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Lauter Einzelkämpfer

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Den NSU-Ausschüssen von Bund und Ländern ist es bisher nicht gelungen, ihre Arbeit abzustimmen. Bei einem Treffen in Berlin fehlten nicht nur die Abgeordneten aus Thüringen, sondern vor allem konkrete Ideen.

Eben erst wurden dem Brandenburger Landtag bisher unbekannte Akten überstellt zu dem inzwischen im Zeugenschutzprogramm lebenden V-Mann "Piatto". Bis ins Jahr 2000 soll er im Umfeld des "Nationalsozialistischen Untergrund" aktiv gewesen sein. Mit Hilfe alter Registrierbücher wurden frühere Aussagen entdeckt, die dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Verfügung gestellt wurden. Der könnte Dreh- und Angelpunkt des Zusammenspiels der inzwischen sieben Landtagsausschüsse sein (neben Baden-Württemberg gibt es Ausschüsse in Brandenburg, Thüringen, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen). Sein Vorsitzender, der Böblinger CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger, sieht sich ohnehin in der Rolle, den Kollegen Landtagsabgeordneten immer wieder Anregungen mehr oder weniger freundlich vor die Tür zu rollen.

Zum Beispiel zu 52 Verdächtigen aus dem rechten Spektrum in Baden-Württemberg mit direktem oder indirektem Bezug zu der Terrorgruppe und der Frage, ob deren Spuren in Stuttgart hinreichend untersucht wurden. Eine Breitseite gegen den früheren Innenminister Reinold Gall (SPD) schickte Binninger gleich hinterher: mit seiner Bewertung der von Gall eingerichteten "Ermittlungsgruppe Umfeld". Die sei ein "Papiertiger". Und Binninger hat sogar einen Arbeitsauftrag: Die neue grün-schwarze Landesregierung könne doch eine neue Ermittlungsgruppe installieren.

Ermittlungsgruppe Umfeld ist laut Binninger ein Papiertiger

Der Böblinger CDUler, der nicht mehr für den Bundestag kandidieren wird, hat aber auch selbst einiges gutzumachen. "Die Absicht des Treffens", sagt Petra Häffner (Grüne), die stellvertretende Vorsitzende des baden-württembergischen Ausschusses, "ist ehrenwert." Künftig müsse aber fundierter beraten werden. Ihre Erwartungen diesmal sind schon aus einem banalen Grund nicht erfüllt worden. Binninger hatte nach Berlin eingeladen für einen Tag, an dem die Gremien in Stuttgart, Wiesbaden und Erfurt selbst Zeugenvernehmungen anberaumt hatten. Hessische Abgeordnete konnten laut Häffner nur teilnehmen, weil eine eigene Sitzung vertagt wurde. Außerdem beklagt die Grüne die nur zweistündigen Beratungen ohne Tagesordnung: "Wir müssen fundierter vorgehen."

An Schnittmengen wäre kein Mangel. Bei 52 Spuren ins Land ist ungeklärt, wie und von welchem Personenkreis DNA vorhanden ist. Das wollen die Abgeordneten beim Bundeskriminalamt nachforschen. Ein Ausschuss könnte alles übernehmen. Sinnvoll wäre aber, vor Gericht klären zu lassen, wieweit sich Zeugen hinter Geheimhaltungspflichten verschanzen können oder wie eng Aussagegenehmigungen gefasst werden dürfen. Wolfgang Drexler (SPD), der Vorsitzende im ersten und im zweiten Stuttgarter Ausschuss, wartet auf die passende Gelegenheit für einen entsprechenden Vorstoß. Bereits mehrfach und schon in der vergangenen Legislaturperiode hatten Vernehmungen in nichtöffentlicher Sitzung, jüngst zur möglichen Verstrickung von Geheimdiensten in den Fall Kiesewetter, intern zu Debatten geführt. Drexler denkt schon mal laut darüber nach, wie es wäre, "bei geeignetem und gravierendem Anlass" das Verwaltungsgericht anzurufen. Man sei angetreten, um für Transparenz und Aufklärung zu sorgen. Das werde aber immer wieder verhindert, weil Zeugen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden können und ihre Aussagen von niemandem nach außen getragen werden dürfen.

