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Grünes Blechle

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Grüne Ideen seien längst angekommen in den Unternehmen im Land. Diese kühne These vertritt Ministerpräsident Kretschmann gerne. Dabei erweist sie sich als Illusion, sobald der Profit nicht stimmt. Die aktuelle Schadstoff-Debatte zeigt, wie erfolglos Winfried Kretschmann als Wirtschaftsnaher geblieben ist.

Smart gibt er sich, der Schlaks mit dem markanten Schnurrbart. Nicht in der Manager-Uniform ist er erschienen beim Grünen-Parteitag in Münster, sondern in Jeans und mit offenem Hemdkragen. Die trendigen Sneakers, die Dieter Zetsche gewählt hat für seinen bundesweit beachteten Auftritt, sind – nur nicht übertreiben – rot statt grün. Seine Botschaft ist eindeutig: Ich bin doch auch einer von euch, ein Umweltfreund und Weltenretter. Nur so lange jedoch, bis er den Mund aufmacht. Denn der Daimler-Chef hat inhaltlich nichts dabei, außer warmer Worte à la: "In den Zielen gibt es mehr Übereinstimmung zwischen den Grünen und unserer Branche als manche auf beiden Seiten wahrhaben wollen."

Ein Satz fiel allerdings in Münster, der Kretschmann endgültig hätte zweifeln lassen müssen an seiner Strategie des Dialogs, des Ausgleichs und des generellen Verzichts darauf, mal öffentlich klare Kante zu zeigen. Gegenüber der Automobilwirtschaft, den Abgasbetrügern und erst recht den Innovationsausbremsern. Die hatten die damalige Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) schon vor zehn Jahren auf der IAA in Frankfurt erpressen wollen mit der Drohung, dass sich in Sachen Elektromobilität nichts tun wird, wenn der Staat nicht endlich eine milliardenschwere Anschubfinanzierung übernimmt. So kam's dann ja auch. In Münster teilt Zetsche den Delegierten reichlich kühl mit, dass der Verbrennungsmotor seine Abschaffung eben selber finanzieren müsse. Mit der Folge, dass er noch lange auf dem Markt bleiben werde.

Kein Entgegenkommen also gegenüber dem Ministerpräsidenten, der anders als andere führende Grüne nichts hatte wissen wollen von einem verbindlichen Ausstiegsdatum aus der Verbrennungsmotor-Ära 2030. Nicht einmal ein konkretes Gesprächsangebot an die Politik macht der Daimler-Chef, zum Beispiel zu den eher unverfänglichen, aber zukunftsträchtigen Fragen der alternativen, synthetischen Kraftstoffe. Stattdessen in Schmelzkäse gemeißelte Parolen nach dem Motto: "Jetzt kommt die Zeit der großen Umbrüche". Zetsche ließ und lässt Kretschmann ins Leere laufen, wenn die Wirtschaft in der Bringschuld ist. Und steht, wie andere Bosse, sofort auf der Matte, wenn der weltberühmte, schwäbische Tüftlergeist gefragt wäre, noch bevor er die Kassen zum Klingeln bringt. Siehe Themen wie Feinstaub oder Stickoxid.

Bosch-Aufsichtsratschef Fehrenbach droht sogar

Ganz alte Reflexe erlaubt sich ausgerechnet Bosch-Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach. In guten Tagen ist er einer der hochkarätigen wirtschaftspolitischen Berater des Ministerpräsidenten. Und in schlechten – jedenfalls aus Unternehmersicht – ein billiger Diesel-Lobbyist, der für die Entwicklung ganz allein die Landesregierung und, wie könnte es anders sein, die Medien verantwortlich macht, anstatt vor der eigenen Türe zu kehren. Am 24. Februar schickt er dem Staatsministerium und gleich auch noch der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Schreiben, in dem er die Wirkung des beschlossenen Diesel-Fahrverbots "in der gewählten Art und Weise für die Beschäftigung in der Industrie verheerend!" nennt.

Fehrenbach zufolge reinigen die Diesel-Partikel-Filter die Luft, "der Bürger" wird mit "zum Teil irreführender Berichterstattung" falsch informiert, es gebe eine "Kampagne" gegen den Diesel und überhaupt eine "umweltpolitisch äußerst zweifelhafte Vorgehensweise". Vorsorglich droht er: "Die Auswirkungen auf die Beschäftigten im Land werden wir in den nächsten Jahren sehen und es werden uns die Mittel für die Realisierung wichtiger Zukunftsthemen fehlen." Zur Erinnerung: Bosch bestätigte Anfang Februar offiziell einen Vergleich mit geschädigten Nutzern von Dieselmodellen für den Zeitraum 2009 bis 2016 in den USA über 327,5 Millionen Dollar (304 Millionen Euro). Eine Schuld wurde seitens Bosch ausdrücklich nicht eingeräumt, ja nicht einmal der von den Klägern vorgetragene Sachverhalt anerkannt.

