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Tief unten

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Der neue Bahnchef Richard Lutz ist wild entschlossen, Stuttgart 21 pünktlich zu Ende zu bringen. Doch da ist der Nesenbachdüker vor. Denn ohne den geht gar nichts, und soviel ist schon jetzt sicher: Er wird nicht rechtzeitig fertig.

Zwischen der Willy-Brandt-Straße und dem hölzernen Fußgänger- und Fahrradsteg, der seit 2015 im ehemaligen Schlossgarten die Stuttgart-21-Baugrube überbrückt, verläuft in den Baufeldern 19 und 20 ein tiefer Graben. Hier soll der Nesenbachdüker das Wasser aus einem Großteil des Talkessels unter dem Bahnhofstrog hindurchleiten. Es ist der heikelste Punkt des gesamten Unterfangens, so heikel, dass sich anfangs kein einziges Bauunternehmen fand, das bereit war, die Arbeiten auszuführen. 2010 war die Fertigstellung des Dükers noch für Ende 2013 geplant.

2013 übernahm Züblin, wollte aber die Baumethode ändern. Statt im bergmännischen Verfahren unterirdisch mit Druckluft, beabsichtigte das Unternehmen nun, in offener Bauweise vorzugehen. Dazu bedurfte es einer Planänderung, der 14ten allein im Planfeststellungsabschnitt 1.1, der die Talquerung und damit den Düker betrifft. Im November 2014 trudelte die Genehmigung ein, mit Auflagen zum Schutz des Mineralwassers. Im Juni 2015 verkündete die Bahn den Baubeginn. Die offene Grube zum Bau des Dükers ist eben dieser tiefe Kanal, so tief, dass man von außerhalb des Baugeländes nicht auf den Grund sehen kann.

23 Meter tief reicht der Schacht unter das Erdbodenniveau an der Schillerstraße, die an der Grube entlangführt. Ein Haus, das so hoch ist, hätte ungefähr acht Stockwerke. Damit reicht der Kanal nahe, sehr nahe an die Grundgipsschichten heran. An jene Schichten also, die das Mineralwasser, das darunter zum Leuzebad strömt, am Aufsteigen hindern. Wie viel Abstand noch bleibt oder wie weit der Düker bereits in den Grundgips eingreift, lässt sich nicht exakt angeben, denn die Schichten sind nicht gleichmäßig dick – etwa zwischen drei und sieben Meter. Und es gibt Verwerfungen, also Höhensprünge.

Der Düker – drei Rohre sind geplant: eines für Schön-, eines für Regenwetter und eines für Starkregen – muss aber auch noch mit Pfählen im Untergrund verankert werden. Er könnte sich sonst setzen oder aufgrund der Luft im Inneren der Rohre aufsteigen. Bis vor fünf Jahren hatte die Stadt kategorisch jeglichen Eingriff in die Grundgipsschichten abgelehnt. Denn das Mineralwasser steht unter Druck. Ein Loch im Grundgips, und in der Baugrube sprudelt eine Mineralwasserfontäne.

Nun müssen aber die Gründungspfähle zweifellos tiefer hinunter als die Unterkante der Rohre. Sie bohren auf jeden Fall die Grundgipsschichten an. Zudem kann das Grundwasser in dieser Tiefe nicht abgepumpt werden, da sonst der Gegendruck fehlt, der das Mineralwasser unten hält. Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hat daher in seiner Genehmigung der offenen Bauweise darauf bestanden, dass zunächst unter Wasser eine 2,5 Meter dicke Betonsohle gegossen werden muss, die anstelle des Grundwassers den notwendigen Gegendruck herstellt. All dies da unten, in dem 200 Meter langen, rund 20 Meter tiefen Schacht, in den man von außen nicht hineinsehen kann.

