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Mehr Kontrolle würde helfen

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Deutschlands Schmusekurs gegenüber autoritären Regimen des Nahen Ostens hat vor allem wirtschaftliche Gründe, behauptet der ehemalige Nahost-Korrespondent Markus Bickel. Mit Kontext spricht er über Rüstungsdeals, die Macht von Lobbys und Alternativen zur militärischen Produktion.

Herr Bickel, Deutschland verkauft immer mehr Waffen. Laut Rüstungsexportbericht für 2015 lag mit 7,8 Milliarden Euro der Gesamtwert aller Einzelausfuhrgenehmigungen fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. Ist das eine neue Entwicklung?

Die Rüstungsexportbilanzen werden ja erst seit 1999/2000 veröffentlicht, und seitdem sind sie eigentlich stetig gestiegen. Bestimmt gab es hie und da einen Knick nach unten, aber von der Tendenz wurde es immer mehr. Es gab nie einen wirklichen Bruch in der Rüstungsexportpolitik, diese war immer weniger restriktiv, als von den Regierungen behauptet. Auch unter Rot-Grün sind Militärgüter an die Türkei geliefert worden, obwohl der Krieg gegen die Kurden in vollem Gange war. Aber dass jetzt der Anteil von Drittstaaten – also Nicht-Nato- oder EU-Mitgliedern – in die Höhe geht, das ist eine Tendenz ungefähr der letzten fünf Jahre. Dies sind vor allem Staaten der Konfliktregionen des Nahen Ostens, hier liegen die profitabelsten Märkte.

Bei Rüstungslieferungen an autoritär regierte Staaten der Nahostregion werden immer wieder sicherheitspolitische Gründe ins Feld geführt. Zum Beispiel Saudi-Arabien als "Stabilitätsanker" in der Region, als Partner im Kampf gegen den Terror. Sie dagegen betonen die Handelsfixierung der deutschen Diplomatie. Sind die sicherheitspolitischen Gründe also nur vorgeschoben?

Beides spielt eine Rolle. Einerseits will man tatsächlich Länder wie Saudi-Arabien in dem Bündnis gegen den Islamischen Staat mit dabei haben, um dem Ganzen auch eine arabische Komponente zu geben und nicht eine rein westliche Allianz zu sein. Aber gleichzeitig sind die drei Länder, mit denen Deutschland das höchste Handelsvolumen in der Region hat, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. Und diese drei Länder tauchen auch im Rüstungsexportbericht von 2016 ganz oben auf. Also: Gute Geschäfte im Rüstungsbereich gehen einher mit guten Geschäften im Zivilbereich. Ich glaube aber auch, dass die Bundesregierung den Rollenwandel Saudi-Arabiens verkennt. Vor fünf bis zehn Jahren war der Staat vielleicht tatsächlich noch so etwas wie ein Stabilitätsanker. Aber spätestens seit dem Tod König Abdullahs im Januar 2015 sind die Saudis im Jemen, wie sogar der BND sagt, einer aggressiven Interventionspolitik verpflichtet. Und auch in Syrien sind sie kein Stabilitätsfaktor, sondern rüsten islamistische Milizen auf, die nicht zu dem Bündnis gehören, das in Genf mit dem Assad-Regime verhandelt.

Müsste die Entwicklung in Saudi-Arabien also eine Neuorientierung der Rüstungsexportpolitik zur Folge haben?

In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es eine breite Debatte darüber, ein Rüstungsexportgesetz zu verabschieden, und einer der Punkte, die dort drin stehen sollten, ist eine rote Liste von Staaten, die in Kriege verwickelt sind, und die keine Rüstungsgüter mehr bekommen sollen. Das sollte dann alle drei Jahre überprüft werden. Das finde ich eine berechtigte Forderung.

Einer restriktiveren Handhabung von Rüstungsexporten stehen allerdings auch Verflechtungen von Wirtschaft und Politik entgegen, Lobbyverbände wie der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) oder der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Wie einflussreich sind diese?

Durch die Lobbyverbände gehen Kontrollmöglichkeiten verloren. Der jüngste Fall ist Franz-Josef Jung von der CDU, der frühere Verteidigungsminister, der ab Mai Aufsichtsrat beim Rüstungskonzern Rheinmetall wird. Schon davor wurde der FDP-Politiker Dirk Niebel ebenfalls bei Rheinmetall Berater des Vorstands, er nutzt nun seine Kontakte, die er als Entwicklungshilfeminister gewonnen hat, um die Profite des Unternehmens zu steigern. Diese Übergänge sind fließend. Und das ist für mich das Problem, dass in diesem System keine Schranken gesetzt werden.

