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Viel Rauch um Brandschutz

Viel Rauch um Brandschutz
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In der kommenden Woche informiert die Deutsche Bahn den Gemeinderat der Landeshauptstadt erneut zum aktuellen Stand bei Stuttgart 21. Irritationen gab es schon im Vorfeld: Eine unabhängige Brandschutzexpertin wurde erst gar nicht eingeladen.

Seit Jahren erhitzt der Brandschutz im neuen Tiefbahnhof die Gemüter. Projektkritiker warnen, dass sich die 420 Meter lange Bahnhofshalle bei Feueralarm nicht schnell genug evakuieren lässt. Reisende würden an giftigen Brandgasen ersticken, sagen sie. Die Deutsche Bahn (DB) widerspricht regelmäßig, hält Fluchtwege und Fluchtzeiten für ausreichend, um alle Personen lebend aus der Gefahrenzone zu retten. Nicht gerade vertrauenserweckend wirkt dabei, dass die Bauherrin schon mehrfach ihr Brandschutzkonzept über den Haufen geworfen hat. Und dies nicht nur aufgrund verschärfter Vorschriften.

Zuletzt hatte Klaus Jürgen Bieger, oberster Brandschutzexperte der DB, im vergangenen Februar im Umwelt- und Technikausschuss (UTA) des Stuttgarter Gemeinderats mit neuen Plänen überrascht. Jetzt sollen die zusätzlichen Fluchttreppenhäuser, ursprünglich waren zwei auf jedem Bahnsteig vorgesehenen, an die Bahnsteig-Enden rücken. Auch bei der Rauchbekämpfung plante die Bahn komplett um. Im Brandfall sollen riesige Gebläse von einer oder beiden Portalseiten aus Luft in die Bahnhofshalle pusten. Rauch soll so ausschließlich über die Lüftungsklappen der 28 Lichtaugen in der Bahnhofsdecke entweichen. Zuvor sollten noch Schwallbauwerke an den Tunnelportalen die giftigen Brandgase absaugen.

Das bisherige Konzept hätte dazu geführt, dass der gesamte Tiefbahnhof nach einer gewissen Zeit durch die künstliche Luftbewegung verraucht worden sei, begründete Bieger damals die Planänderung. "Eine Seite des Bahnhofs bleibt jetzt im Brandfall dauerhaft rauchfrei", betonte er. Erleichtert über die Planänderung zeigte sich auch Stuttgarts Feuerwehrchef Frank Knödler: "Es war erst Ingenieurquatsch, jetzt ist die Bahn unserem Konzept gefolgt, es ist ein ganz einfaches Konzept", gab der Branddirektor damals zu Protokoll.

Knödlers Aussage ist bemerkenswert. Denn für den "Ingenieurquatsch" hatte die DB bereits den behördlichen Segen des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) erhalten. Dies sowie das mehrfache Hin und Her der Bahn wirft Fragen auf: Was taugen die Evakuierungs- und Rauchbekämpfungspläne tatsächlich? Und wie gründlich prüft die Bonner Aufsichtsbehörde wirklich? Derzeit wartet die Bahn auf die Genehmigung des 18. Planänderungsantrags durch das EBA, mit der sich die "Optimierungen", so der offizielle Bahnsprech zur neuesten Fassung des Brandschutzkonzepts, auch auf der S-21-Baustelle realisieren lassen.

