Der Sachverständige ist vor allem geladen, um die historische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland zu vermitteln. Die Aufmerksamkeitskurve bei einigen sinkt schnell. Ausgerechnet die Jüngeren in der CDU-Fraktion sind intensiv mit ihrem Tablet beschäftigt, als Virchow solche Nebensächlichkeiten ausführt wie rechtsterroristische Anschlagspläne auf Bundeskanzler Willy Brandt im Jahre 1970. Die Entführung des Nazi-Jägers Simon Wiesenthal war beabsichtigt oder jene von Beate und Serge Klarsfeld, um Rudolf Heß aus der Haft freizupressen. Der Professor berichtet, wie viele kleine rechte Gruppen seit Ende der 1960er Jahre Depots mit Waffen und auch Sprengstoff angelegt hatten und dass viele Planungen schon sehr detailliert vorangetrieben worden waren, es schlussendlich aber an den Möglichkeiten zur Umsetzung mangelte. Von "exklusiven staatspolitischen Unterrichtseinheiten" wird Arnulf von Eyb später sprechen. Der CDU-Obmann im Ausschuss lässt offen, ob dies anerkennend gemeint ist.
Dabei hätten gerade die CDU-Abgeordneten bei dem Namen Manfred Roeder aufhorchen sollen. Der Professor nennt ihn eine "zentrale Figur, an der sich spätere Generationen orientieren". Roeder war fünf Jahre aktiv in der CDU, bevor er 1970 austrat, um zuerst die "Bürgerinitiative gegen moralische und politische Anarchie" und dann die "Kampfgruppe Roeder" zu gründen. 1978 ging der frühere Heß-Anwalt in den Untergrund, 1982 wurden ihm bei einem Prozess in Stammheim mehrere Anschläge zugerechnet. Im August 1980 starben die beiden vietnamesischen Boatpeople Ngoc Chau Nguyen und Anh Lan Do bei einem Brandanschlag, für den mit Benzin und Putzwolle gefüllte Saftflaschen verwendet wurden. Ihre Namen sind in Vergessenheit geraten, genauso wie die Tatsache, dass Roeder zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde; dass er bereits 1990 wegen guter Führung wieder entlassen wurde; dass er 1998 als NPD-Kandidat bei der Bundestagswahl antrat; dass er bis zu seinem Tod 2014 immer wieder wegen Volksverhetzung, Holocaustleugnung oder Verunglimpfung des Staats verurteilt wurde. Seine Schriften wurden besonders vom Thüringer Heimatschutz geschätzt, der sie bevorzugt auf Demos und bei Treffen verteilte.
Der Staat muss sagen: bis hierher und nicht weiter
Wie schon der Esslinger Professor Kurt Möller, der im Auftrag des ersten Ausschusses ein Gutachten über "Struktur und Entwicklung des Phänomenbereichs Rechtsextremismus in Baden-Württemberg von 1992 bis heute" vorlegte, beklagt Virchow, dass für eine genauere Analyse die Grundlagen fehlen. In einer umfangreichen Studie zum Linksextremismus sei dem Rechtsextremismus ein "sehr kleines Kapitel" gewidmet. Der Sachverständige verlangt, einschlägige Studien in Auftrag zu geben, um Warnschilder aufstellen zu können: "Da müssen wir genauer hinsehen." Der Staat müsse "bestimmten politischen Milieus klarmachen: bis hierher und nicht weiter."
Ein politisch-parlamentarisches Milieu entzog sich der Lehrstunde. Die Abgeordneten der "Alternative für Deutschland" (AfD) – ihre Vertreter im Ausschuss sind Heinrich Fiechtner und Christina Baum – glänzten den ganzen Tag durch Abwesenheit. Dabei hätten sie sich angesprochen fühlen müssen, wenn Virchow von Aktionen "im Sinne der schweigenden Mehrheit" warnt, davor, sich als "Vorhut einer Bevölkerungsgruppe" zu fühlen. Nach ihrem ebenso leicht durchschaubaren wie erfolglosen Vorstoß, aus propagandistischen Paritätsgründen einen Ausschuss auch zur Untersuchung des Linksextremismus einzusetzen, wäre wenigstens Virchows Definition von Terrorismus aufschlussreich gewesen: Es muss sich um gewalttätiges geplantes Handeln halten, nicht einmalig, geheim, mit dem Ziel, Angst zu verbreiten und einzuschüchtern und – im Vergleich zur Mafia – ohne das Element der Bereicherung.
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Gela
am 23.11.2016Außerdem nimmt Campact zu den Vorwürfen der Parteilichkeit von Albrecht Müller wie folgt Stellung:
"Wir diskutieren viel und heftig…