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Hurra, wir leben noch!

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Als starkes Team wollten sie groß rauskommen. Jetzt müssen Leni Breymaier und ihre Generalsekretärin Luisa Boos erst einmal die Scherben zusammenkehren und kitten, was in der SPD noch zu kitten ist.

Die Landesvorsitzende wundert sich über sich selbst. In der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin, keine zwei Stunden nach dem Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen, steht sie umringt von Mitarbeitern und einigen JournalistInnen und lacht laut auf bei der Frage nach den Herausforderungen, die da jetzt kommen werden. Nicht sarkastisch, nicht bitter, nicht überdreht. Es ist einfach ihr Breymaier-Lachen, bis sie sich unterbricht: "Ich weiß gar nicht, wieso ich noch immer so gut gelaunt bin." Sie weiß es doch: "Meine Lebensfreunde kann viel verkraften."

Sogar diese 16,4 Prozent, die den Tiefststand von 2009 noch einmal unterbieten und ein Minus von 4,2 Prozentpunkten gegenüber 2013 bedeuten. Da hilft es wenig, dass die CDU fast dreimal so viel verloren hat, dass die Sozialdemokraten mit ihrem Reißverschluss gleich viele Frauen wie Männer nach Berlin schicken, während die Schwarzen mit ihrem skandalösen Verhältnis von drei Frauen zu 35 Männern in der neuen Landesgruppe selbst hinter viele Entwicklungsländer zurückfallen. Und da hilft es auch nicht, dass der SPD in ersten Analysen weiterhin gute Kompetenzwerte in Fragen der Gerechtigkeit, der Familien- oder der Rentenpolitik zugeschrieben werden. Letzteres ist ein Leib- und Magenthema der früheren Landeschefin der Gewerkschaft Verdi. "Wir haben gewaltig eine auf den Deckel gekriegt", sagt Breymaier schon am Wahlabend und steht seither fest zu Martin Schulz' Entscheidung, in die Opposition zu gehen.

Und noch eine Entscheidung kommt bei den beiden Frauen vom Stuttgarter Wilhelmsplatz, wo der Landesverband zuhause ist, gut an. Andrea Nahles zur Fraktionschefin im Bundestag zu machen, hält Luisa Boos, Generalsekretärin der Südwest-SPD, ebenso für richtig. Und Leni Breymaier findet deutliche Worte an die Adresse der Nahles-Kritiker: "Man kann sich einen Batzen Teig nehmen und jemanden backen. Jung, unverbraucht, nie einen Kompromiss gemacht, 30 Jahre Erfahrung, frech und doch immer korrekt. Nahles hat als Arbeitsministerin einen sehr guten Job gemacht. Und sie wird eine gute Fraktionsvorsitzende sein. Mein Vertrauen hat sie."

Die beiden Frauen kämpfen für mehr Frauen in Spitzenpositionen. Das Duo kann sich gut vorstellen, dass die Noch-Bundesfamilienministerin Katarina Barley ins Amt der Generalsekretärin zurückkehrt. Was endlich mit einem alten Dogma aufräumen würde, denn die promovierte Journalistentochter und Juristin mit französischem Rechtsdiplom kommt wie Nahles aus Rheinland-Pfalz. Der Regionalproporz müsste bei dieser wichtigen Personalie zurückstehen. Breymaier ist ohnehin der Meinung, dass eine Partei, die von 20 Prozent aus bundesweit erfolgreich in neue Zeiten starten will, "vieles überdenken muss, strukturell und programmatisch".

Die Oldies Schröder und von Dohnanyi nerven

Abgesehen von einer großen Ausnahme. "Martin Schulz muss und wird bleiben", sagt Boos. Die Stimmung an der Basis sei eindeutig. Es gebe auch kritische Rückmeldungen, aber insgesamt eine "ganz klare Unterstützung". Breymaier hat sich unverzüglich mit jenen "Silberrücken" angelegt, wie es auf Facebook heißt, die Schulz zügig in die Wüste schicken wollen: "Ach, Klaus Karl Anton von Dohnanyi und Gerhard Schröder, könnt ihr euren Bedeutungsverlust nicht anders kompensieren, als der Partei vor und nach der Wahl ungebetene Ratschläge zu erteilen? Das nervt. Basta."

Digital und analog ungeklärt ist, mit welchem Schnitt die Erneuerung anfangen soll. Schulz' Kritiker verlangen einen Restart nach der so krachend verlorenen Bundestagswahl. Es gehe nicht um einen "Sündenbock", schreibt in seinem Online-Appell Marco Bülow, der Dortmunder Bundestagsrebell, der so oft gegen die Fraktionsführung gestimmt hat in der vergangenen Legislaturperiode wie kein anderer im Hohen Haus. 1800 Menschen haben den Text unterschrieben. Aber eine Erneuerung hält Bülow nur dann für "glaubwürdig, wenn nicht wieder die gleichen Leute, deren Strategie und Führung gescheitert ist, wichtige Positionen besetzen". Konkret zum Thema Nahles: Es sei unpassend, "dass neugewählte Abgeordnete schon vor der ersten Fraktionssitzung erfahren, wer sie zukünftig anführen soll".

