KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

"Geiz ist geil, Waldburg-Zeil"

"Geiz ist geil, Waldburg-Zeil"
|

Datum:

Während Ministerpräsident Kretschmann den Adel für seine Verdienste preist, bestreiken Beschäftigte die fürstlichen Kliniken in Isny-Neutrauchburg. Sie bekommen bis zu 15 Prozent weniger Lohn als in anderen Krankenhäusern, sagt Verdi.

Bei seinem Lob für den Adel dachte der grüne Regierungschef Winfried Kretschmann vor allem an den Erhalt von Liegenschaften wie Schlössern, Gärten, Wäldern und Weinbergen. Davon hat der baden-württembergische Adel viel, insbesondere Fürst Erich, der neue Chef des Hauses Waldburg-Zeil. Doch während sich der steinreiche Adelsspross, zusammen mit zahlreichen anderen Blaublütern im Neuen Schloss zu Stuttgart preisen ließ, türmten sich zu Hause im Allgäu Gewitterwolken auf: Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Warnstreik vor der Zentralverwaltung der Waldburg-Zeil-Kliniken in Isny-Neutrauchburg aufgerufen. 500 Beschäftigte von sechs oberschwäbischen Reha-Kliniken des Fürsten demonstrierten für bessere Löhne und einen neuen Tarifvertrag.

Dass Kretschmann in den 70er Jahren mal im Kommunistischen Bund Westdeutschland agitierte, ist bekannt. Ebenso, dass er sich seither zum gutbürgerlich-konservativen Schwaben gewandelt hat. Aber dass er nun den Adel zu Hofe lud und ehrte ("Die Leute müssen sehr hohe Aufwendungen machen, um die denkmalgeschützten Gebäude in Schuss halten zu können") und ihm im Marmorsaal Spargel, Kalbsbäckchen und Mousse servieren ließ, löste zumindest beim Fraktionschef der SPD im Landtag, Andreas Stoch, Irritationen aus. Es sei den Angehörigen der baden-württembergischen Adelsfamilien gegönnt, sagte Stoch, vom Ministerpräsidenten zu einem Abendessen empfangen zu werden. Für das Land wäre es indessen ein echter Fortschritt, wenn Kretschmann sich "mit demselben Herzblut um die Belange der hart arbeitenden Beschäftigten kümmerte", mahnte der Sozialdemokrat an.

Warten auf einen neuen Tarifvertrag – seit 17 Jahren

Tatsächlich hätten sich auch andere so genannte Leistungsträger der Gesellschaft für ein Abendessen beim Landesvater angeboten, etwa aus dem Kreis von Pflegern oder Therapeuten, die als Beschäftigte der Waldburg-Zeil-Kliniken seit nunmehr 17 Jahren auf einen neuen Tarifvertrag warten. Stattdessen durfte der neue Zeiler Fürst mit seinesgleichen dinieren. Fürst Erich (55), der Ende 2015 die Nachfolge seines 87-jährig verstorbenen Vaters Fürst Georg angetreten hatte, verfügt über ein gewaltiges Erbe: Waldburg-Zeil ist einer der zehn größten privaten Waldbesitzer in Deutschland, die Aktivitäten reichen von Medienbeteiligungen ("Schwäbische Zeitung", "Allgäuer Zeitung") über Spielbanken, Bergbahnen bis hin zu bundesweit zwölf Rehabilitations- und Fachkliniken mit 3400 Betten und rund 3000 Mitarbeitern, die inzwischen den wirtschaftlichen Schwerpunkt bilden.

Während die Kliniken allesamt einen exzellenten Ruf genießen und in zahlreichen Fachbewertungen ganz vorne liegen, ist es mit dem Betriebsklima und vor allem der Bezahlung der Mitarbeiter augenscheinlich nicht so weit her. Das Ansehen der Waldburg-Zeil-Kliniken in allen Ehren, heißt es bei Verdi, doch der Erfolg werde auf dem Rücken und zu Lasten der Belegschaft erkauft. Im Jahr 2000 waren, wie Verdi-Bezirkssekretär Benjamin Andelfinger berichtet, die Waldburg-Zeil-Kliniken aus dem Verband der Krankenanstalten in privater Trägerschaft (VPKA) ausgetreten. Seither gilt ein hauseigener Tarifvertrag. Und in den dazwischen liegenden langen Jahren hat sich – wenn man der Gewerkschaft folgt – einkommensmäßig für die Beschäftigten wenig getan.