Auf Kontext-Anfrage, wie weit denn die Arbeiten gediehen seien, antwortet der Projekt-Pressesprecher Michael Deufel: "Die Gründungsarbeiten im Bereich Tunnelquerung, Unterhaupt, Steigstrecke und Ablaufstrecke sind abgeschlossen, dort läuft derzeit der Massivbau mit den Schal- und Bewehrungsarbeiten sowie mit den Betonarbeiten." Aber: "Die Abschnitte mit Unterwasserbeton beginnen erst im Zuge der Verkehrsstufe 3 der Schillerstraßenquerung und sind abhängig vom Fortschritt der Arbeiten der Stuttgarter Straßenbahnen AG."

Die beiden Stadtbahnröhren vom Hauptbahnhof zur Staatsgalerie müssen neu gebaut werden, weil die Haltestelle Staatsgalerie wegen Stuttgart 21 versetzt werden muss: ein Stück höher, über die geplanten Bahngleise am Ausgang des Tiefbahnhofs, und ein Stück näher an den ehemaligen Park, da die alte Haltestelle vorerst noch in Betrieb bleibt. Im Moment lugen die Anschlussstücke beim Innenministerium unter der Willy-Brandt-Straße hervor. Weiter geht es noch nicht, denn die Stadtbahn soll von da aus hinauf aufs Dach der Bahngleise, die aus dem Bahnhof hinausführen, und dieses Dach ist noch nicht fertig.

Eine Achterbahnfahrt: Zumindest die äußere Röhre muss, vom Bahnhof kommend, zunächst unter dem bestehenden Nesenbachkanal hindurch, bevor sie zur Haltestelle Staatsgalerie hin um sechs Meter aufsteigt, um die Bahngleise zu überqueren – um dann erneut um mehr als fünf Meter abzutauchen. Denn das Düker-Oberhaupt ist in der letzten Version zwischen den beiden Röhren geplant. Deshalb ist der Abstand zwischen der inneren und äußeren Stadtbahnröhre so groß, dass die äußere bis hart an die Fassade des Königin-Katharina-Stifts herangerückt ist. Das Gymnasium steht wie ein Fels in der Brandung am Rand der Baustelle, während der Unterricht weitergeht, als sei nichts passiert. Es ist aber etwas passiert: Kürzlich sind infolge der Bauarbeiten Risse in einer Wand aufgetreten. Es war keine tragende Wand. Doch das Rektorat zog vorübergehend in den Keller und die Wand wurde entfernt.

Noch verkehrt die Stadtbahn in den alten Tunnelröhren zwischen Staatsgalerie und Hauptbahnhof. Die Verbindung zum Charlottenplatz ist seit einem Jahr gekappt. Nach ursprünglich einem halben Jahr hätte die Strecke zum Hauptbahnhof stillgelegt werden und die Stadtbahn nur noch über den Charlottenplatz verkehren sollen. Nun hat die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) angekündigt, dass dies noch bis Dezember so bleibt: insgesamt fünfzehn statt sechs Monate.

Dort, wo das Düker-Oberhaupt hin soll, verkehrt derzeit also noch die Stadtbahn. Erst wenn die Verbindung zum Hauptbahnhof unterbrochen wird, also nicht vor Dezember, können die Röhren entfernt werden und danach die Bauarbeiten am Oberhaupt beginnen. Dazu muss aber auch der Autoverkehr auf der Schillerstraße nochmals in andere Bahnen gelenkt werden. Denn während der Bahnhofsarchitekt Christoph Ingenhoven für die Zeit danach mit einem verkehrsberuhigten Bahnhofsvorplatz wirbt, hält es die Stadt der Gegenwart für völlig ausgeschlossen, auch nur auf eine Spur zu verzichten.

Diese erneute Verlegung der Schillerstraße ist die Verkehrsstufe 3, von der Deufel spricht. Sie ist Voraussetzung für den Bau des Oberhaupts. Und erst danach sollen die Arbeiten im Unterwasserbeton erfolgen, wie er sagte: abhängig vom Fortschritt der Arbeiten der SSB. Also die 2,5 Meter dicke Betonsohle des Dükers.

