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Klammheimliche Kehrtwende

Klammheimliche Kehrtwende
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Plötzlich will die Stadt Mannheim die Multihalle von Frei Otto nicht mehr abreißen, sondern alles für ihren Erhalt tun. Und siehe da, wenn nur ein paar kluge Köpfe darüber nachdenken, wie die Räumlichkeiten sinnvoll genutzt werden können, kommen prompt ein paar kreative Konzepte heraus.

Wie alles sich zum Ganzen webt, eins im andern wirkt und lebt: Die Multihalle in Mannheim gilt als Meilenstein der organischen Architektur, lange Jahre schien das freitragende Dach der größten Gitterschalenkonstruktion der Welt regelrecht schwerelos über dem Boden zu schweben. Dennoch ist der Bau bemerkenswert belastbar: Um die Tragfähigkeit zu testen, wurden vor der Einweihung 1975 mehr als 200 wassergefüllte Mülltonnen an sensible Stellen der Dachkonstruktion gehängt – die Halle hielt stand. Auch 42 Jahre später noch, obwohl sie zunächst nur neun Monate hätte stehen sollen, als temporäres Bauwerk für die Bundesgartenschau. Inzwischen aber muss ein großer Gerüstturm das Gewölbe des abgetrennten Innenbereichs stützen; schon seit 2011 ist dieser Teil der Halle nicht mehr zugänglich. Vergangenes Wochenende, am 31. März und 1. April, wurde jedoch eine Ausnahme gemacht, damit dort ein Workshop stattfinden konnte: eine Architekturtagung über die Zukunft des Kulturdenkmals und eine mögliche Nutzung der Räumlichkeiten.

In der Mannheimer Kommunalpolitik ist derweil ein interessanter Kurswechsel zu beobachten. Denn inzwischen redet Baubürgermeister Lothar Quast von einer "moralischen und historischen Verpflichtung", die Voraussetzungen für den Erhalt der maroden Multihalle zu schaffen. Und aus der Entscheidung des Gemeinderats aus dem vergangenen Juni, die Halle abzureißen, falls bis Ende 2017 nicht genügend Spenden und Zuschüsse für den Erhalt zusammenkommen sollten, wurde in der Darstellung der Stadt nun prompt der Beschluss, "die Halle vorerst nicht abzureißen". Eine recht eigenwillige Interpretation, wenn man bedenkt, dass damals auch die Sanierung der Halle zur Abstimmung stand, aber von einer überwältigenden Mehrheit klar abgelehnt wurde. "Vor allem im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis", hieß es da in der Beschlussvorlage, empfehle sich der Rückbau (heißt: Abriss), denn der Erhalt für Kosten von mindestens 11,6 Millionen Euro sei, so wörtlich, "wirtschaftlich unzumutbar". Einzig der Stadtrat Steffen Ratzel (CDU) warb für den Erhalt und meinte vor der Abstimmung kopfschüttelnd: "Andere wären neidisch auf ein Kulturdenkmal mit diesem Stellenwert."

Wie die Stadtverwaltung damals mitteilte, befindet sich das Bauwerk "nach 40 Jahren noch weitgehend im Originalzustand". Übersetzt heißt das: Eine grundlegende Sanierung hat es nie gegeben. Einzig die Dachhaut wurde ausgetauscht, vor mehr als 35 Jahren. Die neue PVC-Membran ist ursprünglich einmal weiß gewesen, heute aber von grau-grünlichen Schlieren überzogen. Und da sie sich an vielen Stellen auflöst, ist die Holzkonstruktion zunehmend anfälliger gegenüber Witterungseinflüssen: Durch die poröse Beschichtung dringt Wasser ein und macht die Balken morsch.

Nutzlose Weltkultur

Nachdem die Stadt also jahrzehntelang kaum einen Finger krumm gemacht hat, irgendetwas für die Instandhaltung der Multihalle zu tun, zeigt sie sich nun festentschlossen, alles in ihrer Macht stehende in die Wege zu leiten, damit dieses "bewundernswerte Bauwerk", so Bürgermeister Quast, generalsaniert stehen bleiben kann. Doch wie passt nun das ins neue Narrativ: Ein Dreivierteljahr nach dem Gemeinderatsbeschluss, um private Spenden werben zu wollen, ist die Crowdfunding-Kampagne noch gar nicht gestartet, und auch die Förderanträge bei Land und Bund sind noch nicht gestellt.

Für beides scheint aus Sicht der Stadt wichtig, mit einem Nutzungskonzept für die Räumlichkeiten aufwarten zu können, um triftige Gründe zu schaffen, Kohle locker zu machen. Dass man gar nicht wisse, was man Sinnvolles mit der Multihalle anstellen solle, war schon im Juni ein zentrales Argument im Gemeinderat, weswegen sich eine teure Sanierung nicht lohnen würde. Allein hier spiegelt sich die Geringschätzung gegenüber einem Kulturdenkmal wider, das eines der wichtigsten Werke eines der bedeutendsten Architekten des vergangenen Jahrhunderts darstellt: Würde es jemand wagen, etwa den als Wahrzeichen anerkannten Mannheimer Wasserturm als abrisswürdig zu bezeichnen, weil dieser ja auch nur nutzlos rumstehe, dann würde wohl ein wutschäumender Mob den Ketzer mit brennenden Fackeln und Mistgabeln aus der Stadt jagen.

