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Verbote werden kommen

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"Bitte lassen Sie Ihr Auto stehen", heißt es immer wieder höflich auf der Feinstaubalarm-Seite der Stadt Stuttgart. Weil der Appell aber kaum einen interessiert, müssen Stadt und Land zu anderen Mitteln greifen. Der Zoff ist vorprogrammiert.

Gut sechs Wochen ist das neue Jahr alt. An, mit Unterbrechungen, mehr als vier davon waren AutofahrerInnen aufgefordert, zwecks Senkung gesundheitsgefährdender Luftschadstoffe in Stuttgart freiwillig auf den ÖPNV umzusteigen. Die Resonanz ist wenig überzeugend - wie auch im vergangenen Jahr.

Den Verantwortlichen bleibt also nichts anderes übrig, als sich bei der Fortschreibung des Luftreinhalteplans, der bis 31. August fertig sein muss, mit dem Thema Verbote zu befassen. Der Platz zwischen allen Stühlen ist reserviert. Denn die Bürgerschaft, und nicht nur ihr direkt betroffener Teil, verlangt mit Unterstützung von Umwelthilfe oder BUND­ längst ein härteres Vorgehen. Bei CDU, FDP oder den Freien Wählern hingegen wittert man mit Unterstützung aus der Wirtschaft eine Chance, im beginnenden Bundestagswahlkampf ordentlich Stimmung zu machen - vor allem gegen die Grünen.

Unstrittig unter den Vernünftigen ist nach dem am Dienstag im Rathaus öffentlich präsentierten Wirkungsgutachten, dass die vielbeschriebene "Blaue Plakette" (den blauen Stickoxid-Kleber würden Diesel, die der Abgasnorm Euro 6 entsprechen, und Benziner mit der Norm Euro 3 bekommen) am meisten helfen würde, um die Emissionen, die der Stadtverkehr verursacht, zu senken.

Satte Mehrheit für Fahrverbote: Aber wen interessiert's?

Und das nicht nur in Stuttgart, sondern auch in München, Düsseldorf und fast 100 anderen Städten: Laut Bundesumweltministerium wohnen mehr als 400 000 Menschen in Deutschland an zu stark befahrenen Straßen. Seriöse Demoskopen haben eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit für temporäre Fahrverbote ermittelt.

Der Boden wäre also bereitet, sachlich und lösungsorientiert nach Auswegen zu suchen. Allerdings ist der CSU-Hardliner an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums, Alexander Dobrindt, daran kaum interessiert. Es braucht wenig prophetische Kraft, um vorherzusagen, dass die "Blaue Plakette" für die modernste Generation von Dieselfahrzeugen innerhalb der verbleibenden fünf Monate vor der Bundestagswahl kaum eine Aussicht auf Realisierung hat. Auch wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weiter auf ein Machtwort der Kanzlerin hofft. 

Ihre Stuttgarter Fußtruppen haben jedenfalls vorsorglich schon mal einen ganz anderen Weg eingeschlagen und wollen sich lieber einschlägigen Urteilen unterwerfen als selber konstruktiv mitzuarbeiten. Denn ab 2018 müssen - auf Klagen von Anwohnern am Neckartor hin - Fahrverbote von Rechts wegen umgesetzt werden, und die Schuld trügen andere. Alexander Kotz, CDU-Fraktionschef im Gemeinderat, lieferte im zuständigen Ausschuss ein beredtes Beispiel für den die Politikverdrossenheit fördernden freiwilligen Verzicht auf die Nutzung von Gestaltungsspielräumen: "Wäre das wirklich so schlimm, was das Gericht liefern würde?" Und statt offensiv zu werben für den verlangten Maßnahmen-Mix, prophezeit er lieber, "wie gewaltig der politische Druck wird".

Stimmt. Der "Plan B" der Landesregierung, der kommen muss, wenn die "Blaue Plakette" nicht kommt, dürfte auf erheblichen Widerstand stoßen und schlechte Stimmung provozieren. Die spitzfindige Diskussion um die Anfeuerungsverbote von Schwedenöfen und anderen Komfort-Kaminen an Feinstaubtagen, so als müssten dadurch kleine Kinder frieren, ist da nur ein Vorgeschmack. Bald wird es um Straßen gehen, die temporär stillgelegt werden.

Für Stinkeautos wird es bald eng

Am Neckartor ist eine Senkung des Ausstoßes um 20 Prozent Teil des im April 2016 vor dem Verwaltungsgerichts Stuttgart geschlossenen Vergleichs "zur Einhaltung der Immissionswerte von Feinstaub und Stickstoffoxid". Das heißt: Auf vier- und mehrspurigen Verbindungen wird es zu weiteren Tempolimits kommen, auf Steigungsstrecken ebenfalls, Busspuren werden den Platz für Normalautofahrer beschränken, und alle BesitzerInnen von Dieselfahrzeugen werden sich mit der Idee anfreunden müssen, an bestimmten Tagen ihre Mobilität jenseits des Autos zu organisieren. Es geht, so Kotz, um nicht weniger als 73 000 Pkws, rund 16 000 davon gewerblich genutzt. Und darum, dass mit dem bereits beschlossenen ÖPNV-Ausbau, etwa auf den Linien 19 oder 13, die Zeitvorgaben des Vergleichs nicht erfüllt werden können: Bis 1.1.2018 muss das Konzept zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens um ein Fünftel greifen.

"Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar", zitiert Fritz Kuhn, Stuttgarts Oberbürgermeister, Ingeborg Bachmann. Der Grüne sieht sich kunterbunter Kritik ausgesetzt. Der Grad der Ernsthaftigkeit ist höchst unterschiedlich, etwa wenn die CDU und andere verlangen, noch einmal ernsthaft über den Begriff Feinstaubalarm zu diskutieren, weil der keine gute Werbung sei für die Stadt und dem Tourismus schaden könne. Dabei konnte die Landeshauptstadt 2016 einen Allzeitnächtigungsrekord verzeichnen. Die SPD beklagt "absurdes Theater", Kotz sorgt sich um Krankenpfleger, die sich kein neues Dieselfahrzeug leisten können - als gebe es nicht Bus und Bahn oder gebrauchte Benziner.

Deutlich schwerer wiegen da die Argumente von SÖS-Linke-Plus im Gemeinderat. Christoph Ozasek nennt den eingeschlagenen Weg "völlig inakzeptabel". Denn nach seiner Rechnung würden bei Einführung der "Blauen Plakette" 1,6 Millionen Pkw einem "Abwrackzwang" unterworfen und auf diese Weise der Autoindustrie zu Extraprofiten verholfen, statt ihnen als Verursacher von Diesel-Gate Lasten aufzuerlegen. Ozasek: "Das ist grüne Politik im Jahr 2017." 

Der Koalitionsfrieden ist heilig

Grüne Politik könnte zudem sein, dass der Ministerpräsident dem Koalitionspartner weiter entgegenkommt. In der Diskussion sind mittlerweile wieder längst archivierte alte Kamellen wie der schon vor Jahren ins Gespräch gebrachte Nord-Ost-Ring, der die Innenstadt entlasten soll. Für ihn - der Friede mit den Schwarzen geht über alles - kann sich mittlerweile sogar der mächtige Staatsminister Klaus-Peter Murawski (Grüne) erwärmen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) meint dagegen, am Parksuchverkehr im Talkessel ansetzen zu können. Immerhin rechnet er dem 30 Prozent des Gesamt-Verkehrsaufkommens zu. Wo die Suchenden einen Platz finden sollen, kann der Minister allerdings nicht sagen. Kuhn und die Experten der Stadt haben dem Land ein neues großes Park-and-Ride-Gelände am Neckar ausgeredet, in der Erwartung, so der OB, dass Ankommende von außerhalb, die sich "bis zum Wasen durchtanken", dort ihren Wagen sicher nicht parken würden. In regionaler Solidarität will der Grüne auch wenig von der sogenannten Pförtner-Ampel wissen, die den Verkehr automatisch regulieren soll und vor allem zu langen Schlangen vor den Stadtgrenzen führen würde.

Überhaupt sind dank des Wirkungsgutachten ziemlich viele Winkel der Thematik bestens ausgeleuchtet. Etwa zum Thema Ausweichverkehr. So brächte ein verschärftes LKW-Durchfahrtsverbot wenig, weil der Individualverkehr die entstehenden Freiräume entdecken würde. Selbst Tempo 100 auf den Autobahnen rund um Stuttgart hätte nicht mehr als symbolischen Charakter. Während eine City-Maut oder zumindest eine Nahverkehrsabgabe, die die Grünen in der Landesregierung schon gegen die SPD nicht durchzusetzen vermochten, eine massive Entlastung brächte. Und zwar sowohl beim Feinstaub als auch bei den Stickoxiden.

"Die Zeit des Diskutierens ist vorbei", sagt jedenfalls die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender. Es wäre tatsächlich angerichtet, wären nicht zu viele unterwegs, die noch immer mit politischem Kleingeld im Beutel klimpern wollen, anstatt sich endlich der zentralsten aller Erkenntnisse zu stellen: "Die Luftreinhaltung in Stuttgart bekommt man nicht auf eine Weise hin", so Christoph Erdmenger aus dem grün geführten Verkehrsministerium, "dass am Ende alle fragen: War da was?"


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13 Kommentare verfügbar

  • paul käppsele
    am 23.02.2017
    Antworten
    Natürlich gibt es Lösungen. Kurzfristige und mittelfristige:

    kurzfristig:
    z.B. Regelgeschwindigkeit 30 km /h Durchfahrtstrassen max. 40 km /h

    z.B.PKWs dürfen 800 kg nicht überschreiten um in Städten zu fahren.

    z.B. alle Dieseldienstwagen (Verwaltung, Polizei, Feuerwehr, Ambulanz etc.) und…
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