Nie und nimmer wird der Tiefbahnhof vor Ende 2023 fertig

Allerdings muss der Nesenbachdüker – wie alle weiteren Düker auch – vollständig fertig sein, bevor in den Baufeldern 19 und 20, wo er verläuft, auch nur die Grundplatte des neuen Bahnhofs betoniert werden kann. Er muss nicht nur fertig, sondern in Betrieb sein, bevor der bestehende Nesenbachkanal entfernt werden kann. Und erst wenn der fort ist, kann an seiner Stelle die Grundplatte betoniert werden. Auf die Frage, wann denn das Wasser des Nesenbachkanals auf den Düker umgelenkt wird, antwortet Deufel nun: "Unter dem Ansatz der derzeitigen Terminpläne der Stuttgarter Straßenbahnen AG und der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH wird der neue Düker Nesenbach 2020 in Betrieb genommen." Dann erst kann also der bestehende Nesenbachkanal weg, dann die Grundplatte betoniert und schließlich der Rohbau in Angriff genommen werden.

Nach bisherigen Angaben der Bahn sollten aber Mitte 2019 bereits alle Rohbauarbeiten abgeschlossen sein. Die verbleibenden zweieinhalb Jahre bis zur Fertigstellung des neuen Bahnhofs sind für den Ausbau vorgesehen.

Vorausgesetzt also, es gibt keine Probleme mit dem Mineral- und Grundwasser, der Düker geht 2020 in Betrieb und die Fluchttreppen am Südkopf des Tiefbahnhofs werden genehmigt: Bleibt noch die Frage, wie viel Zeit in den Baufeldern 19 bis 21 der Rohbau in Anspruch nehmen wird. Bisher steht keine einzige der Kelchstützen des neuen Bahnhofs. Sie sind bautechnisch Neuland, eine hoch anspruchsvolle Aufgabe. Rechnet man dazu weitere zweieinhalb Jahre für den Ausbau, ist klar: Nie und nimmer wird der Tiefbahnhof vor Ende 2023 fertig, wahrscheinlich später.

Doch auch wenn der Bahnhof fertig ist, sind noch längst nicht alle Probleme vom Tisch. "Jede Richtungsänderung der Abwasserrohre führt zu einer Verringerung der Fließgeschwindigkeit", weiß Hans Heydemann von den projektkritischen Ingenieuren 22. Diese Verringerung der Fließgeschwindigkeit hat zwei nachteilige Folgen. Erstens kann niemand voraussagen, wie heftig bei fortschreitendem Klimawandel ein sommerlicher Starkregen in Zukunft ausfallen kann. Am größten ist die Gefahr an der tiefsten Stelle des Tals, wo am Ausgang der Klettpassage derzeit der Düker des Hauptsammlers Cannstatter Straße gebaut wird. Langt der Rohrquerschnitt nicht, staut sich das Wasser zurück, in der Königstraße steht das Wasser und die Klettpassage läuft voll. Zweitens: Die Düker müssen regelmäßig von Ablagerungen gereinigt werden. Die Stadt ignoriert bisher das Problem. Heydemann hat jährliche Kosten bis zu 1,5 Millionen Euro errechnet. Dass die Stuttgarter Abwasserrohre immer noch einem amerikanischen Investor gehören, macht die Sache nur noch undurchschaubarer.


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9 Kommentare verfügbar

  • Goldfrosch
    am 23.09.2019
    Antworten
    @Demofotograf
    Sie schreiben, in Stuttgart 21 darf es keinen Kopfbahnhof geben. Dieses Statement belegt aber Ihre Unwissenheit in Sachen Bahntechnik. Der Autoverkehr ist zweidimensional beweglich, die Bahn aber ist schienengebunden eindimensional.
    Da werden über feste Gleise angebundene Abstell-…
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