Hinzu kommt aber, dass die Bemühungen der Stadt, nach einer sinnvollen Nutzung zu suchen, nur sehr überschaubar gewesen sein können. Denn allein der zweitägige Workshop am vergangenen Wochenende brachte eine ganze Palette kreativer Ideen zutage: von Trendsportarten wie Skaten und Slacklinen, die dort einen Platz finden könnten, über ein Konferenzzentrum mit Schwerpunkten der Stadtästhetik, bis zum interdisziplinären Campus für kooperierende Hochschulen aus ganz Baden-Württemberg. Auch der Gedanke, die Sanierung der Multihalle in die Bundesgartenschau 2023 einzubeziehen (für die die Stadt knapp 73 Millionen Euro an eigenen Kosten einplant), wurde laut.

Gegenwärtig ist all das noch reichlich vage, doch das Brainstorming offenbarte vor allem eins: Sollte sich die Stadt ernsthaft darum bemühen, ein Nutzungskonzept für die Multihalle zu finden, wäre das kein Problem. Das allerdings ist weder neu noch verwunderlich. Denn die praktischen Möglichkeiten der Multihalle erkannte schon der renommierte Architekturkritiker Manfred Sack. Der schrieb 1975 unter dem Titel <link http: www.zeit.de das-wunder-von-mannheim external-link-new-window>"Das Wunder von Mannheim" in der "Zeit", es gebe "keinen dermaßen originellen Bau, der so vielen Menschen auf einmal so nützlich wäre", eine "Halle für so ziemlich alles". Geeignet für "Ausstellungen und Auktionen, Sommerfeste und Winterbälle, für Pop-Konzerte und Sportwettkämpfe, Wahlen und den Zirkus, für Tiraden und Gesänge", könne sie zum Zentrum des neuen Stadtviertels werden.

Das wahre Aushängeschild: der Streichelzoo

Es kam anders. Die Stadt Mannheim hat die Multihalle bemerkenswert gut versteckt; wer sie nicht aktiv sucht, stolpert höchstens zufällig über dieses <link http: www.archplus.net home news external-link-new-window>"Denkmal der Experimentalkultur", beim gebührenpflichtigen Besuch im Herzogenriedpark. Auf dessen Website heißt es, der Park sei "vor allem bekannt für seine archaische Nutztierarche, einen Bauernhof mit alten Tierrassen inklusive Streichelgehege, sowie für sein beachtliches sportliches Angebot". Erwähnt wird auf der Startseite lediglich das Restaurant in der Multihalle. Über das Bauwerk selbst und dessen Bedeutung steht dort hingegen kein Wort.

Die am Rande des Parks liegende Herzogenried-Siedlung, ursprünglich konzipiert als Musterbeispiel fürs "Wohnen im Grün", macht heute mit ihren teils 13-geschössigen Betonhochhäusern einen eher trostlosen Eindruck, und der Umgang der Politik mit der Neckarstadt, zu der das Wohngebiet gehört, weist erstaunliche Parallelen zu dem mit der Multihalle auf: Während wunderschöne Altbauten, facettenreich verziert mit Ornamenten, Reliefs und Stuck, den Glanz vergangener Tage noch erahnen lassen, ist die Bausubstanz zu großen Teilen heruntergekommen. Groß angelegte Investitionsprogramme in die Infrastruktur hat sich die kommunale Politik angeblich vorgenommen, aber nie umgesetzt. Heute gilt der westliche Teil der Neckarstadt als größter Problembezirk Mannheims, mit nicht einmal zehn Prozent Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterwahl 2015, mafiösen Strukturen am Immobilienmarkt und Hinweisen auf Menschenhandel in der Prostitution.

Sollte die Neckarstadt nun ein Wahrzeichen von Weltrang verlieren, würde sich das also nahtlos einfügen in die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Umgekehrt aber – und das wird auch von TeilnehmerInnen des Workshops als zaghafte Hoffnung geäußert – könnte eine Investition in den Erhalt der Multihalle einen Auftakt darstellen, politisch endlich wieder mehr für den vernachlässigten Stadtteil zu tun.


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3 Kommentare verfügbar

  • Volker Beisel
    am 11.04.2017
    Antworten
    Was gerne vergessen wird: Die Halle war ein temporärer Bau – gedacht für die Zeit der Bundesgartenschau. Nach der sommerlichen Gartenschau war die Halle zum Rückbau vorgesehen. Es wurde also nicht versäumt die Halle zu sanieren, es wurde versäumt die Halle planmäßig nach der Gartenschau wieder…
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