KONTEXT:Wochenzeitung
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"Wir werden das Klimaschutzziel verfehlen"

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Umweltschutz war nicht gerade der Renner im Wahlkampf. In einer Jamaika-Koalition wollen die Grünen trotzdem auf prima Klima und Kohleausstieg drängen. Ein Gespräch mit dem baden-württembergischen Umweltminister über Erwartungen an eine neue Bundesregierung, das Stuttgarter Feinstauburteil, den Windkraftausbau – und einen Sack Phosphordünger aus dem Baumarkt.

Herr Untersteller, im Bundestagswahlkampf spielte Umweltschutz kaum eine Rolle. Was macht das Thema so uninteressant?

Nicht bei allen war das so. Gerade die Grünen haben die Themen Klimapolitik und Energiewende prominent gefahren. Wir hatten es aber durchaus schwer, damit durchzudringen und es zu einem für die Öffentlichkeit relevanten Thema zu machen. Obwohl gerade während des Wahlkampfs die gewaltigen Wirbelstürme Harvey und Irma eine Spur der Verwüstung durch die Karibik zogen. Doch man kann nichts erzwingen. Wir haben jedenfalls alles versucht, Umwelt- und Klimaschutz ihren angemessenen Stellenwert zu geben.

Vielleicht trauen viele Wählerinnen und Wähler den Grünen nicht mehr zu, sich kompromisslos für die Umwelt ins Zeug zu legen? Man denke nur an den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann, der sich zusammen mit den Autobossen für den Diesel stark macht.

Da hilft vielleicht ein Vergleich auf Länderebene. Etwa mit Nordrhein-Westfalen, wo seit Frühsommer Schwarz-Gelb regiert. Dort wird daran gedacht, das Klimaschutzgesetz abzuschaffen, die Energieeffizienzstandards für Gebäude einzufrieren, et cetera. Wo die Grünen mit in der Regierung sind, in Schleswig-Holstein oder hier bei uns Baden-Württemberg, könnte ich Dutzende Gesetze und Programme aufzählen, die wir zum Klimaschutz auf den Weg gebracht haben. Da brauchen wir uns sicher nicht zu verstecken.

» Ich halte es für unbedingt notwendig, in der Klimapolitik nicht nur eine Schippe draufzulegen, sondern in den kommenden vier Jahren kräftig zuzupacken.


Nun sollen Grüne aber mit Schwarzen und Gelben in Berlin zu einer Jamaika-Koalition zusammenfinden. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Es sieht so aus, als würden wir in Berlin mitverhandeln, das ist schonmal wichtig. Und ich halte es für unbedingt notwendig, in der Klimapolitik nicht nur eine Schippe draufzulegen, sondern in den kommenden vier Jahren kräftig zuzupacken. Sowohl im Strom- und Wärme- als auch im Verkehrssektor. Bei Strom macht ein Ausbaudeckel für Photovoltaik und Windenergie keinen Sinn, wenn die Stromerzeugungskosten dieser Energieformen schon heute niedriger als die von neuen Kohle- oder Gaskraftwerken sind. Wir müssen den Ausstieg aus der Kohle konkretisieren. Wir brauchen höhere Quoten bei der energetischen Gebäudesanierung. All dies muss in der nächsten Legislaturperiode forciert werden. 

Zurück ins Land: Wird die Stuttgarter Landesregierung gegen das Feinstaub-Urteil des Stuttgarter Landgerichts klagen, das Fahrverbote für ältere Selbstzünder verlangt?

Nach meinem Kenntnisstand wird dieses Urteil derzeit in den dafür zuständigen Ministerien, dem Verkehrs- und dem Staatsministerium, auf Fachebene geprüft. Anfang Oktober soll dann entschieden werden, wie damit verfahren wird.

Deutschland wird sein Klimaschutzziel 2020, 40 Prozent weniger Kohlendioxidausstoß im Vergleich zu 1990, wohl krachend verfehlen. Experten erwarten, dass es am Ende nur zu minus 30 Prozent reicht. Wie sieht es in Baden-Württemberg aus, wo der CO2-Ausstoß um mindestens 25 Prozent sinken soll?

<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik kein-gruenes-klima-4422.html _blank external-link>Auch wir werden unser Klimaschutzziel verfehlen. Wie weit, hängt davon ab, woher wir den Strom beziehen, wenn Block II des Kernkraftwerks Philippsburg Ende 2019 stillgelegt wird. Die Anlage produziert bislang zehn Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Im günstigsten Fall weichen wir um etwa 2,3 Prozent ab. Im schlimmsten Fall um 6,7 Prozent, wenn der Strom aus Block II komplett durch Strom aus alten Kohlekraftwerken ersetzt wird, wovon ich aber nicht ausgehe. Vieles hat auch seine Ursache in Dingen, auf die wir auf Länderebene keinen Einfluss haben.

