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Testosteron und Sonnenblumen

Testosteron und Sonnenblumen
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38 Jahre nach Gründung der Grünen wollen ein paar einflussreiche Baden-Württemberger eine ganz spezielle Fußnote ins Partei-Geschichtsbuch eintragen – durch Abschaffung der bisherigen Form der Doppelspitze. Natürlich zu Gunsten von Männern.

Mal funktioniert die Evolution, und mal funktioniert sie nicht. Katzen auf Beutezug haben über Jahrtausende gelernt, als Gegengewicht beim Sprung ihren Schweif zu nutzen. Deshalb kommen sie, wenn sie fallen, fast immer unverletzt auf ihren vier Pfoten auf. Wie Katrin Göring-Eckardt, meint einer jener Grünen, bei denen die Evolution (noch) nicht so recht gelungen ist, und die die Hartnäckigkeit und das Durchhaltevermögen der Theologin aus Thüringen als Makel empfinden. Selbst Realos können herunterbeten, dass ihre Partei aus der Anti-Atom-, der Ökologie-, der Friedens- und der Frauenbewegung entstanden ist. Mit Blick auf letztere verstehen führende Köpfe aber bis heute nicht, was das über Sonntagsreden hinaus wirklich bedeutet. Also dann, wenn Machtanspruch gegen Machtanspruch steht.

Winfried Kretschmann hatte im Frühjahr 2016 schon mal einen Ballon steigen lassen und die traditionelle Doppelspitze auf Bundesebene problematisiert. Sie sei "ja ursprünglich feministisch gedacht und insofern ein vernünftiges Prinzip", konzedierte er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Aber: Auch aus dem eigenen Erfolg und dem ausschließlich auf ihn zugeschnittenen Landtagswahlkampf ("Verantwortung und Augenmaß") leitete er ab, dass "die Menschen eine eindeutige Personalisierung wollen". Durchsetzen konnte sich der mit Abstand beliebteste Grüne bundesweit damit nicht, seinem Eifer tat das keinen Abbruch. Eher im Gegenteil.

Jetzt will er wieder mitmischen in Berlin, als gastgebender Hausherr und Spiritus Rector bei den Sondierungsverhandlungen nicht einfach zurücktreten ins Glied, sondern eine Personalfrage beeinflussen, die ihn bestenfalls am Rande angeht: Unbedingt muss Cem Özdemir Chef der Bundestagsfraktion werden, selbst auf Kosten des bisherigen Duos Göring-Eckardt und Anton Hofreiter. Mit KGE, die sich 2013 bei der Vorsitzendenwahl in der Fraktion mit 41 zu 20 Stimmen deutlich gegen die Freiburgerin Kerstin Andreae durchgesetzt hatte, wurde der Schwabe ohnehin nie warm, und wird es nicht mehr werden. Hofreiter ist ein Mann der Parteilinken und aus Kretschmanns Sicht schon deswegen einigermaßen suspekt.

Ginge es allein nach den Strippenziehern im Südwesten und den Spindoktoren im Staatsministerium, müsste Göring-Eckardt ihren Platz an der Spitze der Fraktion freimachen. Dabei hat auch sie dicke Bretter gebohrt. Seit fast zwei Jahrzehnten sitzt sie im Bundestag, war parlamentarische Geschäftsführerin, Vorsitzende bereits von 2002 bis 2005 in einer (rein weiblichen) Doppelspitze, außerdem Präsidentin des Evangelischen Kirchentags. Bei der Urwahl für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl hatte sie keine Konkurrentin und insofern einen der beiden Plätze eh schon sicher – ein Makel in den Augen vieler Männer, weil sich mit Özdemir, Hofreiter und Robert Habeck gleich drei Anwärter um den Co-Platz bewerben mussten. Zwar blickt die 51-Jährige auf einen mittelmäßig erfolgreichen Bundestagswahlkampf zurück, darf aber für sich in Anspruch nehmen, die Grünen in den Gesprächen mit Union und FDP profiliert vertreten zu haben.

