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Intellektuell prügeln

Intellektuell prügeln
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Sahra Wagenknecht versteht es, zu verstören. Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag greift in die Kiste rechter Rhetorik und bringt linke Wähler und ihre Partei gegen sich auf. Andererseits gilt sie als schärfste Kapitalismuskritikerin in ihren Reihen. Was treibt diese Frau um? Ein Gespräch über Sozialismus, Angst und Superhelden.

Gerade sind Sahra Wagenknecht und ihr Co-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch zu Spitzenkandidat und -kandidatin für die anstehende Bundestagswahl gekürt worden. Vergangenen Donnerstag, am 1. Dezember, war die 47-Jährige Stargast der Literaturtage in Esslingen bei Stuttgart. Rund tausend Gäste kommen zu ihrer Lesung ins Neckar-Forum, der Saal ist voll, kein einziger Stuhl ist mehr frei. Wir treffen sie vor ihrem Auftritt in der Garderobe, wo sie sich durch mehrere Stapel ihres Buchs "Reichtum ohne Gier" signiert. Die Parteilinke kennt man vor allem akkurat bis stocksteif, oft mit Zornesfalte zwischen den Augenbrauen. Die Sahra Wagenknecht im Kontext-Gespräch ist eine fast herzliche Frau. Ab und zu lacht sie sogar.

Frau Wagenknecht, wir würden Ihnen gerne zwei Fragen aus dem Quiz "Radical Pursuit" vom Schmetterling Verlag stellen.

Okay. 

Welches Werk hat Karl Marx zu Lebzeiten veröffentlicht? A: Zur Kritik der politischen Ökonomie, B: Das Kapital Band I, C: Das Kapital Band III.

Also Kapital Band I ist auf jeden Fall zu seinen Lebzeiten veröffentlicht worden. Das hat sogar Marx' wirtschaftliche Situation verbessert. 

Sind Sie sicher?

Ja natürlich.

Sie haben Recht. Noch eine Frage aus dem Quiz: Wie kann die Wiederholung historischer Fehler vermieden werden? A: Durch bedingungslosen Aktivismus. Theorie ist unnötig und hält nur von den wichtigen Aufgaben ab. B: Durch die Neuauflage früherer Konstellationen, um es dieses Mal besser zu machen. C: Durch die Aneignung der eigenen Geschichte und der Bereitschaft, daraus zu lernen.

Na, da würde ich mal sagen C. 

Wieso versuchen Sie dann, AfD-WählerInnen zurückzugewinnen, und fischen am rechten Rand?

Das hat nichts mit einem Fischen am rechten Rand zu tun. Ich möchte als Linke die erreichen, die unzufrieden sind. Damit sie nicht aus Verzweiflung AfD wählen.

Aber das ist ja trotzdem passiert ...

Naja, wenn alle Unzufriedenen AfD wählen würden, dann hätten wir ganz andere AfD-Ergebnisse. Das wäre dramatisch. Ich wünsche mir natürlich, dass alle Menschen, die mehr soziale Gerechtigkeit wollen, Die Linke wählen. Weil sie die einzige Partei mit einem sozialen Programm ist. Wir sind, anders als die AfD, nicht Teil des neoliberalen Parteienkartells, sondern als eine Partei gegründet worden, die die Agenda 2010 ablehnt und den Sozialstaat wiederherstellen will. Das sollten wir deutlicher machen, statt zu viel über Rot-Rot-Grün zu reden.

Stichwort "deutlich machen": Sie haben in letzter Zeit ein paar Sätze fallen lassen, von denen Sie als intelligente Frau wissen, was damit getriggert wird: "Kapazitätsgrenzen", "wer Gastrecht missbraucht, hat es verwirkt" oder "nicht alle Verarmten und Verelendeten können zu uns kommen". Ist das linker Populismus?

Meine Strategie ist nicht, Ressentiments zu bedienen. Das darf Die Linke nicht. Aber sie muss Ängste ernst nehmen. Dass Menschen, die in Deutschland leben, sich an die Gesetze und Regeln halten, die es hier gibt, ist ein ganz normaler Anspruch. Auch für jemanden, der aus dem Ausland nach Deutschland kommt. Zumal er hier Schutz und Hilfe bekommt.

Aber das ist doch klar. Muss man das wirklich extra sagen, wenn man ganz genau weiß, was man mit solchen Aussagen bedient?