Befeuert werden derartige Wortmeldungen von interessierten Kreisen, die der Sozialdemokratie noch nie nahestanden. ZDF-Talker Markus-Lanz und der frühere "Focus"-Chefredakteur Wolfram Weimer ("Der Steuerstaat mutiert zum gierigen Raubtier") haben sich schon im Mai die Stichworte zugeworfen, um Schulz – natürlich in Abwesenheit – zu bashen. Gleich nach der Bundestagswahl bekam Weimer eine zweite Gelegenheit zum Rundumschlag, kritisierte, dass der gescheiterte Spitzenkandidat nicht zurücktrat, sondern sogleich verkündete, die SPD in die Opposition zu führen. Ausgerechnet FDP-Chef Christian Lindner legte wenige Tage später nach und prophezeite Schulz das Verfallsdatum als Bundesvorsitzender: Ende Oktober. Mittlerweile hat Schulz klargemacht, dass er sich im Dezember beim Berliner Bundesparteitag zur Wiederwahl stellen wird.

Was die neugewählte Abgeordnete Breymaier, die dort für den Bundesvorstand kandidieren wird, nicht stört, weil gerade an der Fraktionsspitze "Erfahrung dringend notwendig" sei. Sie selber, sagt sie und schickt einmal mehr ihr Lachen hinterher, sei doch ein neuer Kopf im Bundestag, "und ich würde nicht einmal die Poststelle finden". Eine solche Form der Erneuerung "bringt gar nix, vor allem keine Glaubwürdigkeit". Und nach einer Analyse der Politikberatungsagentur "Pollytix", die am vergangenen Wochenende auf der Kreisvorsitzenden-Konferenz in Filderstadt diskutiert wurde, drängen ohnehin noch ganz andere Probleme: Im Wahlkampf konnten weder die Unterschiede zur Union ausreichend herausgearbeitet werden noch gab es eine Machtoption. Mehr noch: Die ging in nur wenigen Monaten schmerzlich verloren. Im März wünschten sich 47 Prozent der Befragten eine SPD-geführte Bundesregierung, und immerhin 44 Prozent erwarteten auch, dass es dazu kommt. Im September bekannten sich zum Wunsch gerade noch 33 Prozent und nur zehn Prozent erwarteten eine solche. Gebrochen wurde der Hype um Martin Schulz durch sein "Abtauchen" rund um den NRW-Wahlkampf. Davon habe sich die Sozialdemokratie in diesem Bundestagswahlkampf nicht mehr erholt.

Ob und wie sie sich danach aufrappelt, steht in den Sternen. Zumal in Oberschwaben oder am Bodensee mit den einstelligen Ergebnissen. Breymaier und Boos wissen nur zu gut, wie die fehlende parlamentarische Vertretung mit einer Ausdünnung der Strukturen vor Ort einhergeht. Eben erst wurde in Freiburg das Büro des ohne NachfolgerIn gebliebenen langjährigen Bundestagsabgeordneten Gernot Erler geräumt. Laut Statistischem Landesamt liegt die SPD nur noch in vier Städten im Land – Mannheim, Kehl, Rheinfelden und Heidenheim – über 20 Prozent. In Biberach sind es 13 Prozent, am Bodensee gerade noch 14, in Konstanz, Tübingen und auf der Baar keine 16. "Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen", sagt Breymaier dennoch und kann nur hoffen, dass sie recht hat.

Die Partei soll nach links rücken

Immerhin ist der Mitgliederzuwachs seit dem 24. September beachtlich. Boos kann 400 Neueintritte melden, bei 32 Austritten im gesamten September. Überhaupt decke sich die Stimmungslage nicht mit dem Ergebnis. "Wir sind noch nie so euphorisch in einen Wahlkampf gegangen", sagt die Generalsekretärin. Die bundesweit 20,5 Prozent seien ein "harter Rückschlag" gewesen, aber viele aus der Basis dennoch weiter "sehr motiviert". Was sich auch in Diskussionen im Netz niederschlägt. In vielen Posts verliehen Unterstützer ihrer Erwartung Ausdruck, dass die Partei wieder nach links rückt. Sabine Wölfle, die Emmendinger Landtagsabgeordnete, wünscht sich nicht mehr und nicht weniger als ein neues Grundsatzprogramm: "Wir brauchen mehr deutliche Visionen, wie die SPD eine solidarische Zukunft in und mit Europa gestalten will." Oder konkreter: Die Ergebnisse der Armuts- und Reichtumsberichterstattung müssen in eine Strategie für morgen münden.

Breymaier hat dieser Tage in ihrem Ortsverein einen neuen Genossen getroffen. Einen 22-jährigen Arbeiter, der motiviert mitarbeiten will. In den ungezählten Analysen, die im Südwesten nach den immer neuen Niederlagen angestellt wurden, konnte nie verlässlich geklärt werden, was oder wer diese Motivation vergleichsweise schnell lähmt. Sie selbst will als Beispiel für bessere Zeiten durchgehen. "Wildentschlossen" wollte sie um 26 Prozent plus X kämpfen in Baden-Württemberg, damals im Frühjahr, als der Schulz-Zug auf die Schienen gesetzt war. Ein halbes Jahr später, nach 16,4 Prozent, sagt sie: "Mein Enthusiasmus ist ungebrochen." Wie mehrheitsfähig das in der SPD ist, harrt noch der Erforschung.


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11 Kommentare verfügbar

  • Andromeda Müller
    am 17.10.2017
    Antworten
    Mit der SPD wird `s nix mehr. Der Zug ist schon seit Helmut Schmitt und Lafontaine komplett weg.
    Bei 90 % des kompletten Polit-Personals der transatlantischen Eliten wird mir persönlich übel. Ein paar Vernünftige lassen sich überall finden. Die bleiben aber fast immer über kurz oder lang auf der…
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