Ein Drittel unserer CO2-Emissionen stammt aus Anlagen, die dem europäischen Immissionshandel unterliegen. Und dieser funktioniert nicht, weil der Preis für eine Tonne CO2 bei sechs Euro liegt. Dies schafft keinen Anreiz, die Finger von der Kohle zu lassen, sondern führt vielmehr dazu, dass so viel Kohle wie nie zuvor verfeuert wird. Da kann ich als Landesumweltminister nur untätig zuschauen. Es geht darum, einen Mindestpreis für Zertifikate zu bestimmen, den Kohleausstieg in Deutschland umzusetzen und zeitgleich die freiwerdenden Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Allerdings habe ich nur wenig Hoffnung, dass wir dies auf europäischer Ebene hinbekommen. Sprich, dass Polen und die osteuropäischen Staaten einen echten Reformschritt beim Emissionshandel mittragen, obwohl wir heute schon drei Milliarden Zertifikate zu viel im Markt haben.

Der landeseigene Versorger EnBW will aus fossiler Stromproduktion aussteigen und setzt auf regenerative Energien. Doch überall, wo ein Windrad errichtet werden soll, gibt es Widerstand, Naturschutzverbände ziehen vor Gericht, sobald ein Greifvogel über dem Bauplatz kreist. Muss man die Windkraft in Baden-Württemberg abschreiben?

Wir haben im letzten Jahr einen Zubaurekord von 120 Windkraftanlagen mit über 300 Megawatt Leistung erzielt. Diesen werden wir im laufenden Jahr noch übertreffen. Aber ab 2018 bricht der Zubau mit Sicherheit ein. Das liegt nicht am Widerstand vor Ort, sondern an den Rahmenbedingungen, die die bisherige Bundesregierung in Berlin gesetzt hat. Wenn die Ausschreibungen für neue Wind- und Solaranlagen so gestaltet sind, dass wir in Süddeutschland benachteiligt sind und Baden-Württemberg bei den ersten Ausschreibungsrunden gar nicht zum Zug kommt, dann hat sich das Thema Windkraft tatsächlich schnell erledigt. Fakt ist: wir haben höhere Standortentwicklungskosten als in Norddeutschland. Aber wir haben auch sehr gute windhöfige Standorte. Das zeigt der jüngste Rekord an Windstromleistung von über 1000 Megawatt. Wir sind ein Bundesland mit einem Stromverbrauch von 80 Milliarden Kilowattstunden Strom, von denen früher die Hälfte durch Atomkraftwerke abgedeckt wurden. Irgendwoher muss schließlich der Strom kommen, der bei Industrie und Verbrauchern aus der Steckdose kommt. Dazu brauchen wir in Deutschland einen halbwegs gleichmäßigen Ausbau der Windenergie.

» Irgendwoher muss schließlich der Strom kommen, der bei Industrie und Verbrauchern aus der Steckdose kommt. Dazu brauchen wir in Deutschland einen halbwegs gleichmäßigen Ausbau der Windenergie.


In Bayern hat die CSU auf Basis der sogenannten Öffnungsklausel die 10-H-Regel eingeführt, den Mindestabstand zu Wohngebieten vom Zehnfachen der Rotorhöhe, was den Windkraftausbau drastisch beschränkt. Der Meßstettener CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß will auch hierzulande größere Mindestabstände. Wie halten Sie Ihren Koalitionspartner davon ab?

Von dieser Klausel hat nur Bayern Gebrauch gemacht. Der Zug ist längst abgefahren. Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner verständigt, dass der bisherige Windkrafterlass so bleibt wie er ist: dass wir Mindestabstände von 700 Meter haben, und dass vor Ort planungsrechtlich nach oben abgewichen werden darf – auf 800, 900 und mehr Meter. Das war auch schon unter Grün-Rot so, dass etliche Anlagen nur mit höheren Mindestabständen genehmigt wurden. Bei einer 10-H-Regel wie in Bayern wäre das Thema Windenergie hierzulande schlicht tot.

Baden-Württemberg hat seit dreieinhalb Jahren den Nationalpark Schwarzwald, wo die Natur sich entwickeln kann, wie sie will. Gegen eine "Wildnis" im Musterländle ging zunächst auch die CDU auf die Barrikaden. Wie sieht dies heute aus?

Ich bin sehr froh, dass wir in der zurückliegenden Legislaturperiode als letztes Flächenland einen Nationalpark eingerichtet haben. Das Projekt entwickelt sich sehr gut, wir haben im vergangenen Jahr mehrere Module wie Wegekonzept, Waldmanagement und Verkehrskonzept entwickelt. Ich habe den Eindruck, dass der Nationalpark inzwischen auch in der Region immer mehr akzeptiert wird. Ich kann mich noch gut erinnern, wie es vor zehn Jahren heftigen Widerstand gegen die Einrichtung eines Biosphärengebiets auf der Schwäbischen Alb gab. Heute, zwei Jahre vor der Rezertifizierung durch die UNESCO, haben wir die Situation, dass rund 30 Kommunen Teil des Biosphärengebiets werden wollen. Darunter auch einige der Kommunen, die anfangs nicht mitmachen wollten. So eine ähnliche Entwicklung werden wir sicher auch beim Nationalpark sehen. Neben den Vorteilen beim Naturschutz wird der Park auch viele Vorteile für die Region bringen, insbesondere im Tourismus.