Das schwebende Verfahren macht es wahrscheinlich, dass Stadträte und Öffentlichkeit zur anstehenden Informationsveranstaltung im Rathaus nicht viel Neues seitens der Bahn hinsichtlich Entfluchtung und Entrauchung erfahren werden. Im Februar benötigte Bahn-Brandexperte Bieger gerade mal sieben Folien, um den Tiefbahnhof den Stadträten als "sicher evakuierbar" zu präsentieren. Genau daran hegt Kathrin Grewolls jedoch massive Zweifel. "Der Planänderungsantrag der Bahn enthält zahlreiche unplausible oder sogar falsche Schutznachweise", kritisiert die Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz aus Ulm, nachdem sie im Auftrag der Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-PluS das überarbeitete Brandschutzkonzept unter die Lupe genommen hat. Ein Beispiel: Das Evakuierungsgutachten der Bahn rechnet mit sechs Flüchtenden pro Quadratmeter, die sich im Alarmfall vor Engstellen wie Treppenaufgängen stauen. "Bei dieser Enge ist mit kritischen Situationen zu rechnen", verweist Grewolls auf Studien zum Duisburger Loveparade-Unglück im Jahr 2010. Damals starben im Massengedränge 21 Menschen, über 500 weitere wurden verletzt.

Zudem berücksichtige das Szenario nur junge und gesunde Personen als Flüchtende, ohne Gepäck oder kleine Kinder an der Hand. Desweiteren würden nur spärlich besetzte Züge und fast menschenleere Bahnsteige angenommen. "Ein Evakuierungsszenario muss den Worst-Case-Fall abbilden", betont die Sachverständige. Etwa, wenn sich vor einem abendlichen Fußballspiel in der nachmittäglichen Hauptverkehrszeit Tausende Pendler und VfB-Fans auf den Bahnsteigen drängen.

Extrem lange Fluchtwege

Gestolpert ist die Brandschutzexpertin auch über die Rettungswege, die vom Tiefbahnhof ins sichere Freie führen sollen. Die seien mit bis zu 190 Metern extrem lang, kritisiert sie. "Die hiesige Landesbauordnung erlaubt Rettungswege von maximal 35 Metern", verdeutlicht Grewolls. Dass es im neuen Hauptbahnhof viel weiter bis in Sicherheit sein darf, ergibt sich aus einer "behördlichen Wortklauberei": Der Tiefbahnhof geht genehmigungsrechtlich als Sonderbau durch."Das Sicherheitsniveau wird abgesenkt, das Risiko erhöht", bemängelt Grewolls die Umbenennung.

Kritik und Bedenken hätte die Brandschutzexpertin gern auch den Stuttgarter Stadträten vorgetragen. Nur darf sie es nicht. Den Vorschlag von SÖS-Linke-PluS, neben Bahn-Manager Bieger und Feuerwehrchef Knödler auch Gutachterin Grewolls auf Seiten der Projektkritiker zu Wort kommen zu lassen, schmetterte der Ältestenrat des Gemeinderats im Vorfeld der Sitzung ab. In dem elfköpfigen Gremium, dessen Vorsitz OB Kuhn hat, sind die S-21-Befürworter aus CDU, SPD und Freie Wähler, wie auch in der Vollversammlung des Stadtrats, in der Mehrheit. SÖS-Fraktionschef Hannes Rockenbauch ist im Ältestenrat der Einzige, der kompromisslos einen Baustopp von Stuttgart 21 mit Umstieg auf einen modernisierten Kopfbahnhof fordert. Die Vertreter der Grünen, früher ebenfalls erklärte S-21-Gegner, begleiten nach dem Weiterbau-Votum bei der Volksabstimmung nach Parteilinie, sprich konstruktiv-kritisch.

Welche Steine den Tiefbahnhof-Gegnern von der Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-PluS im Rathaus in den Weg gelegt werden, musste Rockenbauch auch nach der überraschenden Kehrtwende der Bahn im Februar erfahren. Seit dem UTA-Auftritt des Brandschutzexperten Bieger bemühte er sich um Einsicht ins aktualisierte Brandschutzkonzept. Bislang immer vergeblich. Einen Korb gab's vom Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU), bei dem Rockenbauch anfragte. "Wir empfehlen Ihnen, die vollständigen Informationen direkt bei der Deutschen Bahn anzufordern", riet Schairer dem SÖS-Gemeinderat im vergangenen Juni.

