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Der ewige Lehrer

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Erhard Eppler wird 90 Jahre alt. Seine Biografin gratuliert dem Gewissen der SPD. Sie sagt, der Mann, den viele als Quälgeist empfanden, sei immer ein Lehrer geblieben.

Wenn Erhard Eppler irgendwo auftritt, ob in einer Buchhandlung oder in einem großen Saal, dann wird es voll. Der zarte alte Herr mit dem schneeweißen Bart hat immer noch eine verlässliche Fan-Gemeinde. Natürlich sind da jene – heute selbst im Rentenalter –, die er einst als junge Leute mit seinen Ideen angesteckt hat. Aber da sind stets auch erstaunlich viele junge Menschen, und an die wendet sich der einstige Lehrer, der am Gymnasium in Schwenningen unterrichtet hat, besonders gern.

Ein typisches Beispiel: Als die SPD im Dezember 2013 in Berlin Willy Brandts 100. Geburtstag feierte, fehlte Eppler. Der damals 87-Jährige diskutierte lieber mit Schülern der Willy-Brandt-Schule in Pforzheim über die Bedeutung dieses Kanzlers, in dessen Kabinett er für Entwicklungshilfe zuständig war. Ein bisschen ist er wohl immer geblieben, was er die kürzeste Zeit seines Lebens war: ein Lehrer.

Als gelte es, einen bockigen Parteitag zu überzeugen, wirbt der langjährige Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission für seine Themen: Ökologie und Staatsschulden, die Folgen des Neoliberalismus und die gefährliche Europamüdigkeit, das Elend zerfallender Staaten, in denen es kein staatliches Gewaltmonopol mehr gibt.

Je älter er wurde, desto mehr hörte man ihm zu

Es ist eine erstaunliche und ungewöhnliche politische Lebensgeschichte: Schon Anfang der 1980er Jahre hat Eppler sich aus der aktiven Politik verabschiedet. Zusammen mit seiner Frau Irene zog er sich nach Schwäbisch Hall zurück, die Stadt seiner Kindheit. In dem Haus, das seine Eltern gebaut hatten, schrieb er seine viel diskutierten Bücher, von dort aus reiste er zu Vorträgen quer durch die Republik, wurde gefeiert auf SPD-Parteitagen wie auf Kirchentagen. Je älter er wurde, desto mehr hörte man ihm zu. In der SPD, seiner schwierigen politischen Heimat, ist er inzwischen eine moralische Größe.

Das war nicht immer so. Der Mann, der schon in den 1970er Jahren die ökologische Wende einforderte, galt vielen als Quälgeist, der aussprach, was niemand hören wollte. Es waren vor allem die jungen Leute, die ihn verstanden – und sich von ihm verstanden fühlten. Mit dem Partei-Establishment war das schwieriger. Seine Auseinandersetzungen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt sind legendär und vermutlich stimmt, was man ihm vorwarf: Die grüne Bewegung, die zur Grünen Partei wurde, lernte von ihm, berief sich auf ihn. Vor allem junge Leute wandten sich enttäuscht von der SPD ab und wählten fortan Grün.

Dass er seiner Zeit so oft voraus war und ist, verschaffte ihm einerseits fast einen Kult-Status, machte ihn andererseits zu einer der umstrittensten Figuren in der SPD. Egon Bahr hat einmal über Erhard Eppler geschrieben: "Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch." Epplers trockene Antwort darauf: "Das wusste ich damals schon. Das habe ich in Kauf genommen."

Schon in den 1970ern hat er den Begriff des Wertkonservatismus geprägt. Sein Buch "Ende oder Wende" – bis heute lesenswert – wurde zum Bestseller. Das lag vielleicht auch daran, dass er nicht in Untergangsphantasien schwelgte, wie das damals Mode war, sondern mögliche Auswege aus der sich abzeichnenden umweltpolitischen Misere zeigte. Den Pragmatikern in der sozial-liberalen Koalition unter Kanzler Schmidt war er ein Ärgernis. Ob Steuerpolitik oder der Umgang mit aufmüpfigen jungen Leuten, ob Anti-Atom-, Friedensbewegung oder Umweltschutz: Welten trennten Schmidt und Eppler, und ihre Auseinandersetzungen sorgten jahrelang für Schlagzeilen – zum Schaden der SPD, denn der Riss ging mitten durch die Partei.

Im Filbinger-Land war sein Glück nicht zuhause

Als Entwicklungsminister unter Willy Brandt war Eppler noch unumstritten. Besonders sein Engagement für den afrikanischen Kontinent und die dortigen Befreiungsbewegungen traf den Nerv der Zeit. Damals hatte jede Kirchengemeinde, die etwas auf sich hielt, ihre Dritte-Welt-Gruppe und glaubte mit Eppler an die Wirksamkeit von Programmen zur Armutsbekämpfung und Demokratisierung. Als Willy Brandt 1974 zurücktrat, verließ auch Eppler das Kabinett, und damit begannen wohl seine unglücklichsten Jahre in der Politik. Er wurde SPD-Landesvorsitzender und Oppositionsführer im Landtag von Baden-Württemberg. Das war damals konservativstes Filbinger-Land, und konservativ war auch die SPD, erstarrt und resigniert durch die dauerhafte Oppositionsrolle.

