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Juristisch ein paar auf die Ohren

Juristisch ein paar auf die Ohren
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Unser Autor wollte vom Staatsministerium Einsicht in Akten zum Polizeieinsatz am 30. September 2010. Die wurde ihm teilweise verweigert. Zu Unrecht, wie nun der Verwaltungsgerichtshof Mannheim geurteilt hat. Einblicke in die Politik des Gehörtwerdens aus der Sicht eines Betroffenen.

"Unerhört. Ungeklärt. Ungesühnt." So heißt das Buch, das Kontext-Autor Jürgen Bartle und ich 2015 <link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial das-dritte-kontext-buch-2727.html internal-link-new-window>über den Wasserwerferprozess geschrieben haben. Juristisch geklärt ist immerhin inzwischen, dass der Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik kurzer-prozess-3269.html internal-link-new-window>rechtswidrig und unverhältnismäßig war. Aber gesühnt ist nichts. Die Verantwortlichen, vor allem auf politischer Ebene, wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Von Seiten der Polizei hat sich niemand entschuldigt.

Als erhört kann man auch nicht bezeichnen, wie das grüngeführte Staatsministerium mit dem berechtigten Anliegen eines Bürgers, dazu einiges aufzuklären, umgegangen ist. Eher schon als unerhört. Über zwei Instanzen musste ich einen Prozess gegen das Staatsministerium des Landes führen, weil dieses mir – wie der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim jetzt festgestellt hat, zu Unrecht – Einsicht in Akten verweigert hatte.

Es besteht der Verdacht, dass Mappus direkt eingegriffen hat

Worum ging es? Seit ich als Unbeteiligter in den Polizeieinsatz geraten war und Art und Weise des staatlichen Umgangs mit Bürgerinnen und Bürgern öffentlich kritisiert hatte, ist es mir ein Anliegen, die Geschehnisse und deren Hintergründe aufzuklären. Dabei kann man sich nicht auf den Ablauf des Polizeieinsatzes beschränken, sondern es geht auch um die Vorbereitung und die spätere Vertuschung, und nicht zuletzt auch um unvertretbare und sogar rechtswidrige Eingriffe in die Natur. Man denke nur an die verbotenen Baumfällungen. Deswegen stellte ich im Dezember 2012 beim Staatsministerium einen Antrag nach dem Umweltinformationsgesetz. Dieses Gesetz ist vorgegeben von der Europäischen Union, es gibt den Bürgerinnen und Bürgern "zur Schärfung des Umweltbewusstseins" sehr weitgehende Einsichtsrechte.

Zur Erinnerung: Das Staatsministerium in schwarzer Hand unter Stefan Mappus war in die Planung und Durchführung des Polizeieinsatzes eingebunden. Es besteht der Verdacht, dass Mappus direkt eingegriffen hat. Als im November 2010 ein Untersuchungsausschuss des Landtags zur Aufklärung eingesetzt wurde, wurden möglicherweise im Staatsministerium die Fäden für dessen Ablauf und wichtige Zeugenaussagen gezogen.

Als ich den Antrag stellte, war das Staatsministerium allerdings bereits seit anderthalb Jahren unter grüner Führung. Umso erstaunter war ich, als ausgerechnet der Mitarbeiter, der als sogenannter Regierungsbeauftragter des CDU-Staatsministeriums dessen Interessen im Untersuchungsausschuss vertreten hatte, mir bei der Akteneinsicht zur Seite gestellt wurde. Doch nicht genug: Das bürgernahe Staatsministerium beauftragte doch tatsächlich zunächst eine Anwaltskanzlei mit der Prüfung meines Antrags. Das Honorar bezahlt der Steuerzahler. Und diese Kanzlei empfahl allen Ernstes, die Bescheidung meines Antrags mit Tricks hinauszuzögern. 

Wenn mir das Staatsministerium auch schließlich Tausende von Dokumenten zur Einsicht vorgelegt hat, so wurde die Einsichtnahme in einige Ordner verweigert. Ohne auf die Begründungen im Einzelnen einzugehen: Bei meiner Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof ging es um Unterlagen zu internen Informationen für die Hausspitze des Staatsministeriums zum Untersuchungsausschuss Schlossgarten I, zur Kommunikationsstrategie der DB AG, zum Vermerk über die öffentlichen Äußerungen eines Polizeibeamten und zu Vermerken zum Schlichtungsverfahren.

