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Raffkes mit Mandat

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Änderungen an Diäten und Altersversorgung von Abgeordneten sind stets ein Aufreger. Warum sich Grüne, CDU und SPD dennoch in eine Reform gestürzt haben, die sie als nimmersatte Materialisten in eigener Sache dastehen lässt, bleibt unerklärlich. Erst recht angesichts der halbherzigen Rückruder-Aktion.

Der Ministerpräsident war nicht da, die Parlamentspräsidentin hatte anderes zu tun, die Wissenschaftsministerin ebenfalls. Dabei wären Sachverstand und Fingerspitzengefühl dringend vonnöten gewesen, als die Grünen-Fraktion vor einer Woche über jenen Gesetzesentwurf abstimmte, der einem Teil der Abgeordneten die Rückkehr zur staatlichen Pension ermöglicht. Die war, als sich der Landtag 2008 vom Teilzeit- in ein Vollzeitparlament umwandelte, abgeschafft worden. Und für den neuen Zwang zur privaten Vorsorge gab es das satte Plus einer Diätenerhöhung um etwa ein Drittel auf aktuell rund 7600 Euro pro Monat.

Damit liegen Schwaben, Badener und Kurpfälzer in der Spitzengruppe der bundesdeutschen Volksvertreter. Und weil der jetzige Wechsel – in Zeiten der Zinsflaute – unters warme Dach der staatlichen Versorgung nur stümperhaft erklärt wurde, ist die Aufregung riesig. Die Hauptverantwortung dafür trägt die CDU, die sich einem Eintritt in das von Nordrhein-Westfalen und Brandenburg vor ein paar Jahren vergleichsweise geräuschlos gegründete <link https: www.vlt.nrw.de _blank external-link>Versorgungswerk verschloss. Über ein halbes Jahr, berichtet einer, der dabei war, sei hinter den Kulissen verhandelt worden. Den Hauptärger haben dennoch die Grünen. Die ersten Parteiaustritte sind verkündet, die einschlägigen E-Mail-Postfächer laufen voll, einzelne Abgeordnete, wie die Stuttgarterin Brigitte Lösch, machen ihrem Ärger öffentlich Luft.

Deshalb ist besonders misslich, dass sich der größere Koalitionspartner bei den am Dienstag präsentierten Aufräumarbeiten wieder nicht durchsetzen konnte. In der Fraktion war debattiert worden, beide Pakete – die Erhöhung der Kosten- und Mitarbeiterpauschalen sowie die Reform der Alters- und Hinterbliebenenversorgung – auf den Prüfstand zu stellen. Durchsetzen konnte der grüne Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz bei seinen Kollegen Wolfgang Reinhart (CDU) und Andreas Stoch (SPD) aber nur eine Überprüfung der Renten durch eine noch zu benennende Expertenkommission. Das würde in seiner Fraktion noch "am ehesten" akzeptiert, ließ Reinhart erkennen, dass vielen in der CDU die ganze Richtung nicht passt. Da hatte ein Parteikollege schon über die "grünen Weicheier" geschimpft, die einknickten "vor ein paar Briefchen in den Wahlkreisen".

Schwarz wand sich jedenfalls auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit seinen drei Kollegen, beschwor die Vertraulichkeit der internen Beratungen, erlaubte sich sogar die Schwindelei, dass ihn seine Fraktion allein mit der Überprüfung der Rentenregelung beauftragt habe, während zahlreiche grüne Abgeordnete mit langen Gesichter vernahmen, dass die Pauschalen-Erhöhung unüberprüft bleibt. Stoch wiederum verstieg sich zu dem Hinweis, dass letztere eben nicht in der öffentlichen Kritik stand. Was sich wie eine Aufforderung ausnahm, doch auch hier genauer hinzuschauen. Dem Wunsche kann entsprochen werden: Ab 1. Mai werden alle Abgeordneten – zur pauschalen Abrechnung ihrer Aufwendungen – statt bisher 1548 Euro 2160 Euro erhalten und für die Beschäftigung von Mitarbeitern statt 5409 Euro exakt 10 438 Euro. "Wir gehen davon aus, dass wir die Kritik aufgefangen haben", so Schwarz, und es klang wie das Pfeifen im dunklen Keller.

Der 37-Jährige, der die Fraktion seit neun Monaten führt, war aber nicht der einzige, der intern in der Kritik stand. Auch der Ministerpräsident bekam sein Fett weg. Der war zwar bei den entscheidenden Debatten nicht anwesend, machte seinen Unmut aber dennoch öffentlich deutlich: "Ich hab' es halt zu spät erfahren." Diese Distanzierung ließen einige seiner Parteifreunde nach den Beratungen der Fraktion nicht ungerügt, vor allem weil die Abstimmungen hinter den Kulissen über Wochen gelaufen waren. Und das Staatsministerium sei, wie es hieß, zu jeder Zeit "auf dem Laufenden gewesen". Zudem wurde moniert, dass Kretschmann Solidarität einfordere, gerade wenn es darum gehe, in inhaltlichen Fragen Kompromisse mit der mitregierenden CDU auszuhandeln. "Wir tragen 18 Millionen Euro für die Blasmusik im Land mit", ärgerte sich einer, und jetzt lasse "der Winfried" die Fraktion im Regen stehen. Die Beschlüsse seien falsch, aber sie seien gemeinsam gefasst worden: "Kneifen in der Öffentlichkeit gilt nicht."

Rabulistik offenbar schon. In einen regelrechten Wettbewerb der Spitzfindigkeiten redeten sich Schwarz, Reinhart und Stoch zur Verteidigung. Garniert mit Selbstverständlichkeiten wie: Die Bevölkerung habe ein Recht auf unabhängige Abgeordnete, auf qualitativ gute Arbeit, auf ein funktionierendes Gegengewicht zur Regierung. Der Sozialdemokrat bekannte gedrechselt "das Gefühl gewonnen zu haben, dass die Schwarz-weiß-Diskussion in der Öffentlichkeit abgeglitten ist". Deshalb werde jetzt eine "ruhige, sachliche und transparente Debatte geführt". Auch der Gemeinplatz "Gründlichkeit vor Schnelligkeit" (Reinhart) durfte nicht fehlen. Da standen AfD-Abgeordnete schon bereit, um ordentlich vom Leder zu ziehen über den Verfall der Sitten. In der vergangenen Woche, als die Reform in nur zwei Tagen durchgepeitscht wurde, sprach der finanzpolitische Sprecher der Rechtsnationalisten Rainer Podeswa gar vom größten Raubzug in der Geschichte des Landes.

Aber selbst die ernsthafte Kritik eine Nummer kleiner ist noch groß genug. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke – seine Fraktion trägt die Pauschalen-Regelung übrigens mit – blickte noch einmal zurück auf die Reform vor der Reform. Damals, 2008, hätten vier Abgeordnete verhandelt, einer sei leider tot, zwei nicht mehr im Land, und einer heute Ministerpräsident. Das Thema ist für die Grünen noch lange nicht ausgestanden, dafür werden nicht nur Teile der eigenen Mitgliedschaft offensiv sorgen.


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18 Kommentare verfügbar

  • gesders
    am 19.02.2017
    Antworten
    gregor gysi hat vor einigen jahren ´mal gesagt: waehl`n se uns, wir sind noch nicht korrupt.
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