Junge, politisch hoch begabte Sozialdemokraten, die in der Politik etwas werden und etwas machen wollten, gingen nach Bonn. Zu den "Ziehkindern" Epplers gehörte der interessanteste Nachwuchs: von Herta Däubler-Gmelin über Volker Hauff bis zu Harald Schäfer und Gunter Huonker. Der Landesvorsitzende fühlte sich in seinem politischen Umfeld allein und isoliert. Er war ein glänzender Redner, aber sobald er das Rednerpult im Landtag betrat, wurde gepöbelt wie in einer pubertierenden Schulklasse. Er selbst sagte später über diese Jahre: "Ich passte da nicht hinein. Ich habe auch in einer Weise argumentiert, die manche gar nicht verstanden. Und es ist ja so: Wenn ein Konservativer etwas nicht versteht, dann ist es linke Ideologie. Und insofern war ich dann ein linker Ideologe."

Eppler zog die Konsequenzen, stieg aus der aktiven Politik aus, behielt bis 1991 nur noch ein Amt, das ihm wichtig war: nämlich den Vorsitz der Grundwertekommission.

Während der Nachrüstungsdebatte, die in den späten 1970er Jahren nicht nur die SPD fast zerriss, wurde Eppler, damals auch Präsident des Evangelischen Kirchentages, zu einer Symbolfigur der Friedensbewegung, weil er im Wettrüsten keinen Sinn mehr erkennen konnte. Doch ein Pazifist war er nie. So hat er Freunde und Gegner überrascht, als er 1999 während eines schwierigen, hoch emotionalen SPD-Parteitags für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan warb. Seine Begründung damals: "Ich glaube, dass ein Pazifismus, der vor allem Antimilitarismus sein will, in dieser Welt gar keinen Sinn mehr ergibt." Dem gerade gewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder hat er mit seinem Einsatz den Parteitag und darüber hinaus die Autorität in der SPD gerettet.

Die Marktradikalen sind sein großes Altersthema

Inzwischen sitzt er lieber vor seiner alten Schreibmaschine und denkt über Gegenwart und Zukunft nach. Sein großes Altersthema ist der Schaden, den der Neoliberalismus – er spricht lieber von den "Marktradikalen" – überall auf der Welt anrichtet. Auch in seinem letzten, 2015 erschienenen Buch "Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen" ist das ein zentrales Thema. Er warnt vor der Spaltung Deutschlands und Europas durch den Zynismus der Marktradikalen, die die Staaten finanziell aushungern wollen. Er sorgt sich um zerfallende Staaten, ob in Afrika, ob im Nahen oder Mittleren Osten. Und in diesem Zusammenhang beschäftigt ihn seit Jahren auch das Thema Gewaltmonopol. Wenn Staaten nicht mehr das Geld haben, ihre Bürger wirkungsvoll zu schützen, ihnen Sicherheit zu geben, dann wird irgendwann das Leben, wie wir es kennen und für selbstverständlich halten, zu Ende gehen, warnt er seit Jahren in Büchern und Reden.

Und wieder einmal wird er durch die Realität bestätigt, durch den gefährlichen Rechtspopulismus, der sich in den verunsicherten Demokratien breit macht. Auf der letzten Seite des Buches "Links leben" schreibt er: "Eben weil in weiten Teilen der Erde die Staaten keine Sicherheit mehr bieten können, dürfte das Bedürfnis danach stärker werden. Der marktradikale Minimalstaat ist nur für die wenigen interessant, die reich genug sind, um für ihre Sicherheit selbst zu sorgen und damit die Privatisierung der Gewalt voranzutreiben. Deshalb wird das Gewaltmonopol des Staates gerade für Sozialdemokraten ein wichtiges Thema werden."

Nun wird er also gefeiert, der Mann, der am Freitag (9. Dezember) 90 Jahre alt wird. An dem sich früher so viele gerieben haben, weil er stets angstfrei aussprach, was er nach langem Nachdenken für richtig hielt. Im Haus auf dem Friedensberg in Schwäbisch Hall werden sich die Kinder, Enkel und Urenkel treffen, und wahrscheinlich wird er sich mit den Jüngsten in der Familie am wohlsten fühlen. Denn immer noch ist er neugierig auf das Leben wie sie. Er war schon hoch in den 80ern, als er während einer Podiumsdiskussion gefragt wurde, ob er denn gern noch einmal jung wäre. Nach einer langen Nachdenkpause war seine Antwort: "Ja, ich möchte schon gerne sehen, wie das weitergeht."

 

Info:

Die evangelische Akademie Bad Boll veranstaltet zu Ehren des Jubilars eine Tagung ("<link http: www.ev-akademie-boll.de tagung external-link-new-window>Linke Liebe zum Leben und für die Welt") vom 13. bis 15. Januar 2017. Unter den Rednern finden sich Gerhard Schröder und der Kopräsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker. Die Biografie von Renate Faerber-Husemann trägt den Titel "Der Querdenker Erhard Eppler" und ist 2010 im Dietz-Verlag erschienen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Fritz
    am 11.12.2016
    Antworten
    Schon interessant, daß die "alternativlose" Rechte hier immer für jeden Artikelkommentar einen anderen Nick benötigt.
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