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Grün geblieben

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Viele PolitikerInnen, die etwas auf sich halten, touren im Sommer. Mindestens eine Woche lang. Winfried Hermann tourt mit besonders schwerem Tornister. Auch weil der grüne Verkehrsminister Stuttgart-21-Gegnern nach dem Rastätter Desaster wenig zu bieten hat.

Der einstige Studienrat sieht sich "auf dem richtigen Weg für Mobilität von morgen". Im Bottwartal und im Zabergäu, auf der Heidelberger Zeppelinstraße, die Teil des neuen Radschnellwegs nach Mannheim werden könnte, oder im Nationalpark Nordschwarzwald – überall wirbt Winfried Hermann für Konzepte, die den Individualverkehr eindämmen sollen. Er hat auf seiner Sommertour mit dem Spaten gestochen, Bänder durchschnitten und in Rastatt die Tunnelhavarie an der wichtigsten europäischen Nord-Süd-Magistrale der Bahn in Augenschein genommen. Nur um Stuttgart 21 macht der inzwischen 65-Jährige einen großen Bogen. Nach 35 Jahren bei den Grünen ist der politische Instinkt ausreichend hoch entwickelt, um die Grenzen eigener Spielräume zu erkennen.

Eine Verbindung zieht der Verkehrsminister nicht vom Rastatter Rheinkies zum Gipskeuper in Neckarnähe, obwohl – oder gerade weil – viele Parallelen auf der Hand liegen. Zum Beispiel der Umstand, dass "hier wie da die schwierigsten Bauabschnitte möglichst zuletzt angegangen werden", wie Klaus Gebhard auf der 383. Montagsdemo am Stuttgarter Schlossplatz ausführte. Die Einschätzungen des Diplomingenieurs, der 2009 die Parkschützer mitgründete, sind schon allein deshalb von besonderem Gewicht, weil er seine "anfängliche Begeisterung" für die Trassenführung auf der Neubaustrecke Stuttgart–Ulm nie verheimlicht hat.

Diese hat sich jedoch schnell gelegt. Seit Jahren warnt und mahnt er, analysiert und prangert an. Aktuell die "höchst unseriöse Reihenfolge der Baumaßnahmen, die den gemeinen Nebeneffekt hat, dass dadurch alle umstrittenen Projekte in den Augen der Mehrheit schneller unumkehrbar erscheinen." In Rastatt sei "diese aufgesparte härteste Nuss die Unterbohrung bei laufendem Bahnverkehr und minimaler Bodenüberdeckung in sehr lockerem Flussgrund" gewesen. Und in Stuttgart unterquerten die geplanten Tunnelröhren den Neckar, und zwar in höchst durchlässigem Kies.

Natürlich weiß Hermann das alles. Er ist Kritiker des Projekts seit 23 Jahren. Der Grüne und erst recht der gemäßigte Fundi in ihm würden wohl noch viel härtere Formulierungen finden. Der Minister aber verpuppt sich. "Es war viele Jahre lang eines der Hauptargumente gegen Stuttgart 21, dass es äußerst riskant ist, unter einer Großstadt ein so großes Tunnelprojekt zu bauen", sagt er im Gespräch mit Kontext. Und weiter: "Schon allein deshalb hätte meiner Ansicht nach eine andere Lösung gesucht werden müssen." Aber dies sei Vergangenheit, die Tunnel seien jetzt zur Hälfte fertig "und passiert ist nichts".

Hermann weiß, wie Reibung geht

Das Ministerium nimmt für sich in Anspruch, "sehr genau" nachzufragen, zum Beispiel beim Bohren im Gipskeuper. "Absolute Trockenheit" müsse sichergestellt sein. Einen Baustopp im Talkessel, wie er von der Linkspartei und vielen anderen gefordert wird, bezeichnet er als "kein adäquates Vorgehen". Vielmehr erwartet Hermann, "dass die Havarie beim Rastatter Tunnel die Experten in Stuttgart sensibilisiert für Risiken". Der offene Konflikt ist also, vorerst jedenfalls, seine Sache nicht.

Dabei hat er jede Menge Übung darin, internen Ärger zu verkraften. Der frühere Politik-, Sport- und Deutschlehrer gehörte zu jenen sieben Grünen im Bundestag – drei davon aus Baden-Württemberg –, die 2009 die Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan ablehnten. Nicht zuletzt mit dem Argument, dass der zivile Aufbau zu kurz komme und eine Polizeiausbildung von acht Wochen angesichts einer Analphabetenrate von 70 Prozent unter den Bewerbern entschieden zu kurz sei. Missbilligt hat er die janusköpfige Offensivstrategie, dieselben Leute zu jagen und auszuschalten, die doch andererseits zum Verhandeln aufgefordert wurden. Da war der Riss, der hier durch die Partei ging, schon acht Jahre alt. Denn selbst in Regierungszeiten mochte sich der ehemalige Landtagsabgeordnete vom Fundi-Flügel nicht beugen.

