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Stuttgart 21 steckt fest

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Offiziell soll der neue Stuttgarter Tiefbahnhof noch immer im Dezember 2021 in Betrieb gehen. Doch auf vielen Baustellen des Bahnprojekts stockt es wegen laufender Klagen und Vergaben. Nun stoppt die Bahn sogar einen eigenen Bauantrag.

Es war eine eindeutige Ansage des neuen Bahnchefs. Er sei "finster entschlossen", Stuttgart 21 zu Ende zu führen, betonte Richard Lutz während der Bilanzpressekonferenz des Staatskonzerns Ende März in Berlin. "Wir sind entschlossen, das umzusetzen, und wir werden es machen im Rahmen der Kosten und im Rahmen der Terminpläne, die wir vereinbart haben", erläuterte der Vorstandsvorsitzende auf Nachfrage von Journalisten, ob das umstrittene Großprojekt ein gutes oder böses Ende nehmen werde. Der neue Tiefbahnhof und die Tunnelstrecken sollen im Dezember 2021 in Betrieb gehen, der Kostenrahmen von 6,5 Milliarden Euro eingehalten werden. "Das ist unsere Aufgabe, unser glasklares Commitment", versicherte Lutz damals. Interne Gutachten gäben die entsprechende Sicherheit für solch einen Optimismus.

Kaum einen Monat später trübte sich das "glasklare Versprechen" bereits ein. Während der Lenkungskreissitzung am 28. April in Stuttgart, an der erstmals auch der neue Bahn-Vize Ronald Pofalla teilnahm, verkündete Manfred Leger den Projektpartnern zwar reichlich Erfolgsmeldungen zu Tunnelvortrieben und Auftragsvergaben. In seinem Statusbericht musste der Geschäftsführer der bahneigenen Projektgesellschaft (PSU) aber auch etliche Hiobsbotschaften einstreuen. Zwar rechne man weiter mit dem genehmigten Investitionsbudget, dem sogenannten Gesamtwerteumfang (GWU), von 5,987 Milliarden Euro. Allerdings betrage der Gegensteuerungsbedarf inzwischen 521 Millionen Euro, so eine der schlechten Nachrichten.

Der Filderabschnitt entwickelt sich zum immer höheren Terminrisiko

Während die Kosten im Eilzugtempo davonsausen, geht es in manchen Bauabschnitten dagegen wie im Bummelzug voran, musste Leger gegenüber Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide Grüne) eingestehen. Beim Tiefbahnhof hinkt man noch immer zwei Jahre hinterher, trotz eines gebetsmühlenhaft wiederholten Einsparpotenzials von einem Jahr. Inzwischen erweisen sich angeblich die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) als Bremser, schob Leger den schwarzen Peter anderen zu. Der städtische Verkehrsbetrieb muss für S 21 unter anderem die unterirdische Stadtbahn-Haltestelle Staatsgalerie am Südkopf des Bahnhofstrogs aufwendig verlegen.

Zu einem immer größeren Terminrisiko entwickelt sich auch der Filderabschnitt, der den Bahnknoten an den Stuttgarter Flughafen und die Neubaustrecke nach Ulm anbinden soll. Die Baugenehmigung, die sogenannte Planfeststellung, erteilte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) bereits im Juli 2016. "Im Planfeststellungsabschnitt 1.3a weitere Herausforderungen durch Klagen", heißt es dazu lapidar in den Unterlagen der jüngsten Lenkungskreissitzung. Im dazugehörenden Terminplan deutet ein gestrichelter Pfeil einen möglichen Zeitverzug von anderthalb Jahren an. Die ersten Züge aus dem Talkessel könnten damit erst im Herbst 2023 in den neuen Bahnhof der Neubaustrecke einfahren.

Derzeit sind beim 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (VGH) drei im August, Oktober und November 2016 eingegangene Klagen gegen den Filderbahnhof anhängig. Zwar wies der Senat Mitte Februar die aufschiebenden Eilanträge zweier Kläger, die der Schutzgemeinschaft Filder und des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), zurück. Doch ohne Urteil hat die "sofortige Vollziehbarkeit" der Planfeststellung juristisch gesehen keine Bestandskraft. Sprich: das Gericht könnte die Baugenehmigung noch kassieren, auch wenn bereits fleißig betoniert wird. Ein Risiko, das die Bahn nicht eingehen will. Bislang wurden vor Ort vor allem Bäume und Sträucher gerodet. "Die laufenden Klagen verzögern die Vergabe der Hauptbauleistung", bestätigt ein Bahn-Sprecher. Aktuell seien die bauvorbereitenden Leitungsverlegungen in Umsetzung, ergänzt er. Ursprünglich sollte bereits in diesem Frühjahr der Rohbau von Bahnhof und Tunnels starten.