Ich weiß nicht, ob das so klar ist. Bei vielen Menschen ist der Eindruck entstanden, es würden keine Regeln mehr gelten. Und das schürt Angst. Merkels Politik läuft darauf hinaus, dass sozial Schlechtergestellte gegen Flüchtlinge ausgespielt werden, weil man Konkurrenzsituationen schafft. Bei bezahlbaren Wohnungen, bei Niedriglohnjobs. Integration kann nur gelingen, wenn es ausreichend Wohnraum und genug Arbeitsplätze gibt. Und wenn man es den Rechten überlässt, Probleme anzusprechen, die es wirklich gibt, macht man sie stark. 

Früher, in den linken Hochschulgruppen an unseren Universitäten, war noch klar, wer der Feind ist. Wenn in Versammlungen jemand mit AfD-Gelaber ankam, hatte man keinen Bock zu diskutieren. Auch weil man die Erfahrung macht, dass Reden nix bringt.

Von Studis kann man das meinetwegen verlangen. Aber wenn man alle Menschen, die Ängste, Ressentiments und Vorurteile haben, abhakt, dann wird man eine marginale Partei bleiben. Denn nicht wenige von denen, die in ihrem Leben nie die Chance auf gute Bildung hatten, die oft unter unsäglichen Bedingungen arbeiten und miese Löhne kriegen, die kommen eben auch mit dem, was Sie gerade "AfD-Gelaber" genannt haben – und die will ich nicht der AfD überlassen.

Wieso fischen Sie nicht bei anderen Parteien? Vielleicht SPD- und Grünen-WählerInnen? 

Viele zur AfD Übergelaufene kommen doch aus den traditionellen SPD-Milieus. Didier Eribon hat das für Frankreich in seinem Buch beschrieben [Anm. d. Redaktion: "Rückkehr nach Reims", Suhrkamp 2016]. Leute, die früher sozialdemokratisch und links gewählt haben, wählen in Frankreich jetzt zu großen Teilen Front National, weil sie sich von den Hollande-Sozialisten im Stich gelassen fühlen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in Deutschland. Wenn Sozialdemokraten, die viele Leute mit Links identifizieren, in der Regierung Hartz IV einführen und in ihrer Steuerpolitik die Reichsten privilegieren, sagen sich viele "Links ist Mist" und gehen dann nach rechts. Die gewinnt man nicht einfach mit ein paar flotten Sprüchen zurück. 

Leni Breymaier, die neue SPD-Landeschefin in Baden-Württemberg, könnte das schaffen. Sie hat Feuer, hält linke Reden und hat Lust auf linke Politik.

Natürlich gibt es Leute in der SPD, die links sind. Aber in der Regierung macht die SPD doch das Gegenteil linker Politik. Und das seit vielen Jahren.

Haben Sie angesichts der ganzen salonfähigen Ismen und Phobien vor irgendwas Angst? Was lässt Sie nachts wachliegen?

Natürlich die Angst, dass es in Europa massiv nach rechts geht. Es ist denkbar, dass Marine Le Pen die nächste französische Präsidentin wird. Bei Donald Trump hätte noch vor einem Jahr keiner gedacht, dass dieser Typ auch nur Präsidentschaftskandidat wird – und jetzt ist er Präsident. Ich habe die große Sorge, dass sich die ganze Wut, die sich bei Menschen aufgestaut hat, die sich abgehängt und alleingelassen fühlen, in hohen Ergebnissen für Rechtsparteien entlädt. Und wer das verhindern will, muss genau diese Menschen ansprechen und darf nicht auf sie herabsehen. Sonst kann sich das gesamte politische System verändern. Es ist nicht ausgemacht, dass die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit oder von Oppositionsrechten für die Ewigkeit sind.

Leben wir momentan in einer Zeit, in der wir uns mehr denn je bewusst machen müssen, dass gesellschaftliche Errungenschaften, wie etwa Frauenwahlrecht oder die Abschaffung des Paragrafen 175, verteidigt werden müssen und nicht für immer zementiert sind?

Die Türkei unter Atatürk war eine Türkei, die sich in eine säkulare Richtung entwickelte. Die Türkei heute ist eine islamistische Diktatur. Da wird mittlerweile über die Wiedereinführung der Todesstrafe debattiert – dort kann man den Rückschritt mit Händen greifen. Klar, Deutschland ist nicht die Türkei. Insoweit kann man das nicht vergleichen. Aber wenn man nicht versucht, den Anfängen zu wehren, kann man irgendwann in einem Land aufwachen, in dem man nicht mehr leben möchte. 