Anwälte des Landes empfahlen Tricksereien

Als besonders krass empfand ich die Verweigerung des Ministeriums zur Einsichtnahme in Präsentationen einer Firma CNC vom 10. September 2010 zur Kommunikationsstrategie der Bahn bei S21. Erst auf Drängen des Verwaltungsgerichtshofs kam jetzt heraus, dass in der Präsentation "Mängel in der bisherigen Kommunikation aufgelistet und Verbesserungsvorschläge unterbreitet" wurden. Und weiter: "Es wird aufgezeigt, welche Gruppen (Befürworter, Gegner) und welche Kernbotschaften angesprochen werden könnten, um aus Konfrontation wieder zu einer Identifikation, Akzeptanz, Legitimation zu gelangen." Als übergeordnete Kommunikationsstrategie wurde die Form des Dialogs herausgestellt. Mit anderen Worten: Offensichtlich wurde daran getüftelt, wie die Öffentlichkeit getäuscht und die Widerstandsbewegung gegen Stuttgart 21 hereingelegt werden sollte.

Das grüne Staatsministerium hat nun nicht etwa durch Offenlegung dieser brisanten Unterlagen für Transparenz gesorgt, sondern die Einsicht verweigert mit der Begründung, die Bahn sei damit nicht einverstanden, und es bestehe kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Aufklärung. Diese Blockade hat ihm der Verwaltungsgerichtshof jetzt – wie auch hinsichtlich der übrigen Unterlagen – um die Ohren gehauen mit dem Hinweis darauf, dass sich die neue Landesregierung laut der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ausdrücklich mit Bezugnahme auf das Bahnprojekt einer "Politik des Gehörtwerdens" verschrieben habe. Und der Verwaltungsgerichtshof vergisst auch nicht den Hinweis auf den damaligen SPD-Landeschef Nils Schmid, der Mappus vorgeworfen habe, "dieser wolle den Konflikt durch eine Kriminalisierung der Gegner des Bahnprojekts (insbesondere der sogenannten Baumbesetzer) zuspitzen".

"Politik des Gehörtwerdens" funktioniert nur mit offenen Ohren

Das ist eine schallende Ohrfeige für das jetzige Mauern des Staatsministeriums unter der Verantwortung des grünen Ministerpräsidenten. Eine schallende Ohrfeige aber auch für die Kommunikationsstrategie der Bahn, die verheimlicht werden sollte. Das Gericht spricht insoweit von einer "(Krisen)kommunikation". Und der Verwaltungsgerichtshof verweist auch darauf, dass interne Kritik an Polizeieinsätzen behindert werden kann, wenn ein Polizeibeamter, der sich kritisch äußert, befürchten muss, dafür ein Disziplinarverfahren einzufangen. Genau darum geht es bei den Unterlagen <link http: www.taz.de external-link-new-window>hinsichtlich des Polizeigewerkschaftlers Thomas Mohr. Ausgerechnet dessen Einschüchterung nach dem "Schwarzen Donnerstag" sollte jetzt noch vertuscht werden.

Dieses bemerkenswerte Urteil stärkt die Bürgerrechte außerordentlich und übernimmt europäische Maßstäbe für das Ländle. Allerdings ist es noch nicht rechtskräftig. Das bedeutet, dass das Land – also dessen grün-schwarze Regierung, aber auch die Deutsche Bahn AG, die als Beigeladener am Prozess beteiligt war, in Revision gehen können. Die Frist dafür läuft noch bis Mitte August.

Bei alledem fragt man sich natürlich, weswegen Kretschmanns Regierungszentrale sich seit nunmehr viereinhalb Jahren bemüßigt fühlt, die Aufklärung des bald sieben Jahre zurückliegenden Verhaltens der ehemals schwarzen Regierungsspitze mit allen Mitteln zu behindern. Das klärt sich vielleicht, wenn es endlich möglich sein wird, Einblick in das zu nehmen, was mit Klauen und Zähnen als geheim verteidigt wird. Vielleicht müsste man zum Schlagwort der "Politik des Gehörtwerdens" noch hinzufügen, dass diese nur mit offenen Ohren funktioniert. Denn wenn die eine Seite taub ist, nützt es nichts, wenn die andere noch so laut schreit.

Zum Schluss noch etwas Nettes: Der Verwaltungsgerichtshof belehrt in seinem Urteil die beigeladene Deutsche Bahn AG darüber, dass sie keinen Anspruch auf Gleichgewicht der Kommunikation zwischen ihr und den Projektgegnern habe, weil "die Projektgegner selbst nicht zum Kreis der informationspflichtigen Behörden" gehören.

 

Der vorliegende Text ist die leicht gekürzte Fassung einer Rede, die Dieter Reicherter, ehemaliger Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart, auf der 379. Montagsdemo gegen Stuttgart 21 am 31.Juli 2017 gehalten hat.

Info:

Die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim zu seinem Urteil vom 17. Juli 2017 <link http: www.vghmannheim.de pb startseite medien external-link-new-window>finden Sie hier.


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