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Die neue Rechte

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In der öffentlichen Darstellung kommt Alice Weidel als "kühle Pragmatikerin" vom "wirtschaftsliberalen AfD-Flügel" vergleichsweise gut weg. Zu gut. Denn auch die neue Spitzenkandidatin ist eine Scharfmacherin vom rechten Rand.

Es fällt schwer, die gebürtige Ostwestfalin, nicht sympathisch zu finden. Auf den ersten Blick. Die 38-Jährige aus, die heute in Überlingen am Bodensee lebt, könnte eine fesche Vertreterin des Pferdesports sein, der erste weibliche Spross einer Unternehmerdynastie oder Deutsch-Professorin an der Pariser Sorbonne. Sie ist eine gepflegte Erscheinung im klassischen Outfit, sie weiß sich auszudrücken, zu überzeugen und zu beeindrucken. Beim Landesparteitag im Herbst 2015 in Horb erzählte sie umstehenden Journalisten, im Wahlkampf auf der Straße sei sie als "Nazi-Hure" beschimpft worden. Mehrere der Zuhörer wiegen bedächtig ihr Haupt. Das gehe nun wirklich zu weit, sagt einer und hat recht.

Sie kann auf Beachtliches verweisen, ein Doppelstudium in BWL und VWL, Auslandserfahrung in Shanghai und Hongkong, Fremdsprachenkenntnisse (Japanisch und Mandarin). Und ihren Doktor hat sie mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung gemacht. So polyglott und dann in der AfD? Die schmale Blonde liefert ein Beispiel dafür, dass Weltläufigkeit noch lange kein vernünftiges Bild von der Welt bedeuten muss. Noch im Gründungsjahr der AfD – 2013 – ist sie eingetreten. Weidel ist entschiedene Euro-Gegnerin. Sie passe gut "in diese Intellektuellenpartei des trockenen Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke", schreibt die Schweizer "Weltwoche" ganz verzückt über "Alice, die Wunderfrau". Im zuständigen Fachausschuss habe sie gut mit Lucke zusammengearbeitet, "und blieb zurück, als er mit ein paar Getreuen im Mai 2015 die Partei unter Protest verließ".

Unterwegs auf schmaler Spur

Ihre Erklärung offenbart, auf welch schmaler Spur die Wirtschaftsexpertin in Wirklichkeit unterwegs ist. Für sie verletzt die gemeinsame Währung Recht und Gesetz. Dasselbe gilt für die Zuwanderung. Und daraus zieht sie den messerscharfen Schluss, dass diese ganze Entwicklung "zu einer kompletten Erosion des gesellschaftlichen Fundaments führt". Und der meint sie entgegenwirken zu müssen. "Ich will mir später nicht vorwerfen, dass ich es nicht probiert habe", sagt sie. Sie mache das "für meine Kinder", bekennt sie in einem Interview, in dem sie ausnahmsweise von sich aus ihre Söhne ins Spiel bringt. Gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin, einer Schweizer Film- und Fernsehproduzentin, zieht sie die drei kleine Jungen groß. "Auch Weidels Privatleben ist weit weg vom Mainstream der AfD", meint die "FAZ" zu wissen.

Das "auch" darf getrost gestrichen werden. Denn politisch-inhaltlich ist die neue Spitzenfrau ganz nah am Mainstream ihrer Partei. Durchaus kann sie sich etwa vorstellen, mit dem Partei-Rechtsaußen Björn Höcke Wahlkampf zu machen. Mit jenem Höcke, dessen Ausschlussverfahren sie selbst öffentlich befürwortet. Überhaupt ist sie programmatisch geschmeidig. Vor dem Kölner Parteitag hatte sie zur Bedingung für ihr eigenes Antreten für das Spitzenteam gemacht, dass Alexander Gauland und Frauke Petry Teil davon sind.

Nach Petrys Demütigung am vergangenen Wochenendes war davon keine Rede mehr. Weidel bestand auf Gauland und umgekehrt. Die beiden, die so massiv für Basis- und Bürgerentscheid kämpfen, um "Deutschland wieder den Deutschen" zurückzugeben, waren nur gemeinsam oder gar nicht und erst recht nicht in einer Urabstimmung der Mitglieder zu haben. Überhaupt fallen bemerkenswerte Sätze über Petry. Die sei "noch" Bundesvorsitzende, sagt die Frau vom Bodensee. Sie arbeite "erfolgreich nebeneinander mit ihr zusammen". Und, wie mütterlich: Es müsse ihr jetzt zugestanden sein, sich auf das Kind zu freuen "und einen Seitenschritt zu machen". Da bringt sich jemand in Position.

