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Meuthen allein in Europa

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Auf dem Bundesparteitag in Hannover setzt die AfD ihren Weg nach rechtsaußen fort. Die nächste Etappe hat Parteichef Jörg Meuthen bereits in Angriff genommen: Er wechselt vom Stuttgarter Landtag ins Europäische Parlament. Dort will er unter nationalistischen Ultras neue Bündnisse schmieden.

"Wetterwendisch" nennen Kritiker Jörg Meuthen, den Kehler Professor, der 2014 auf Platz zehn der AfD-Landesliste für die Volksvertretung mit dem Doppelsitz in Brüssel und Straßburg kandidiert hatte. "In der AfD gibt es zwei Sorten Politiker: auf der einen Seite überzeugte Idioten und auf der anderen Seite Glücksritter und Pleitiers, die in die Partei wollen, weil es da Geld und Posten gibt", urteilte Hans-Olaf Henkel, der frühere Präsident des Bundesverbandes der Industrie. Anders als Meuthen zog er vor dreieinhalb Jahren für die alte, die AfD von Bernd Lucke ins Europarlament ein – und er kennt Meuthen gut. Seine Einschätzung des einstigen Parteifreunds ist bemerkenswert, weil sie sich deutlich abhebt vom verbreiteten Bild eines zwar weit nach rechts verirrten, aber doch einigermaßen seriösen Zeitgenossen: "Meuthen ist von der Kategorie Glücksritter, der an nichts glaubt, sondern nur taktiert."

Jedenfalls hat Meuthen in Hannover viel dazu getan, sein vergleichsweise liberales Image endgültig abzustreifen. Er bekennt sich zum rechten "Flügel", will aber "kein Flügler sein". Vereinnahmen lässt er sich trotzdem. Björn Höcke nennt ihn seinen Freund, und Meuthen wiederum unterstützt das Parteiausschlussverfahren gegen den Thüringer Partei- und Fraktionschef, der davon träumt, erster AfD-Ministerpräsident zu werden, ausdrücklich nicht. Meuthen, das Fähnchen im Wind: Zu Beginn des französischen Präsidentschaftswahlkampfs hatte er erklärt, "kein Fan" der Chefin des "Front National" zu sein: "Ich bin Patriot, aber kein Nationalist und kein Anhänger von Protektionismus. Das Wirtschafts-Programm von Le Pen kann ich nicht teilen." Gewählt hätte er sie "mit großem Bauchgrimmen" doch, bekannte er nach der Wahl. 

Ein kurzer Moment beim Bundesparteitag gibt einen Einblick in Meuthens Umgang mit eigenen Fehlern. Der routinierte Redner hat seine Redezeit falsch kalkuliert. Jetzt staunt er, wie kurz die vereinbarten fünf Minuten für seine Bewerbung um den Parteivorsitz sind: "Oh, schon zu Ende, das ist aber früh." Und dann mutet er dem Präsidium zu, speziell für ihn einen Zuschlag zu gewähren, was natürlich abgelehnt wird. Dann hätte aber "aus Fairnessgründen" eine Uhr für ihn sichtbar mitlaufen müssen, klagt der Professor daraufhin. Das sei "ja nicht so kompliziert, normalerweise hat man das". Wenig später muss er mit 72 Prozent zufrieden sein – nicht eben üppig für einen, der neben vielen anderen Tugenden auch Integrationskraft für sich in Anspruch nimmt und ohne Gegenkandidaten angetreten ist.

Meuthen will die europäische Rechte einen

"Aus erster Hand" hat er seinen Wechsel vom Landes- und Europaparlament im AfD-Lieblingsmedium Facebook bekannt gemacht. Er lobt sich selbst für seine Arbeit als Fraktionschef in Stuttgart und spricht – zu beachten ist die Reihenfolge – von einer Herausforderung "im Dienste unserer Partei und zum Wohle unseres Landes". Nach reiflicher Überlegung ("Meine persönlichen Befindlichkeiten sind zweitrangig") habe er sich entschieden, mit Blick auf die nächste Wahl an einer "maximal wirkmächtigen Stimme im Europaparlament" und einer "maßgeblich von der AfD geprägten Fraktion" zu arbeiten. Oder wie er auf dem Parteitag in seinem gern etwas verquasten Deutsch formulierte: "Ich habe entschlossen, eine AfD-geführte Fraktion, wenn es idealerweise gelingt, bei den Europawahlen 2019 anstreben zu wollen."

Keine kleine Aufgabe. Denn: Europas Rechte ist traditionell zersplittert und zerstritten. Es herrschen Missgunst und Geringschätzung. Die einen sind den anderen nicht radikal genug, zu sozialistisch oder zu saumselig, wenn es darum geht, die EU ganz abzuschaffen. Gruppierungen kommen und gehen. Ohnehin werden mit dem Brexit die Karten ganz neu gemischt. Nigel Farages UK Independence Party (UKIP) hat ihr Sehnsuchtsziel erreicht und kann nach dem Austritt des Landes nicht mehr antreten. Ein reiches Betätigungsfeld also für Meuthen, der auf Beatrix von Storch folgt nach deren Umzug in den Deutschen Bundestag.

Vorerst allerdings ist der bisherige Stuttgarter Fraktionschef in Brüssel und Straßburg allein zuhaus. Bernd Luckes AfD hatte 2014 zwar sieben Mandate erringen können. Sechs davon kamen allerdings nach zwei Abspaltungen – zuerst verschwand Lucke dann Frauke Petry, jeweils mit Gefolgsleuten – abhanden. Meuthen ist also der einzige verbliebene AfD-Vertreter im insgesamt 751 Abgeordnete zählenden Europaparlament. Sein Wechsel von Stuttgart ist selbstredend eine Richtungsentscheidung. Hätte er verzichtet, wäre an seiner Stelle ein bayerischer Opernsänger aufgerückt, der zur gemäßigten "Alternativen Mitte" der Partei zählt.