Wie könnte der Einfluss dieser Lobbygruppen eingedämmt werden?

Einiges könnte in einem Rüstungsexportgesetz geregelt werden. Wenn der Industrie klare Handlungsanleitungen gegeben würden, die besagen, dass in Krisenländer tatsächlich nicht geliefert wird, dann müssten die Verbände, die ja auch als Vorfeldorganisationen für die Firmen unterwegs sind, nicht immer wieder versuchen, zum Beispiel den Leopard 2 nach Saudi-Arabien zu exportieren. Stärkere Richtlinien und stärkere Kontrolle würden helfen. Aber auch personelle Aufstockung des zum Wirtschaftsministerium gehörenden Bundesausfuhramts, das die Genehmigungen letztlich erteilt. Denn das pfeift aus dem letzten Loch. Die Rechtsabteilungen von Rüstungskonzernen wie Rheinmetall oder Krauss-Maffai-Wegmann sind viel größer als die des Wirtschaftsministeriums, so dass die auf dem Klageweg letztlich am längeren Hebel sitzen.

Der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat immer wieder eine restriktivere Gestaltung der Exporte gefordert. Hätte er mehr aus der Macht seines Amtes machen können?

Fangen wir mit dem Positiven an: Bei den Kleinwaffen – also Gewehren, Pistolen – hat Gabriel einiges erreicht, da sind die Zahlen tatsächlich zurückgegangen; es wird weniger exportiert in Drittstaaten, in Krisenländer als zu Beginn seiner Amtszeit. Zum Beispiel gibt es ja für das G36-Sturmgewehr von Heckler & Koch in Saudi-Arabien eine Lizenzproduktion, und da hat Gabriel auf dem bürokratischen Weg dafür gesorgt, dass die Saudis die Ersatzteile, die Heckler & Koch weiter liefern sollte, nicht mehr bekommen. Was allerdings in seiner Amtszeit immer weiter in die Höhe schnellte, sind die Rüstungsexporte als Ganzes. Und da hätte er sicherlich auf die eine oder andere Weise mehr verhindern können im Bundessicherheitsrat. Was ich gehört habe, ist, dass das auch daran liegt, dass er seinen Apparat gegen sich hatte. Dass er im Wirtschaftsministerium zu viele rüstungsfreundliche Abteilungsleiter unter sich hatte, die gesagt haben: Wir haben schon so viele Minister kommen und gehen sehen, wir schaffen es auch, die Gabriel-Jahre zu Ende zu bringen. Und so ist es ja auch gekommen. Jetzt ist Brigitte Zypries seit zwei Monaten im Amt, und die neuesten Exporte gingen wieder nach Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Ein paar Monate in die Zukunft gedacht: Welche Parteien müssten nach der Bundestagswahl in die Regierung kommen, damit sich etwas an den Exportrichtlinien ändert?

Wenn die Grünen in die Regierung kämen, gäbe es auf jeden Fall eine Kraft, die stärker darauf achten würde als die CDU. Das würde auch stärker die Kräfte in der SPD ermuntern, in diese Richtung, Rüstungsexporte zu begrenzen, zu gehen. Wenn die Linke mit rein käme, gäbe es noch eine stärkere Kraft. Wenn die große Koalition bleibt oder auch die FDP reinkommt, dann wird es ein Weiter-so geben. Mit der FDP gibt es kein Rüstungsexportgesetz.

Zu den Folgen dieser Rüstungsexportpolitik: Welcher Staat im Nahen Osten leidet momentan am meisten dadurch, dass deutsche Unternehmen zugunsten der dortigen Autokraten Profite machen wollen?

Die Menschen im Jemen bringen die größten Opfer. Dort sind Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihren Luftwaffen beteiligt an den Bombardements, deren Flugzeuge sind aus europäischer Produktion, und die Raketen zum Teil von Diehl Defence aus Überlingen. Das zu stoppen, hat das europäische Parlament gegenüber Saudi-Arabien gefordert, das wäre die richtige Politik. Und Jemen ist weitaus weniger in den Medien als Syrien, aber auch dort gibt es 10 000 Tote, zehn Millionen Geflohene, die Hälfte der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Sie beschäftigen sich auch mit Konversion, der Umstellung von militärischer zu ziviler Produktion. Das Rüstungsgeschäft sei ohnehin nicht so bedeutend für die deutsche Wirtschaft.

Am Bruttoinlandsprodukt liegt der Anteil der Rüstungsproduktion nur bei etwa 1 Prozent, weniger als 20 000 Beschäftigte sind direkt an der Produktion von Waffen beteiligt, 150 000 Arbeitsplätze laut BDSV in der Branche insgesamt vorhanden.

