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Nachhilfe von Datenschützern

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Anfang November will die grün-schwarze Landesregierung mit ihrem neuen Anti-Terror-Paket Fakten schaffen. Dabei gibt es massive Einwände gegen den "Sieben-Meilen-Schritt" (Innenminister Thomas Strobl). Die Grünen fungieren derweil als Steigbügelhalter für eins der schärfsten Polizeigesetze bundesweit.

Das Echo ist 14 Seiten stark, die Botschaft hat es in sich: "Wir alle bezahlen die Hoffnung auf mehr Sicherheit mit der realen Einbuße an Freiheit." Das schreibt nicht irgendwer, sondern Volker Broo aus dem Büro des Landesbeauftragen für Datenschutz in Baden-Württemberg. Zu Oppositionszeiten wäre Winfried Kretschmann und den Seinen eine Einschätzung wie diese Anlass für die vehement vorgetragene Forderung gewesen, derart weitgehende Vorhaben noch einmal grundsätzlich zu überdenken: Es geht um die Einführung eines Staatstrojaners (Quellen-TKÜ) – das präventive Abhören von Gesprächen und Mitlesen von SMS und Chats zur behaupteten Gefahrenabwehr –, darum, präventiv Fußfesseln anzuordnen oder Beamte mit Handgranaten auszustatten.

In der Regierung gilt ein neuer Maßstab. "Wir gehen", bekannt Kretschmann, "an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren." Stimmt nicht, kontert Broo und listet Einzelheiten auf, die zeigen sollen, auf wie wackligen Beinen etliche Maßnahmen des Pakets stehen. Ein Beispiel liefert die Telekommunikationsüberwachung, die sich nicht auf die Abwehr der Gefahren durch den internationalen Terrorismus beschränken soll. Nach dem Gesetzeswortlaut, so Broo, wäre selbige auch in Fällen "der Allgemeinkriminalität, beispielsweise einer Körperverletzung, zulässig". Dies entspreche zum einen nicht der Zielsetzung und verstoße aus Sicht des Datenschutzes klar gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Selbst in der Wortwahl geben die Datenschützer Nachhilfe

Detailliert arbeiten die Datenschützer Widersprüchlichkeiten heraus, die in den Diskussionen im Internet von den Wohlwollenden als handwerkliche Fehler des CDU-Innenministers analysiert werden, von anderen als Absicht. Broo befasst sich mit "der Zweckbestimmung der Datenerhebung", die einerseits "klar präventiv formuliert" sei. Andererseits heiße es aber, dass die Datennutzung "zur Strafverfolgung" berechtigt. Selbst in der konkreten Wortwahl gibt er Nachhilfe: "Wenn in Absatz 1 das Wort 'Verarbeitung' verwendet wird, werden nach der Terminologie des Landesdatenschutzgesetzes (LDSG) sämtliche Verarbeitungsschritte gemäß § 3 Absatz 2 LDSG umfasst." Zur Klarstellung solle es "weiter nutzen" heißen statt "weiterverarbeiten".

Angesicht des Lobes, das Strobl seinem Gesetz vergangene Woche bei der Einbringung in den Landtag spendete, ist eher unwahrscheinlich, dass sich im parlamentarischen Verfahren und nach den Anhörungen noch Substanzielles verändern wird. "Wir sind das erste Bundesland von 16 Bundesländern, das eine rechtliche Grundlage für die intelligente Videoüberwachung schafft", schwärmte der CDU-Landesvorsitzende über Vorhaben, die technisch und rechtlich noch lange nicht in trockenen Tüchern sind, mögliche Kläger stehen schon in den Startlöchern. Er sei zufrieden, "dass wir Avantgarde sind, dass wir den Mut haben, Hochtechnologie in die polizeiliche Arbeit zu bringen".

Manche in der CDU wundern sich sogar, wie weit die Grünen da mitgehen mochten. Nach 19 Verhandlungsrunden darf immerhin deren Landeschef Oliver Hildenbrand für sich in Anspruch nehmen, erfolgreich in der Abwehr noch drastischerer Eingriffe gewesen zu sein. "Wir haben es uns nicht einfach gemacht", sagt auch Hans-Ulrich Sckerl, der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion. Über allem stehe: "Sicherheit dient der Ausübung von Freiheitsrechten, denn nur wer sich sicher fühlt, kann glücklich in unserem Land leben, wird seine Meinung äußern, wird sich frei bewegen und Entscheidungen – das ist ganz entscheidend – frei von Angst treffen".