Weibliche Leistung wiegt leichter als männliche

Wie ihr Mitspitzenkandidat Cem Özdemir. Aber, anders sind die Verrenkungen der Pro-Özdemir-Fraktion nicht zu verstehen, weibliche Leistung wiegt nun mal leichter als männliche. Wie vor 35 Jahren, als Winfried Kretschmann seine erste einschlägige Rede im Landtag mit dem Tipp krönte, zur Entlastung ihrer Frauen sollten männliche Volksvertreter öfter mal abends daheim sein. Ein Quotenfreund war Kretschmann nie, dafür aber der Ansicht, Politik könne nur "wenig zur Emanzipation der Frau beitragen". Das verräterische "ursprünglich" im Interview mit der "Süddeutschen" lässt ahnen, dass er bis heute nicht verstanden hat, wie notwendig Methoden wie das Eins-zu-eins-Prinzip bei Redelisten oder Gremienbesetzungen sind. Oder ein Vetorecht für Frauen bei bestimmten Themen. Oder die Doppelspitze.

Führende Realos denken sich die Zukunft so: Özdemir führt die Bundestagsfraktion allein, und im Parteivorsitz beerbt ihn Robert Habeck, der stellvertretende Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Der bedauert, dass er nicht "holterdipolter" raus kann aus der dortigen Jamaika-Koalition. Deshalb gilt es gleich noch einen anderen Gründungsmythos, wie Kretschmann sagen würde, zu schleifen. Habeck, nach seinem Selbstverständnis ein flügelübergreifendes Angebot, will für eine Übergangszeit von nicht weniger als einem Jahr zugleich in Kiel Minister bleiben. Auf der entscheidenden Bundesdelegiertenkonferenz Ende Januar müsste darum die Parteisatzung grundlegend geändert werden, die bislang die Trennung von Amt und Mandat festschreibt. "Sollte das die Einstellungsvoraussetzung sein", sagt er in einem Tonfall, der einer Frau als larmoyant ausgelegt würde, "kann ich nicht antreten." Für Habecks Männerfreund aus Laiz ist "natürlich" klar, dass ihm die Übergangsfrist eingeräumt werden muss.

Kanadas Premier Justin Trudeau konterte mit einem schlichten "Because it's 2015" die Frage, warum ihm die "Gender-Balance" so wichtig ist. Unter grünen Alphamännchen in good old Germany wird zwei Jahre später eine ganz andere Geschichte geschrieben, und dagegen anzuargumentieren bleibt vor allem wieder Frauen überlassen. Annalena Baerbock, MdB aus Brandenburg, früher Vorsitzende ihres Landesverbandes, will ebenfalls Bundesvorsitzende werden. "Ich fände es fatal, wenn in einer solchen Situation nun auch noch von uns Grünen der Eindruck entstünde", sagt die Reala, "es drehe sich alles um die Männer, und wenn die sich entschieden haben, kommt die Frau an Mr. X' Seite."

Immer noch müssen Frauen für Frauen kämpfen

Dabei wäre eine ganz andere Variante ebenfalls denkbar, weil satzungsgemäß: eine weibliche Doppelspitze. Die gab's schon mal, mit Gunda Röstel und Antje Radcke von 1998 bis 2000. Gesetzt sind bis heute ohnehin immer nur die Frauen, Männer bewerben sich in einem sogenannten offenen Wahlgang, bei dem aber auch Frauen antreten können. An der Wiege der entsprechenden Satzungsparagraphen stehen schlicht und einfach klassische feministische Überlegungen, die aber manchem Parteifreund mit den XY-Chromosomen selbst nach bald vier Jahrzehnten nicht in den Kopf wollen.

Wer im neuen Bürger- und Medienzentrum des Stuttgarter Landtags die Porträts der Volksvertreter und Volksvertreterinnen betrachtet, sieht das Ergebnis schwarz auf weiß: Selbst mit einem Landtagswahlrecht, das in anderen Parteien Politikerinnen kaum eine Chance lässt, bringt es die größere der beiden Regierungsfraktionen auf einen Anteil von fast 50 Prozent. In der baden-württembergischen Landesgruppe des Bundestags sitzen sogar mehr weibliche als männliche Abgeordnete. Und doch müssen selbst im Südwesten immer weiter Frauen für Frauen kämpfen.