Acht bis 15 Prozent zahlt Waldburg-Zeil laut Verdi weniger Lohn als in anderen Häusern. Demgegenüber steht die Behauptung der Geschäftsführung, sie habe 2014 und 2016 freiwillig Lohnerhöhungen (die angeblich im Bereich von 1,2 Prozent lagen) bezahlt und auch für diesen Sommer mehr Entgelt in Aussicht gestellt.

Bei den Beschäftigten kamen die Beschwichtigungsversuche der Geschäftsleitung freilich nicht gut an. Waren am Montag vergangener Woche schon mehr als 60 Mitarbeiter der Hofgartenklinik Bad Waldsee sowie des Parksanatoriums Aulendorf auf der Straße, so kamen am Donnerstag vor der Zentralverwaltung in Neutrauchburg rund 500 Beschäftigte der sechs oberschwäbischen Klinik-Standorte Neutrauchburg, Wangen, Aulendorf, Bad Saulgau, Bad Waldsee und Bad Wurzach zusammen, um ihren Forderungen an die Klinikleitung Nachdruck zu verleihen: 150 Euro Sockelbetrag und 5,6 Prozent mehr Lohn sowie die Anpassung ihrer Arbeitszeit an geregelte Rahmenbedingungen bei Zeitkonten, Urlauben und Überstunden.

"Wir sind laut, weil man uns die Kohle klaut"

Die große Zahl der Teilnehmer ist nach Einschätzung der Gewerkschaft ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr es in der Belegschaft brodelt. Dennoch sei man vom großen Andrang überrascht worden. "Uns gingen die Trillerpfeifen und Fahnen aus", berichtete Gewerkschaftssekretär Andelfinger. Trotzdem erzeugten die Streikenden mit Pfeifen, Vuvuzelas, Trommeln und Rätschen einen ohrenbetäubenden Lärm, wie ihn der kleine Ort Neutrauchburg selten erlebt hat. Und sie skandierten: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Kohle klaut!" Und: "Geiz ist geil, Waldburg-Zeil – was ist geiler? Waldburg-Zeiler!"

Bisher hat der Aufmarsch zum Warnstreik bei der Geschäftsleitung offenbar noch keine Wirkung gezeigt. Ziemlich hartleibig hatte man sich aber schon gegeben, indem das Gelände vor der Verwaltung mit schwarz-gelbem Flatterband – den Farben des Hauses Waldburg-Zeil – abgesperrt worden war, so dass die Demonstranten mitten auf der Ortsdurchfahrt stehen mussten und zwangsläufig den Autoverkehr lahm legten.

Adlig-vornehm ist solches Verhalten der Klinikleitung nicht, doch es wird den Fürsten wenig gestört haben, wie seine leitenden Angestellten mit den Mitarbeitern umgesprungen sind. Ist doch auch der Adel nicht ohne Fehl und Tadel, selbst wenn er jetzt vom Ministerpräsidenten, dem nach eigener Einschätzung "in der Wolle gefärbten Republikaner", für den Erhalt und der Pflege kulturgeschichtlicher Bauwerke und Flächen ästimiert worden ist.

Wenn es nämlich hart auf hart kommt und dem Adel das Geld auszugehen droht, ist man mit dem Ruf nach dem Staat schnell bei der Hand. Man erinnert sich: Im Jahr 2009 half das Land dem Markgrafen von Baden mit dem Kauf von Schloss Salem aus einer prekären Lage. Das Geschäft, das auch etliches Kulturgut umfasste, belief sich auf 60 Millionen Euro. Wohnen tut die Adelsfamilie trotzdem noch im Schloss. Sonst gäb's ja keinen Standesunterschied mehr.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


6 Kommentare verfügbar

  • Else Kohler
    am 24.05.2017
    Antworten
    Der Adel lebt sehr gut. Sie gehen auf die Jagd, im eigenen Jagdgebiet und bei anderen Adligen. Sie fliegen mal ganz schnell nach St. Moritz oder sonst wohin. Wolgemerkt mit dem eigenen Flieger usw. Dann müssen sie wohl auch unterstützt werden ... Für diesen Luxus arbeiten ja andere! Ist ja nur…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:




Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 11 Stunden
Alles gut


Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!