Die Regelungen des neuen Paktes nennt er "minimalinvasiv", was schon viel Ärger ausgelöst hat in den sozialen Medien. Ebenso die Tatsache, dass eine Evaluierungsfrist von fünf Jahren vereinbart wurde. Viel zu lang finden das all jene, die an der Wirksamkeit der Maßnahmen im Kampf gegen den Terror zweifeln. Ulrich Goll (FDP), der frühere Justizminister, der das Paket grundsätzlich begrüßt, wirft außerdem die Frage auf, ob überhaupt genug Beamte für die neuen Aufgaben verfügbar seien. Er erwähne nur "die verstärkte Beteiligung des Landesamts für Verfassungsschutz an der Zuverlässigkeitsüberprüfung", etwa für bestimmte Berufsgruppen oder im waffenrechtlichen Sinn. Da sei zu bedenken, "dass das sehr schnell in ein Massengeschäft, ich hätte beinahe gesagt – ausarten kann".

Die Grünen fühlen sich "sehr unwohl"

Konkret verhindert haben die Grünen vorerst zwei Punkte: Es wird keine Online-Durchsuchung geben, wegen verfassungsrechtlicher Hürden. Außerdem muss die Landesregierung zur Vorratsdatenspeicherung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Die Bundesnetzagentur hatte die Speicherungspflicht durch die Telekommunikationsanbieter im Juli ausgesetzt. "Die Vorratsdatenspeicherung bringt nicht mehr Sicherheit, aber sie gefährdet die Freiheit, indem sie die Grundrechte verletzt", sagt Hildenbrand. Denn es würden private Verhaltensweisen, Lebensäußerungen, Bewegungen, Aktivitäten und Beziehungen in unglaublichem Ausmaß festgehalten. Innenminister Strobl äußert die Ansicht, die Grünen wollten das endgültige Aus der Vorratsdatenspeicherung. Sckerl erklärte für die Fraktion, man würde sich "sehr unwohl fühlen, in Baden-Württemberg eine Ermächtigungsgrundlage für ein Gesetz zu schaffen, das unter Umständen in wenigen Monaten die Hürde der Verfassungsmäßigkeit nicht nimmt".

Immerhin dafür gibt es verhaltene Anerkennung von der SPD. Die hatte in ihrer Regierungszeit – je nach Zählweise – zwei oder drei Anti-Terror-Pakete auf den Weg gebracht. Unter anderem wurden 2015 nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar und die Terrorakte in Paris im November bereits zusätzliche Stellen beschlossen, sowie die Beschaffung von 3000 leistungsfähigen Maschinenpistolen und schweren Brustpanzern. Was Strobl unter "moderner Polizeiarbeit" versteht, geht sozialdemokratischen Innenpolitikern aber deutlich zu weit. Für Fraktionsvize Sascha Binder gibt es nicht einmal eine Antwort auf die Frage, wie eine Software, etwa um Messengerdienste mitzulesen, verfassungskonform ausgestaltet werden kann. Darum drücke sich die Regierung herum.

"Wer an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen geht, provoziert zwei Konsequenzen", muss sich der Innenminister von den Datenschützern ins Stammbuch schreiben lassen. Er überantworte "die Letztentscheidung zu sicherheitspolitischen Fragen dem Verfassungsgericht und er läuft Gefahr, Anlass und Zweck der Sicherheitsnovelle aus den Augen zu verlieren". Und noch ein Satz ist da zu lesen, der nur als Weckruf verstanden werden kann: "Ob die neu eingeführten beziehungsweise verschärften Sicherheitsinstrumente überhaupt auf die bereits beobachteten oder zu erwartenden terroristischen Gefahren in unserem Land abgestimmt und damit erfolgversprechend sind, ist aus unserer Sicht nicht zu erkennen."


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10 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 25.10.2017
    Antworten
    Tja "Steigbügelhalter" - da war doch was?

    [i]Datenschützer[/i]
    Wir, in unserer Grundschulklasse, haben uns nicht mit der _[b]A b l e n k a k t i o n[/b]_ der Konservativen abgefunden - _ihr_ Ablenken vom Wesentlichen!
    Wir, eingeschult 1961, haben den [b][i]Persönlichkeitsschutz[/b][/i] in den…
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