Schairer untersteht die Stuttgarter Branddirektion, die am Prüfverfahren des Schutzkonzepts durch das EBA beteiligt ist. Ohne deren O. K. ist eine Genehmigung unwahrscheinlich. Nach Kontext-Informationen liegt Feuerwehrchef Knödler das überarbeitete Brandschutzkonzept zwar seit Juni vor. Allerdings nur in Auszügen. Berechnungen und Detailinformationen zu den Entfluchtungs- und Entrauchungssimulationen behielt die Bahn für sich, wie auch Schairer offenherzig gegenüber Rockenbauch zugab. Aus Mangel an Detailinformationen müsse sich seine Behörde "auf eine Plausibilitätsprüfung der dargestellten Parameter und Ergebnisse beschränken", gestand der Bürgermeister in seinem Schreiben.

Und wieder hält die Bahn Daten unter Verschluss

Der Ton verschärfte sich, als Rockenbauch bei Schairer auf Akteneinsicht insistierte: "Mitglieder demokratischer Gremien müssten Prüfergebnisse, Berichte und Präsentationen überlassen werden, um eine Fachdiskussion auf Augenhöhe führen zu können", forderte er in einem weiteren Schreiben an den Bürgermeister. Der Hinweis auf Transparenz verfing nicht. "Der Bitte um Überlassung bzw. Einsichtnahme in Unterlagen können wir nicht nachkommen", heißt es in Schairers Antwort mit Datum 4. Oktober.

Einen weiteren Korb holte sich Rockenbauch bei der Bahn. Von der Bauherrin erbat sich der Stadtrat Informationen mit Hinweis auf das Umweltinformationsgesetz. Doch der Konzern gab sich mit dem unterschwelligen Hinweis auf angebliche Terrorgefahren zugeknöpft. Eine über die UTA-Sitzung im Februar "hinausgehende Herausgabe von detaillierten Informationen zum Brandschutz- und Entfluchtungskonzept des neuen Hauptbahnhofs an einen potenziell unüberschaubaren Personenkreis hätte eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Folge." Die DB verweigerte Akteneinsicht.

Ganz anders das EBA. Es übermittelte den projektkritischen "Ingenieuren 22" den Planänderungsantrag der DB, die ebenfalls mit Hinweis auf das Umweltinformationsgesetz um Einsicht gebeten hatten. Hans Heydemann, den Sprecher der Gruppe, akzeptierte der Ältestenrat des Stuttgarter Gemeinderats auch als Referenten während der anstehenden Gemeinderatssitzung. Heydemann, der in seiner aktiven Berufszeit Lüftungs- und Entrauchungsanlagen für Industrie- und Verwaltungsgebäude plante, bereitet sich auf seinen Auftritt vor dem S-21-Ausschuss gemeinsam mit Brandschutzexpertin Grewolls aus Ulm vor. "Was fehlt, sind die Simulationsparameter", betonen Grewolls und Heydemann, dass die Bahn noch immer nicht alle Karten offen auf den Tisch gelegt hat. Mit Hilfe der Parameter lasse sich das Ergebnis einer Simulationsberechnung entscheidend beeinflussen, kritisieren sie. Nur anhand aller Daten lasse sich prüfen, ob realistische Szenarien für ein Brandereignis im Tiefbahnhof durchgespielt wurden.

Der Ball liegt nun beim Gemeinderat. Der S-21-Ausschuss, allen voran Oberbürgermeister Fritz Kuhn, könnte die nötige Datentransparenz von der Bahn einfordern.


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8 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Kohler
    am 23.11.2016
    Antworten
    Liebe Herren Rockenbauch, v. Loeper, Heydemann,
    liebe taz, liebe kontextwochenzeitung,

    vielen Dank an die obigen 3 Herren für den so wunderbaren Umstieg21-Impuls am 15.11.16 in der öffentlichen Sitzung zu Stuttgart21 (S21) im Stuttgarter Rathaus - die 3 Herren als Vertreter von…
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