Arten- und Lärmschutz bremsen Abstellbahnhof Untertürkheim aus

Die Betonmischer werden weiter warten müssen. Nach Kontext-Informationen befinden sich alle drei Klagen noch im vorbereitenden Verfahren. Auch wenn die Bahn regelmäßig in Mannheim mit der Bitte um Prozessbeschleunigung vorstellig wird – die Verfahren könnten sich noch länger hinziehen als gedacht. Der Grund ist personeller Art: Der bisherige Berichterstatter des VGH-Senats ist Ende Juli ausgeschieden. Seine Nachfolgerin hat ihren Dienst erst Anfang September angetreten. Sie muss sich zunächst durch umfangreiche Aktenberge arbeiten.

Wann mit mündlicher Verhandlung und zudem mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist derzeit nicht absehbar, heißt es aus Mannheim. Doch das ist nicht das einzige juristische Damokles-Schwert, das über Stuttgart 21 baumelt. Ende August gingen beim VGH zwei weitere Klagen gegen das Bahnprojekt ein. "Eine Klage betrifft die 25. Planänderung im PFA (Planfeststellungsabschnitt, die Red.) 1.5 Tunnelzuführungen Feuerbach und Bad Cannstatt 'Straßenführung und Rettungsbauwerk Wolframstraße', die andere die 12. Planänderung im PFA 1.6a Tunnelzuführungen Unter-und Obertürkheim, 'Anpassung Interregio-Kurve'", so ein Gerichtssprecher. Wann hier mit einer Entscheidung zu rechnen ist, steht ebenfalls noch in den Sternen.

Alles andere als geschmiert läuft es auch im PFA 1.6 b, der den Abstellbahnhof im Stadtbezirk Untertürkheim umfasst. Für ihn hatte die Bahn erst am 7. April die Planfeststellung beim Eisenbahn-Bundesamt beantragt, wie auch in der Lenkungskreissitzung betont wurde. Nach Kontext-Informationen ruht das Genehmigungsverfahren allerdings zurzeit – auf Wunsch der Bahn.

Damit entwickelt sich der Bau der Wartungs- und Reinigungsanlagen zur unendlichen Geschichte. Der erste Entwurf stammt von 2004 und wurde öffentlich ausgelegt, ehe er im Jahr 2010 von der Bahn zurückgezogen wurde. 2014 präsentierte der Schienenkonzern dann neue Überlegungen für den Servicestützpunkt, der auf den Flächen des ehemaligen Untertürkheimer Güterbahnhofs entstehen soll. Damals wollte die Bahn dann Ende 2016 mit den Hauptbauarbeiten beginnen. Einen Strich durch die Planungen machten jedoch <link https: www.google.de internal-link-new-window>Mauereidechsen, die zwischen den Bahndämmen leben. Für die streng geschützten Reptilien ließ sich bis heute keine ausreichende Anzahl von geeigneten Ersatzflächen finden, auf die sich die Population von geschätzt 4000 bis 6000 Tiere umsiedeln lässt. Zudem zwang der Schutz der Anwohner vor Lärmbelästigungen zu Umplanungen.

Noch immer fehlen für viele Baustellen Baugenehmigungen

Doch nicht nur Arten- und Lärmschutz bremsen den Abstellbahnhof aus. Nach der Vergabe der Stuttgarter Nahverkehrsnetze an die Bahnunternehmen Go-Ahead und Abellio schrumpft der Fuhrpark der unterlegenen Bahntochter DB Regio gewaltig. Ab 2019 werden die beiden Anbieter aus England und Holland insgesamt 87 neue Regionalzüge zwischen Stuttgart und den umliegenden Städten einsetzen – das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte im April 2016 eine Klage der Bahn gegen den Zuschlag an die private Konkurrenz in letzter Instanz abgewiesen. Zunächst hatten sich Go-Ahead und Abellio bemüht, ihre Zuggarnituren auf dem Servicebahnhof in Untertürkheim zu warten. Dies scheiterte jedoch offenbar an den überzogenen Preisvorstellungen der Bahn. Stattdessen bauen die beiden Unternehmen nun eigene Wartungsstützpunkte in der Region, unter anderem in Crailsheim und Essingen bei Aalen.