Meuthen sitzt nun in einem Parlament, in dem schon 2014, also vor der "massenhaften Einwanderung", wie er sagen würde, fast jedes dritte Mandat von Europakritikern eingenommen wurde. Gegenwärtig gehören ihm 82 rechte bis rechtsradikale Abgeordnete an. Die "Konservativen und Reformer" sowie die Anhänger von "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (EFDD) ordnen sich selbst als EU-skeptisch bis ablehnend ein. "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) ist die Heimat des Front National, der FPÖ oder der belgischen Separatisten vom "Vlaams Belangs". Weitere Extremisten sind fraktionslos, darunter der Rheinländer Udo Voigt, der bei den Wahlen 2014 für die NPD ins Parlament einziehen konnte, weil das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Drei-Prozent-Hürde gekippt hatte. Außerdem beherbergt die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die deutsche CDU und CSU sowie die österreichische ÖVP zählen, rund drei Dutzend Populisten aus Tschechien, Polen und vor allem aus Ungarn.

Schönfärberei und Selbstlob im Überfluss 

Bei der Bekanntgabe seines Wechsels brachte Meuthen eine Zusammenarbeit mit der österreichischen FPÖ ins Spiel. Deutschen Rechten erscheint sie allein deshalb hoffähig, weil sie in Wien auf dem Sprung in eine von der bürgerlichen ÖVP geführte Regierung ist. Und nachahmenswert ohnehin mit ihren fast 26 Prozent bei der Nationalratswahl im Oktober. Ihr Chef Heinz-Christian Strache kennt keine Berührungsängste. Vor eineinhalb Jahren, im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf, hofierte FPÖ-Kandidat Norbert Hofer Marine Le Pen. Beide sahen sich als künftige Staatsoberhäupter, beide verließen die Walstatt als Verlierer. Auf europäischer Ebene arbeiten FPÖ und FN zusammen in der radikalen ENF, die sich für Meuthen aber vorerst verbietet: Frauke Petrys Ehemann Marcus Pretzell hatte sich schon in seiner AfD-Zeit für diesen Teil des rechten Lagers entschieden und hat jetzt sein Mandat in die neugegründete "Blaue Partei" mitgenommen.

Mit seinem Hang zum Schönfärben eigener Leistungen, zum Beispiel bei Spaltung und Wiedervereinigung der baden-württembergischen Landtagsfraktion, hält sich Meuthen für den richtigen Mann, im rechten Haifischbecken für Zucht und Ordnung zu sorgen. Er sei, preist er sich in Hannover in seiner Bewerbungsrede für den Bundesvorsitz an, prädestiniert durch eine "recht umfängliche Lebenserfahrung", eine "stark ausgeprägte Belastbarkeit", durch ein "recht ausgeglichenes Naturell und die Gabe manches auszuhalten, was nicht für jeden erträglich ist".

Im Europaparlament ist der gebürtige Essener Mitglied in den Ausschüssen für "Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres", "Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter" und in einem Untersuchungsausschuss, der sich unter anderem mit Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung befasst. Als Mitarbeiter übernommen hat er laut Abgeordnetenprofil Dirk Friedrich, Beatrix von Storchs Büroleiter, der im Zusammenhang mit der liberal-konservativen Hayek-Gesellschaft als AfD-Aktivist auffiel. Die Gesellschaft, benannt nach dem Wiener Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich A. von Hayek, sei verkommen zu einem "Mistbeet der AfD", klagte einer der Gründer im Sommer. An der Organisation des Juniorenkreises ist Friedrich beteiligt, wie die "Süddeutsche" berichtet. Auf Versammlungen werde "rassistisch mit Begriffen wie biodeutsch argumentiert".

2014 hatte die AfD noch "Werte"

Den Wechsel auf die europäische Bühne – selten vergisst Meuthen zu erwähnen, dass er als ehemaliger Fraktionsvorsitzender deswegen finanzielle Einbußen hinzunehmen hat – begründet der studierte Finanzwissenschaftler auch damit, dass er bereits seit Anfang der Neunziger Jahre klare politische und ökonomische Vorstellungen dazu entwickelt, was sich am Politikbetrieb im Brüssel ändern müsse. Und er kommt von sich aus auf seine Kandidatur von 2014 zu sprechen, was insofern überraschend ist, als er das Wahlprogramm heute wohl kaum mehr mittragen würde. "Die AfD", hieß es damals unter vielem anderen, "tritt für ein offenes und ausländerfreundliches Deutschland ein und bejaht die Niederlassungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit." Oder: "Die AfD bekennt sich uneingeschränkt zu einer Europäischen Union, die der Aufklärung sowie dem Streben der Völker nach Menschenrechten und Demokratie gerecht wird und die die Wertegrundlagen des christlich-abendländischen Kulturkreises dauerhaft erhält."

Von "bekennen" und vor allem von "uneingeschränkt" kann keine Rede mehr sein. Einer der neuen Meuthen-Stellvertreter, der gebürtigen Hamburger und neue Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk – von 1982 bis 1991 SPD-Mitglied –, schimpft in Hannover nicht nur auf Deutschland als "so verkommen wie irgendetwas", auf die "linksliberalen Medien und die Kartellparteien, die auf dem Sonnendeck liegen und ihre ideologischen feuchten Träume verfolgen", sondern auch auf "diese ganze verschissene EU". Da gibt es viel zu tun für Meuthen und seine integrativen Talente. Aber wie sagt der selbsternannte Ein- und Ausrichter der neuen Europäischen Rechten so schön: Er könne "mit wem auch immer zusammenarbeiten".


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