In welches Land würden Sie dann auswandern? 

Also darüber möchte ich jetzt wirklich noch nicht nachdenken. 

Ja, aber wo kann man denn noch hin? Überall wo's warm ist, ist es gerade nicht so toll. 

Naja, ich würde mal sagen: lieber kalt, als verfolgt.

Sie sprachen vorhin schon von der Türkei und den USA. Sehen Sie eine internationale politische Perspektive, die Chance für ein grenzüberschreitendes linkes Projekt? Oder glauben Sie, dass eine Rückkehr zum abgeschotteten deutschen Wohlfahrtsstaat eine Lösung sein kann? 

Ich fände es toll, wenn wir wenigstens in Europa eine engere Zusammenarbeit linker Parteien erreichen würden. Wir haben ja in einigen Ländern starke Linksparteien, in Spanien, in Portugal. Aber zunächst einmal müssen diese Länder wieder eigenständig Politik machen können, statt sich Brüsseler Technokraten oder arroganten Berliner Politikern unterwerfen zu müssen. Eine Wiederherstellung des Sozialstaates wird erst mal nur im Rahmen der Staaten funktionieren, die wir haben.

Wie schaffen Sie es eigentlich, immer so cool zu bleiben? Egal, ob sich Markus Lanz selbstgefällig an Ihnen abarbeitet oder Ihnen eine Schokotorte ins Gesicht fliegt. Sie wirken immer unfassbar gefasst.

Also bei der Torte, da bin ich mir nicht so sicher. Ansonsten versuche ich tatsächlich, mich zu disziplinieren. Wenn ich die Fassung verliere, hat der andere gewonnen. Solange ich sachlich bleibe und argumentiere, verliert der, der mich unter Niveau angreift. Immer wenn ich das Gefühl habe, ich würde jetzt am liebsten auf jemanden losgehen und ihn verprügeln, sag' ich mir: Okay, bleib ruhig, verprügel ihn intellektuell, das ist besser.

Wen haben Sie denn zuletzt geistig verprügelt?

Och, da gibt es einige – bei jeder Bundestagsrede. Was man da teilweise für saudämliche Zwischenrufe bekommt. Das ist einem Haus, das sich das Hohe nennt, oft nicht würdig.

Sie und der Philosophie-Professor und Publizist Hans Heinz Holz, bei dem Sie auch Ihre Magisterarbeit geschrieben haben, waren mal auf einer Wellenlänge. Holz war bis zu seinem Tod brennender Kommunist. Dann haben sie miteinander gebrochen. Holz warf Ihnen vor, erhebliche Positionen für die Karriere in der Politik aufgegeben zu haben. 

Ich habe das bedauert, und es hat mich geärgert. Holz war ein hervorragender Philosoph, aber er hatte eine sehr strikte Auffassung von der Geschichte des Realsozialismus. Dazu gehörte für ihn zum Beispiel, dass die Massenmorde der Stalinzeit keine schlimmen Verbrechen waren. Für ihn war das revolutionärer Kampf. Dass ich das anders gesehen und irgendwann auch öffentlich gesagt habe, hat er nicht gutgeheißen. Aber mir zu unterstellen, dass ich das aus Karrieregründen getan hätte, war unredlich.

Haben Sie denn Positionen für die Karriere aufgegeben?

Nein. Ich vertrete, was ich für richtig halte. Seine Position war ja: Wir brauchen wieder eine Diktatur des Proletariats. Ich halte das für gefährlich. Man darf mit dem Diktaturbegriff nicht spielen.

Noch zwei persönliche Fragen: Batman oder Spiderman? 

Keine Ahnung.

Na, wen finden Sie cooler? Sie kennen die doch ...

Nee ...

Okay. Katzen oder Hunde?

Zurzeit habe ich kein Tier. Aber Hunde sind liebesbedürftiger und reagieren stärker auf Menschen. Ich hatte früher mal einen Hund.



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49 Kommentare verfügbar

  • Daniel Dragmanli
    am 15.12.2016
    Antworten
    Nachtrag: wesentlich informativer zum Thema Wagenknecht / Linkspartei ist der nachstehende Artikel bei indymedia.org.:

    https://linksunten.indymedia.org/node/172982/unfold/all

    Sehr lesenswert für alle, die noch an das Gute in der Linkspartei glauben, und entsprechend garniert mit …
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