Vielerorts ist vergessen, wie groß die Zahl jener war, die die Grünen verließen, als sich Joschka Fischers "militärische Logik" (Hermann) durchsetzte. Sogar Bundestagsabgeordnete wechselten zur Linken, andere zogen sich aus der Politik zurück. Der gebürtige Rottenburger Hermann blieb, löckte immer wieder gegen den Stachel und stach 2011 Werner Wölfle und Boris Palmer aus, die – nach gemeinsam mit Bravour gemeisterter Schlichtung – als Verkehrsminister im Gespräch waren. "Ich gebe", sagte der frischgebackene Minister, der als Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag nach Stuttgart kam, "eine wichtige parlamentarische Position zugunsten eines möglichen Schleudersitzes auf."

Da war die Hoffnung auf eine chancengerechte Volksabstimmung noch groß und eine Mehrheit gegen das "absurde Milliardenprojekt", wie Hermann es damals noch nannte, keineswegs utopisch. Zugleich hatte ers eine pragmatische Option für den Fall der Niederlage parat: "Ich werde dann sicher nicht die Speerspitze der Bewegung sein, aber gerade als Minister werde ich für unsere grüne Position werben." Schließlich sei in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD nicht möglich gewesen, "einen inhaltlichen Kompromiss – etwa: Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm ja, Untergrundbahnhof nein – zu finden". Hermann dachte sogar laut darüber nach, dann die Projektbegleitung an ein anderes Ressort abzugeben.

Wozu es bekanntlich nicht kam. Stattdessen mühte er sich vergeblich, die Deutungshoheit nicht nur gegenüber der Opposition zu behalten. Die CDU verunglimpfte ihn regelmäßig, die Bezeichnung "Geisterfahrer" war noch eine der sanfteren. Für die FAZ war Winne H. "der letzte Sponti". Auch die Sozialdemokraten warfen ihm immer neue Knüppel zwischen die Beine. Zu Fall brachten sie ihn nicht, aber die Wege wurden beschwerlich. Und sie wurden auch nicht leichter dadurch, dass in der Villa Reitzenstein alsbald eine Variante der Marxschen Erkenntnis Einzug hielt, wonach herrschaftliches Sein das Bewusstsein bestimmt. 

Wenigstens einer hat die Gesundheit im Blick

Immerhin bekannte der weltweit erste und einzige grüne Regierungschef noch im Herbst 2012, er werde sich bei einem Scheitern von Stuttgart 21 "auf jeden Fall heimlich freuen" und vielleicht sogar öffentlich. Er habe aber gelernt, sagte Winfried Kretschmann damals, in mehr als drei Jahrzehnten in der Opposition "Niederlagen anzunehmen wie eine zweite Haut". Viele der Stuttgart-21-Aktivisten hätten dagegen so etwas wie die krachende Niederlage beim Volksentscheid zum ersten Mal in ihrem Leben mitgemacht. Das wirke "auf die zwangsläufig anders als auf einen alten Kämpen wie mich, der schon Hunderte davon einstecken musste". Und er empfahl, den Frust, der immer damit verbunden sei, "als reifer, erwachsener Mensch" auszuhalten. Da war der Regierungschef aber ohnehin schon der Buh- und Watschenmann der Bewegung, ihr Lieblingsfeind.

Winfried Hermann hatte sich redlich bemüht um realistische Bewertung des umstrittenen Stresstests. Hätte er dabei Kretschmann an seiner Seite gehabt, wäre es womöglich gelungen. Die Diesel-Debatte derzeit läuft ähnlich: Mit seinem scharfen Blick auf die Gesundheit der Menschen stünde er ganz anders da, stünde ihm der Ministerpräsident genauso unverbrüchlich bei wie in der Endphase des grün-schwarzen Koalitionspokers von 2016, als die CDU Hermann unbedingt abschießen wollte. Es müsse doch in erster Linie um den Schutz der Gesundheit und um saubere Luft gehen, sagt der Verkehrsminister und stellt sich gegen diejenigen "im politischen Raum, die sagen, es dürfe auf keinen Fall Fahrverbote geben. Die blaue Plakette und Hardware-Nachrüstungen sind aber angeblich auch nicht machbar."

Und er fragt: "Wo sind die Alternativen zu Fahrverboten, wenn es darum geht, Grenzwerte für Luftschadstoffe einzuhalten, die schon seit Jahren deutlich überschritten werden?" Wo, fragt er weiter, blieben die raschen Investitionen in E-Taxen und E-Busse? Oder in Shuttle-Lösungen, für die zum Beispiel auf der B 14 in Stuttgart eine Spur reserviert werden könnte? O-Ton Hermann: "Wer Fahrverbote nicht will, muss nachweislich genauso taugliche Alternativen für eine wirksame Luftreinhaltung bringen."

Mit Botschaften wie dieser zieht der Minister weiter durchs Land. Noch ein paar Tage und im Wissen, dass die Zustimmungswerte für seine Grünen in der Demoskopie festkleben irgendwo unter acht Prozent. Klartext würde helfen. Aber Klartext von der Regierungsbank ist selten in der vielbeschriebenen Komplementärkoalition. Also kann Hermann bestenfalls denken, was Klaus Gebhard am vergangenen Montag, und nicht nur an diesem, ausgesprochen hat: "Oben bleiben!"


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3 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Zaininger
    am 30.08.2017
    Antworten
    Je weiter die GRÜNEN nach rechts, oder sagen wir freundlicher: ins Konservative, wandern, Winne macht immer den "linken Flügel". Viel Vergnügen weiterhin im olivgrünen Sandkasten!
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