Die Grünen kommen aus der Anti-Atom-Bewegung. Nun beziehen Sie als grüner Umweltminister gerade Prügel von Atomkraftgegnern: Man wirft Ihnen vor, Sie würden beim Rückbau der AKWs Philippsburg und Neckarwestheim Abbruchmaterial viel zu sorglos freimessen lassen, das dann als strahlender Müll auf den Deponien landet.

Ich kann mich darüber nur wundern. Es ist ein Riesenerfolg der Grünen und der Umweltbewegung, dass wir den Atomausstieg durchgesetzt haben. Zu diesem Erfolg gehört auch, dass man Verantwortung übernimmt, sobald die Anlagen abgebaut werden mit dem Ziel einer "grünen Wiese" als Endzustand. Ich bin nicht dafür zu haben, Ruinen zu erhalten, über die in einigen Jahrzehnten diskutiert wird, wer deren Abriss finanziert. Im Übrigen verlangt auch das Atomgesetz, dass diese Anlagen abgebaut werden. Was bleibt von einem AKW? 98 Prozent der Abfälle gehen ganz normal in den Wirtschaftskreislauf, ein Prozent sind schwach- und mittelradioaktiv, und ein Prozent gehen über ins normale Abfallrecht, wenn sie eine Belastung von unter 10 Mikrosievert haben. Wenn man weiß, dass jeder von uns im Jahr 4000 Mikrosievert durch natürliche Strahlung ausgesetzt ist, der Eisverkäufer auf der Stuttgarter Königstraße innerhalb 24 Stunden durch den Granitbelag ebenfalls 10 Mikrosievert abbekommt, dann verstehe ich die Aufregung einfach nicht. Wir gehen keine relevante zusätzliche Gesundheitsgefährdung ein, was auch die Strahlenschutzkommission bestätigt, in der auch Mediziner sitzen. Der Sack Phosphordünger, den ich im Baumarkt kaufe, strahlt mehr als der freigemessene AKW-Bauschutt. Das sagt doch alles. Deshalb wünsche ich mir in dieser Thematik eine deutlich sachlichere Debatte.

Keine Freunde haben Sie sich unter den AKW-Gegnern gemacht, als Sie die Castor-Schiffstransporte von Obrigheim nach Neckarwestheim genehmigt haben. Ihre Kritiker hätten die Brennstäbe lieber vor Ort gelagert.

Die Idee, auf ein Zwischenlager in Obrigheim zu verzichten, geht auf einen Vorschlag von mir aus dem Jahr 2006 zurück. Zwei Zwischenlager für hochradioaktiven Abfall sind doch sinnvoller als drei, um Risiken zu reduzieren. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Nach dem Automausstieg 2011 hat die EnBW diesen Vorschlag aufgegriffen und entschieden, die 342 Brennelemente aus Obrigheim in 15 Castoren nach Neckarwestheim zu bringen. Im Übrigen bin nicht ich für die Genehmigung der Castor-Transporte zuständig, sondern das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit. Als Atomaufsicht muss mein Ministerium dann die Einhaltung der Genehmigungsbedingungen überwachen. Im Übrigen habe ich mit dem <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik strahlende-fracht-4226.html _blank external-link>Transport auf dem Neckar kein Problem. Denn unter Sicherungsgesichtspunkten ist der Wasserweg eindeutig besser als der Straßenweg. Ein Castor ist auf einen Druck von 150 Meter Wassertiefe angelegt. Die Fahrrinne des Neckars ist im Schnitt 2,80 Meter tief. Da haben wir also noch ausreichend Reserve.

Apropos hochradioaktiver Atommüll: wird im Südwesten ein Endlager gebaut?

Das Orakel sitzt bekanntlich in Delphi, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Zunächst ist es ein Erfolg von Ministerpräsident Kretschmann, dass nach 2011 überhaupt eine neue Debatte über die Endlagersuche in Gang gekommen ist. Das Ergebnis ist das Endlagersuchgesetz. Vor wenigen Wochen hat die erste Stufe der Suche begonnen, die in absehbarer Zeit mit der Veröffentlichung einer Liste potentieller Suchräume endet. Selbstverständlich kann ich nicht ausschließen, dass darunter auch Flächen in Baden-Württemberg sind, die dann näher untersucht werden. Es gilt dann zu schauen, welcher Standort bundesweit sich bis Anfang 2030 entlang wissenschaftlicher Kriterien als der bestgeeignete für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle herausstellt. Es braucht dann nochmals mindestens 20 Jahre für den Bau des Endlagers. Und dann nochmals etliche Jahre für den Abtransport der Castoren aus den Zwischenlagern. Ich prophezeie schon heute, dass die meisten Castoren auf der Wasserstraße ihren endgültigen Bestimmungsort erreichen werden.


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5 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 03.10.2017
    Antworten
    Auf der 3. UN-Klimakonferenz in Kyoto 1997 einigten sich die teilnehmenden Staaten auf Referenzwerte als Basis für die Reduktion von Treibhausgasen. Allerdings trat dieses Abkommen erst 2005 in Kraft (der politische Laie reibt sich die Augen und wundert sich). Es folgten Jahre der Diskussion und…
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