"Es droht der Fall, dass die Bahn AG bei Stuttgart 21 einen überdimensionierten Abstellbahnhof baut", hatte BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer nach der abgewiesenen Klage 2016 Bedarf und Größenordnung des Untertürkheimer Abstellbahnhofs hinterfragt. Dies hatte die Bahn damals noch bestritten, und die Planungen unverändert vorangetrieben. Inzwischen scheint den Verantwortlichen doch noch ein Licht aufgegangen zu sein. "Der Planfeststellungsantrag des PFA 1.6b ruht aktuell, da es offene Punkte in der technischen Planung gibt, die sich durch die Vergabe von Verkehrsleistungen an andere Eisenbahnverkehrsunternehmen als die DB ergeben haben", sagt nun ein Bahnsprecher auf Kontext-Anfrage. Auch wegen offener Punkte im Artenschutz müsse der Antrag überarbeitet werden.

Daneben kämpft die Bahn auf weiteren Baustellen des Großprojekts mit fehlenden Baugenehmigungen. Auf der Lenkungskreissitzung im Frühjahr informierte PSU-Geschäftsführer Leger die Projektpartner über mehr als ein Dutzend Planänderungsanträge, auf deren Genehmigung die Bahn zum damaligen Zeitpunkt noch wartete. Für alle Anträge erwarte man grünes Licht durch das EBA zwischen Mai und August dieses Jahres, heißt es in den Sitzungsunterlagen der Bahn. Das war offenbar viel zu optimistisch: "Aktuell laufen 16 Planänderungsverfahren. Hierzu gehören die Anpassung der Fluchttreppenhäuser im künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof, Umstellungen von Trocken- auf Nasslöschwasserleitungen in den Tunneln, Anpassungen am Rosensteinportal am Neckar oder Anpassungen an der Anschlussstelle Wendlingen der A 8", sagt der Projektsprecher. Die Verfahren befänden sich in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung. "Ein jeweiliges Enddatum kann daher nicht benannt werden", so der Sprecher.

Immer mehr Zweifel an rechtzeitiger Fertigstellung

Selbst bei der Gäubahn-Anbindung, die wegen aufgelaufener Planungsdefizite aus dem Filderabschnitt PFA 1.3 herausgenommen wurde, nun PFA 1.3b heißt und erst Ende 2023 in Betrieb gehen soll, kämpft die Bahn mit unerwarteten Verzögerungen. Für den Abschnitt läuft derzeit das Anhörungsverfahren beim Regierungspräsidium Stuttgart. Ursprünglich sollten betroffene Bürgerinnen und Bürger bis einschließlich 1. August Gelegenheit haben, sich zu den Plänen zu äußern. Eine Gesetzesänderung verlangte jedoch kurzfristig eine Verlängerung der Frist: Einwendungen können nun noch bis einschließlich 15. September eingereicht werden.

Bis heute spricht die Bahn offiziell noch immer davon, im Dezember 2021 den neuen Bahnhof seiner Bestimmung zu übergeben. Offenbar zweifeln die Projektpartnern immer stärker daran. Am Ende der jüngsten Lenkungskreissitzung wollte Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn deshalb von Bahn-Vize Pofalla wissen, wann Stuttgart 21 tatsächlich fertig wird: "Ob 2022, 2023 oder wann auch immer", so Kuhn am 28. April. Man habe schließlich in der Stadt Anschlussprojekte wie die Oper oder die Internationale Bauausstellung, für die der Termin elementar sei. Roland Pofalla versprach Kuhn daraufhin, "in den nächsten zwölf Monaten" ein verbindliches Datum für die Inbetriebnahme des Milliardenprojekts zu nennen. 


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7 Kommentare verfügbar

  • Katharina Georgi
    am 10.09.2017
    Antworten
    Also, wenn Kanzlerin Merkels Worte aus dem Jahr 2010 wirklich stimmen, dass Stuttgart 21 für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands steht, dann gute Nacht, Deutschland! Vielleicht sollte man dies bei der bevorstehenden Wahl berücksichtigen.
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