Und was, wenn Leipzig die Fahrverbote für Stuttgart bekräftigt? Das glaubt er nicht, der Minister. Denn es wäre "absurd" in allen möglichen Städten andere Regelungen zu haben. Aber wenn dann die Zuständigkeit bei der Bundespolitik liege, müsse die sich bewegen.

Absurd auch die jüngst geäußerte und wieder verworfene Idee der Bahn, die Anbindung an den Stuttgarter Flughafen für Stuttgart 21 <link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte neue-post-aus-schilda-4843.html _blank external-link>nahezu gänzlich frei von schnellem Zugverkehr zu halten (Minute 33:20). "Das wäre ja fast ein Schildbürgerstreich gewesen", sagt Herrmann. "Der Konzern ist einfach groß und schlecht gesteuert."

Und was halten Sie von der GroKo, Herr Minister (37:08)? 

"Ich ärgere mich ein bisschen, wenn jetzt schon automatisch gesagt wird, GroKo ist Blockade. Das war es in den letzten vier Jahren, aber im Interesse des Landes muss man doch sagen, die müssen besser werden, wenn sie nochmal zusammenkommen." Und wo das neue Bündnis versagen sollte – möglicherweise in Sachen Energiewende – müssten halt "gesellschaftliche Kräfte" Druck ausüben." Er halte ja gerade überall Neujahrsansprachen, sagt Herrmann, und da spreche er gerne über die 68er Rebellion. "Was da ein paar Studenten begonnen haben, hat zu einer weltweiten gesellschaftlichen Veränderung geführt. Aber man hat nicht gesagt, so liebe Regierung, das müsst ihr jetzt aber mal machen, wir haben euch gewählt. Sondern man hat gesagt, das nehme ich selber in die Hand, wir ändern die Gesellschaft. Das ist mir bisschen verloren gegangen." Er erwarte jetzt Veränderungswillen. "Heute sind ja viele, die aus dieser Zeit stammen, in relevanten gesellschaftlichen Stellungen. Und die können einen Beitrag leisten."

Nach dem Rückblick dann der Ausblick (Minute 43:00): Wie sieht es aus mit dem Grünen Robert Habeck und der Trennung von Amt und Mandat? Kann Habeck im Falle seiner Wahl zum Bundesparteivorsitzendem für eine Übergangszeit von einem Jahr gleichzeitig Umweltminister in Schleswig-Holstein bleiben? "So ein Amt fordert einen", gibt der Hermann zu bedenken. Und warnt zur Vorsicht vor Interessenkonflikten. Dann sagt er: "Der Übergang muss schneller gehen. Ich fürchte, dass die Partei ihm kein Jahr Zeit gibt."


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2 Kommentare verfügbar

  • Horst R
    am 28.01.2018
    Antworten
    .......ja er hat sich redlich bemüht, wurde aber stets von seinem „Schwarz rot grün gesprenkeltem Meister an der Kandare gehalten, und mit regelmäßigen Dimentis zur Raison gepfiffen. Insofern hätte die Redaktion auf das bla- bla Interview verzichten können. Die „Heute so, morgen so- Politik“ hat…
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