Warum wird dann so vehement daran festgehalten?

Selbst wenn es der Politik nicht so wichtig wäre, gibt es den Druck der Industrie, die sehr gut vernetzt ist, die ihre Verbündeten im Bundestag hat. Darum ist die Politik in vielen Punkten einfach Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft. Heckler & Koch etwa sitzt ja im Wahlkreis von Volker Kauder, und wenn Heckler & Koch Druck macht, wird Kauder im Bundestag nicht dagegen steuern. Das ist in CDU- genauso der Fall wie in SPD-Wahlkreisen, und übrigens auch in früheren FDP-Wahlkreisen. Bei Grünen und Linken ist es tatsächlich weniger.

Andere Wege scheinen ja möglich: In Thüringen hat sich der Landtag schon damit beschäftigt, eine Konversion anzustoßen beim Konzern Jenoptik, der unter anderem die Optik für die Leo-2-Panzer, Jagdflugzeuge und Drohnen macht. Ist Konversion auch eine Option für baden-württembergische Firmen wie Diehl Defence oder Heckler & Koch, wo der Waffenproduktionsanteil sehr hoch ist?

Bei reinen Waffenproduzenten so wie Heckler & Koch nicht. Bei Diehl Defence ist in Baden-Württemberg der Rüstungsanteil tatsächlich sehr hoch, aber auch die haben zivile Produktion an anderen Standorten. Und wenn man da über die Jahre hinweg den zivilen Anteil stärkt und den Rüstungsanteil zurückfährt, dann halte ich das für ein Modell. Aber es braucht auch den politischen Druck von oben.

Viele Rüstungsunternehmen haben diese Umstellung auf zivile Produktion angesichts zuletzt schrumpfender Bundeswehretats längst eingeleitet. Nun hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Erhöhung des Bundeswehretats in Aussicht gestellt, was wie eine Reaktion auf die Forderungen Donald Trumps wirkte. Wie schätzen Sie diese Ankündigung ein?

Es gibt einen heftigen Wettstreit in der Bundesregierung, wohin die Reise gehen soll, der wahrscheinlich bis zur Bundestagswahl anhalten wird. Gabriel stemmt sich dagegen, von der Leyen und Merkel sind dafür, aber auch nicht so vehement wie Trump. Es soll ja in den nächsten Jahren ohnehin einen Anstieg der Ausgaben der Bundeswehr bis 2020 geben, um mehrere Milliarden. Der Anstieg ist geringer, als Trump sich das wünscht, aber auch Rheinmetalls Kalkulationen basieren darauf, dass wieder mehr Geld für Militär da sein wird.

Die kalkulieren das schon ein?

Ja, in Rheinmetalls Geschäftsbericht für 2016 steht: Bis 2020 vier Prozent mehr aus den Golfstaaten, aber auch mehr aus Bundeswehr-Aufträgen.

Sehen Sie dadurch die Ansätze einer Konversion gefährdet?

Es bräuchte eben einen wirklichen politischen Willen der Bundesregierung, um solche Ansätze zu stärken. In den Achtzigern haben sich Friedensbewegung und Gewerkschaften für Konversion stark gemacht. Immerhin, dieses Jahr will es die IG Metall zum Thema machen, ebenso Amnesty International, aus einer Menschenrechtsperspektive heraus. Ich glaube, Frieden wird auch durch die Politik von Trump, von Putin und Erdogan ein politisches Thema werden. Und dann muss man es eben auch praktisch umsetzen. Und Konversion im Rüstungsbereich wäre eine praktische Umsetzung. Aber solange es kein größeres Bündnis von Parteipolitikern, Gewerkschaftern, und Zivilgesellschaft gibt, wird sich da nichts tun.

 

Markus Bickel: Die Profiteure des Terrors. Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt, Westend-Verlag, Frankfurt/Main 2017, 240 S., 18 Euro

Markus Bickel, Jahrgang 1971, berichtete in den letzten zwei Jahrzehnten für verschiedene Medien unter anderem aus Sarajevo, Beirut, Bagdad und Damaskus. Zuletzt war er für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Nahostkorrespondent in Kairo. Seit 2017 leitet er in Berlin das "Amnesty Journal".


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7 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 11.04.2017
    Antworten
    Auszüge aus dem Berliner Grundsatzprogramm der SPD vom 20.12.1989:
    Das neue Grundsatzprogramm der SPD wurde am 20. Dezember 1989 mit nur einer Gegenstimme und drei Enthaltungen beschlossen. Es hielt am Begriff des demokratischen Sozialismus fest, definierte aber den sozialdemokratischen…
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