52 ungeklärte Spuren führen nach Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Behörden haben, wie ein LKA-Beamter im Zeugenstand erläuterte, unter Leitung des von Bund und Ländern getragenen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus seit 1990 mehrere hundert Delikte an Hand eines Kriterienkatalogs durchleuchtet. Darunter Tötungsdelikte, Raubüberfälle, aber auch Brand- und Sprengstoffanschläge. Das Land habe mit 209 deutlich mehr Verdachtsfällen genannt als andere Länder, erklärte ein BKA-Beamter. Herausgefiltert wurden 34 Fälle, aus denen sich aber ebenfalls keine Bezüge zum NSU ergaben. Ein Abgleich mit den Verfassungsschutzämtern fand aber nicht statt, was nicht nur Drexler verwunderte.

Schon nach nur einer Handvoll Sitzungen haben die Abgeordneten eine Reihe von Empfehlungen für den Abschlussbericht im Auge. In Hessen geht es derzeit – ebenfalls in vor allem nichtöffentlichen Sitzungen – um die politischen Verbindungen früherer V-Leute und mehrerer Neonazis. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie glaubwürdig die Geheimdienstberichte des ehemaligen Mitarbeiters des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Andreas Temme und seine Aussagen vor dem Ausschuss waren. Temme war 2006 in dem Internetcafé in Kassel, in dem Halit Yozgat ermordet wurde. Die Wiesbadener Parlamentarier sehen sich immer wieder in ihrer Arbeit behindert. Gerade von ganz oben, weil der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier nicht als Zeuge auftreten will.

Ihre Erfurter Kollegen mussten erst kürzlich erfahren, dass sie nicht einmal von der Staatsanwaltschaft richtig ernst genommen werden. Im November 2015 wurden in Meiningen die Ermittlungen rund um den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wiederaufgenommen und zwölf Monate später wieder eingestellt. Auslöser für die Aufnahme waren unter anderem Bilder aus dem Innenraum des ausgebrannten Wohnmobils in Eisenach. Erfahren hat der Ausschuss davon eher per Zufall vor wenigen Tagen durch die Zeugenaussage einer Staatsanwältin. In Brandenburg muss der Untersuchungsausschuss – nach dem Aktenfund – jetzt herausfinden, ob Brandenburgs Verfassungsschutz die Mordserie des NSU begünstigt hat, weil Hinweise des V-Mannes nur unzureichend an die Ermittler in anderen Ländern weitergegeben wurden, um die eigene Quelle zu schützen.

Immer wieder wird und wurde die mangelhafte Zusammenarbeit der Ermittler in den Ländern beklagt. Petra Häffner ärgert sich, dass es jetzt auch den Ausschussmitgliedern nicht gelingt, sich besser auszutauschen und zu vernetzen. "Wir müssen Doppelarbeit verhindern", sagt die innenpolitische Expertin ihrer Fraktion und nennt ein aktuelles Beispiel: In Potsdam werde als Sachverständiger der Berliner Professor Hajo Funke Rede und Antwort stehen. Der sei schon "in praktisch allen anderen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen" gehört worden. Deshalb müsse die Frage erlaubt sein, "ob wir alle angesichts der Aufgabenfülle mit unserer Zeit und unseren Erkenntnissen nicht besser umgehen müssen."

 

Info:

Der NSU-Ausschuss Baden-Württemberg tagt die nächsten Male am 30.1.2017 und am 24.2.2017.


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2 Kommentare verfügbar

  • Stefan
    am 07.12.2016
    Antworten
    @Barolo: Danke für den Hinweis. Das mit dem sapere aude ist schwer für Leute die in Ideologien gefangen sind und daher intellektuell unflexibel aufgestellt sind. Aber ein Versuch ist es allemal wert.

    Die Reaktionen werden es zeigen :)
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