Viele, nicht nur Grüne, hätten sich gewünscht, dass Kretschmann, wenn er sich schon nicht trennt von diesem Berater, ihm wenigstens öffentlich Bescheid stößt. Vom grünen Verkehrsminister Winfried Hermann, von den beiden Landesvorsitzenden, auch von zahlreichen Abgeordneten der größeren Regierungsfraktion ist bekannt, dass sie sich gewünscht hätten, der Ministerpräsident wäre Fehrenbach mit wenigstens ansatzweise ähnlich deutlichen Worten entgegengetreten. Stattdessen bleibt er vor den Kulissen konziliant. Es habe "Missverständnisse gegeben". Er sei, sagt Kretschmann ohne Namen zu nennen, mit harter Kritik überzogen worden, will jetzt das Vorgehen noch einmal erklären. Mit Fehrenbach habe es "selbstverständlich" ein Telefonat geben.

Das wiederum klingt für Umweltaktivisten wie eine Drohung. Unvergessen, dass die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg zunächst am bundesweiten Gigaliner-Modellversuch nicht teilnehmen wollte. Bis Zetsche, wieder einmal, bei Kretschmann antanzte. Danach musste sich Hermann beugen. Immerhin ist es dem Verkehrsminister und Stuttgarts OB Fritz Kuhn jetzt gelungen, den allzu nachgiebigen Parteifreund in der Villa Reitzenstein auf Kurs zu halten. Nach der doch erneut Spielräume eröffnenden Aussage "Wir verbieten nicht, wir lenken, und wir steuern" hat ihn erst einmal eine Grippe außer Gefecht gesetzt. In seiner Abwesenheit stimmte auch die CDU-Landtagsfraktion der Schadstoff-Strategie inklusive Fahrverbote endgültig zu.

Kretschmanns kalkulierte Wirtschaftsnähe

Hinter Kretschmanns Wirtschaftsnähe steckt strategisches Kalkül. Er will es sich mit den Arbeitgebern nicht verderben, er will Turbulenzen vermeiden und überhaupt den ganzen Laden Baden-Württemberg zusammenhalten. Er wollte die Grünen als neue Wirtschaftspartei positionieren, nicht einmal das Etikett von der "FDP mit Fahrrad" konnte ihn davon abbringen. In der "Stuttgarter Zeitung" schreibt Reiner Ruf, Kretschmann habe in den Wahlkampfreden, die "in ihrer staatsmännischen Grundbesorgtheit" niederprasselten aufs Publikum "wie schwerer Sommerregen", den großen Bogen von Silicon Valley bis nach China geschlagen.

Nur: Der Landtagswahlkampf ist Geschichte. Endlich müsste er sein beträchtliches Gewicht als beliebtester Politiker der Republik dafür auf die Waage bringen, dass die Kontrolleure den Abgasbetrügern Beine machen. Der Diesel nach Euro-5-Norm, den die Automobilindustrie retten möchte, übrigens im Schulterschluss mit führenden SPD-Verkehrspolitikern wie dem Ulmer Stuttgart-21-Fan Martin Rivoir, bringt nach den neuesten Abgasmessungen vom Wochenbeginn trotz Nachrüstung noch immer nicht das auf die Straße, was die Hersteller seit langem in Hochglanz-Broschüren versprechen. Und die Verantwortlichen reiben sich die Hände, weil sie wissen und dafür gesorgt haben, dass weder das Kraftfahrzeug-Bundesamt noch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ihnen auf die Zehen steigt.

Privat fährt Kretschmann inzwischen eine E-Klasse mit Euro-6-Norm. Häufig windet er sich, wenn das Thema Mobilität aufgerufen ist. Und einer der richtigsten Sätze, die er je gesagt hat, ist aus dem kommunikativen Verkehr gezogen: "Weniger Autos sind natürlich besser als mehr." Gefallen war er anno 2011 in einem Interview mit dem Boulevard, vier Wochen nach seiner ersten Wahl. Die damit entfachte Aufregung fand der Regierungsneuling damals "mehr als irritierend".

Gerne erzählte er staunend, wie Zetsche in seinem Büro gestanden hatte. Dass er monatelang praktisch bei jedem Termin auf diese klimapolitische Binse angesprochen wurde, wollte ihm nicht in den Kopf. Nach einiger Zeit ließ er die Finger auch von wiederholenden Erläuterungen. Gerade in der Debatte um Feinstaub und Stickoxide könnte er sich von seinen Beratern das ganze Interview allerdings noch einmal vorlegen lassen. Und sich eine andere Aussage daraus besonders zu Herzen nehmen: "Wir müssen zeigen, dass Wohlstand möglich ist, ohne Lebensgrundlagen zu zerstören. Darin besteht unsere spezielle Verantwortung, darum wird ein Grüner hier Ministerpräsident. Sonst könnte es ja jeder andere machen."


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6 Kommentare verfügbar

  • Dr. Stefan+Kissinger
    am 17.03.2017
    Antworten
    Eigentlich ist der die Verbesserung des Klimas ganz einfach und erstmal ohne Technik (Vorsprung durch Technikbetrug = Audi) möglich. Sofort.
    1. Geschwindigkeitsbegrenzung in Ortschaften:
    30 km/h nur bei wenigen Straßen 40 km /h. sofort
    2. Geschwindigkeitsbegrenzung aus Fernstraßen…
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