Menschenverachtende Feindseligkeit

Wohin die Reise dann gehen soll, offenbart die neue Strahlefrau, die auch baden-württembergische Spitzenkandidatin ist, auf Facebook. Von wegen "kühle Pragmatikerin". Sie polemisiert gegen "Altparteien" und politische Institutionen. Sie macht gemeinsame Sache mit Radikalen aus anderen rechtsnationalen Parteien, wie Harald Vilimsky, dem Generalsekretär der österreichischen FPÖ ("Ich schätze Burschenschaftler als Ehrenmänner"), der nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" mit 19 Toten einem "beträchtlichen Teil" von "Journalisten und Intellektuellen" eine Mitverantwortung dafür zuschrieb, dass "jetzt der Terror aus der Mitte der Gesellschaft kommt". Für einen ihrer ersten großen Aufreger sorgte Alice Weidel, als sie Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik in direkten Zusammenhang mit der Ermordung einer Freiburger Studentin brachte.

In praktisch allen ihren Reden geht es gegen Flüchtlinge. Woraus zu lernen ist, dass formale Intelligenz und Sprachbegabung eben nicht vor einem Mangel an Empathie schützen – und an Phantasie. Sie jammert darüber, dass Menschen mit Hilfe der Bundeswehr "gratis" aus dem Mittelmeer gerettet werden. Und sie gibt sich fassungslos über diese "grenzenlose Verblödung Europas", die "jeder Beschreibung spottet".

Äußerste Schärfe und menschenverachtende Feindseligkeit, erniedrigende Wortspiele und vorsätzlich falsche historische Parallelen sind gang und gäbe. Da schreibt sie von einer "Kölner Ka(c)kophonie" im Vorfeld des AfD-Parteitags. Der Gegendemonstranten wegen wirft sie der Bundesregierung vor, sie sehe zu "bei der Entstehung einer RAF-Generation". Die Protestierer nennt sie in ihrer Abschlussrede "Bildungsbomben" – unter rauschendem Beifall der Delegierten. Bei denen kommt auch die beschlossene Abschiebungsquote wunderbar an oder die Absenkung der Mehrwertsteuer. Auf die Frage nach deren Finanzierung läuft dann die ziemlich beste Feindin Petry noch einmal zu Hochform auf. "Wir haben ja jetzt eine Ökonomin im Spitzenteam", sagt Petry spitz, "und ich bin mir sicher, dass entsprechende Rechnungen vorgelegt werden."

Für Weidels Anhänger ist der Machtkampf ohnehin schon entschieden. Die Niederlage beim Versuch, den Vorsitz im baden-württembergischen Landesverband zu erobern, ist vergessen. Und selbst, dass sie im heimischen Wahlkreis bei der Landtagswahl 2016 unterdurchschnittlich abschnitt. "Wir brauchen ein neues Gesicht", schreibt einer auf Facebook. "Eine Frau mit starker Ausstrahlung und eine Patriotin, die für unser Land einsteht und kämpft", ein anderer, und Weidel sei "ein riesiger Gewinn gegenüber Petry, für die die AfD nur Mittel zu Macht und Karriere ist".

Björn Höcke ist laut und ein hetzerischer Grenzgänger. Gauland gibt den geläuterten CDUler, der endlich angekommen ist an der richtigen Stelle im politischen Spektrum. Und dazu die Menschenfischerin vom Bodensee: sympathisch, energisch und durchsetzungsfähig. Das Kinn nach vorn gereckt oder die Mundwinkel, wenn sie wieder mal Deutschland als Jammertal karikiert, verächtlich nach unten gezogen. Die Millionenfrage, wer von den Aushängeschildern der AfD wohl am besten ankommt im Wahlkampf, in den Diskussionen und auf den Marktplätzen – gerade mit Blick auf die derzeit sinkenden Umfragewerte –, ist leicht zu beantworten. Selbst Talkshow-Redaktionen werden rasch auf das Zugpferd umschwenken. Ein Zugpferd, das selbst im fernsten Ausland gefragt ist. Im Mai fährt Weidel nach China, wird in der baden-württembergischen Landtagsfraktion voll Ehrfurcht erzählt. Auf Einladung der Universität Peking spricht sie über Europa, Deutschland und den Euro. Glücklich, wer kein Mandarin versteht.


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7 Kommentare verfügbar

  • Horst Ruch
    am 30.04.2017
    Antworten
    Gratulation an Charlotte Rath. Der "Neue Rechte"-Artikel plätschert so mainstreammäßig ab, eine unendliche Wiederholung sämtlicher deutschen Meinungsmacher(Blätter).
    Man muß die "Heute Show" nicht immer mögen, doch hier konnte man endlich als Laie die Aktienkurse steigen sehen, die der freundliche…
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