Es gibt kein eigenständiges Ministerium mehr, der grüne Sozialminister Manne Lucha ist als Feminist noch nicht aufgefallen, sondern gehört zu jener Spezies von Ressortchefs, die in früheren Jahrzehnten in der Union die Regel waren und für die galt: Originäre Frauenpolitik rückt nie direkt und abgeleitet nur selten in den Mittelpunkt der Arbeit. Im Landesfrauenrat, der Dachorganisation aller Frauenverbände, wurde auf der Hauptversammlung im November sogar über eine Selbstauflösung aus Protest diskutiert. Dass die ausgewiesene Parteilinke Charlotte Schneidewind-Hartnagel jetzt Vorsitzende ist, dürfte die Zusammenarbeit mit dem bekennenden Superrealo Lucha auch nicht eben einfacher machen.

Man, sagt die Landesvorsitzende der Grünen Jugend Lena Schwelling und meint vor allem Mann, sehe doch, dass in anderen Parteien Frauen aus strukturellen Gründen "abschmieren". Wie viele junge Mitglieder kann sich die Ulmer Gemeinderätin vorstellen, dass das Links-Rechts-Muster in Spitzenfunktionen überwunden wird, nicht aber die Geschlechterparität als "Wesenskern unserer Politik".

Ein Blick zurück lohnt sich

Und die promovierte Volkswirtschaftlerin Sandra Detzer, noch eine Reala und zudem eine in einer funktionierenden Doppelspitze mit dem linken Landeschef Oliver Hildenbrand, beackert unermüdlich ein (Frauen-)Thema, mit dem der Ministerpräsident schon seit Jahren am liebsten gar nichts zu tun hätte: die Änderung des Wahlrechts, um den bundesweit einmaligen Männerüberhang im Landtag zumindest ein wenig abzuschmelzen. Mandatsträger wollen davon wenig wissen, die Reform steht aber im Koalitionsvertrag von Grünen und Schwarzen. Manchmal wünsche sie sich mehr Kampfgeist, sagte Detzer, als Landesvorsitzende qua Amt um die Profilierung der Partei bemüht, was ihr gerade unter Männern des eigenen Flügels Minus- statt Pluspunkte einbrachte.

Kretschmann kann die ganze Aufregung um die von ihm mit angestoßene Debatte nicht verstehen. Oder er will nicht. "Wir haben schon alles gemacht", erinnert er sich, "sogar ein Feminat mit fünf Frauen an der Spitze der Fraktion." Das war allerdings 1984 und vor allem eine Rettungsaktion, nachdem sich die VorgängerInnen im Vorstand heillos zerstritten hatten.

Der Blick zurück lohnt dennoch doppelt und dreifach. Die "Damen-Riege" war dem "Spiegel" ein Gespräch über sieben Seiten wert. Und viele der Einschätzungen des Quintetts – in Wirklichkeit war es übrigens ein Trio, aber Erinnerungen verschwimmen eben manchmal – belegen, dass der Langfrist-Versuch, Männer zu verändern, gescheitert ist. "Warum ist es nicht möglich, einen Frauenvorstand zu akzeptieren, während man sonst überall problemlos schluckt, dass nur Männer in Vorständen vertreten sind?", wollte Christa Nickels 1984 von den Spiegel-Leuten wissen. Und warum sich die Frauen mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssten, sie hätten Männer entmachten wollen, obwohl es doch vor allem um die Ablösung einer nicht mehr handlungsunfähigen Führung gegangen sei. Es gelte immer noch: "Wenn zwei das Gleiche tun, dann ist es noch lange nicht dasselbe." Immer noch und immer weiter, auch aus der Sicht von mehr als drei Jahrzehnten später.


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9 Kommentare verfügbar

  • Kornelia A.
    am 20.12.2017
    Antworten
    DER Gag des Jahrhunderts ist: aus der Forderung: uns gehört der Hälfte der Erde, wurde eine Wohltatsgeeste gemacht: o.k. ein bisschen könnt ihr, aber nur ein paar Prozent!
    Geiles Niederdrücken von demokratischen Forderungen!

    Männer: aus über 1000jährigen Herrschaftsdominanzen und 1000% Männerquoten…
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