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Rechte Flanke aufgegeben

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Als Hans Filbinger Ende der Siebziger stürzte, gründete er das "Studienzentrum Weikersheim". Dort sollten christlich-abendländische Werte beschworen und der CDU von rechts her eingeheizt werden. Heute geben dort nicht mehr Erzkonservative den Ton an, sondern Rechtsnationale. Und Präsident Harald Seubert warf das Handtuch.

So weit ist es gekommen. "Mir ist das Studienzentrum nur aus den Medien bekannt", sagt der neue Generalsekretär der Südwest-CDU, Manuel Hagel. Und eigentlich nicht einmal das, denn er habe "schon lange nichts mehr gelesen". Dabei sind es gerade die Jungen und Jüngeren, die ihre Partei gern nach rechts öffnen würden. Hagel, der Ehinger Landtagsabgeordnete und CDU-Stimmenkönig, hat mit einer neuen konservativen Positionierung in der Fraktion gleich zu Amtsantritt für jede Menge Stirnrunzeln gesorgt. Andere schlagen noch deutlichere Töne an: Für Nikolas Löbel, Landeschef der Jungen Union, ist es "ein Fehler", die Alternative für Deutschland einfach nur in die rechte Ecke zu stellen. Denn sie sei für viele "die willkommene Gelegenheit, auf dem Stimmzettel mit Nein zur aktuellen Flüchtlings- und Migrationspolitik zu stimmen, die eine Mehrheit der Menschen in unserem Land nicht will". Löbel warnt vor einer "grenzenlosen Migrationspolitik". So als wäre er zumindest in der CSU und einer jener Weikersheimer, die den Blick inzwischen noch strammer nach rechts richten als früher.

"Massenzuwanderung und ihre Folgeprobleme" war das Thema der Jahrestagung am vergangenen Wochenende, der 39. in der Weikersheimer Geschichte. Vom hochherrschaftlichen Rittersaal ist der eingetragene Verein längst in die Orangerie des Stammsitzes der Herren von Hohenlohe gezogen. Vorbei die Zeiten, in denen mehrere Hundert Teilnehmer und Journalisten anreisten, linke und linksliberale eingeschlossen, in denen Gerhard Schröder oder Annette Schavan, Gesine Schwan, Joachim Gauck oder Rita Süßmuth der seltsamen Organisation im Fränkischen ihre Aufwartung machten – als Referenten, die den von Filbinger dringend erwünschten Eindruck von Pluralität und Überparteilichkeit erzeugten und nebenbei an ihrem Image als Politintellektuelle polieren konnten. Kleine und größere Risse im Lack gab es immer schon, vor allem, wenn Figuren im Weikersheimer Dunstkreis auftauchten, die näher zum äußersten rechten Rand hin operierten, als es die Volkspartei CDU und die Medien schicklich fanden.

Wandel zum bürgerlich liberalen Thinktank gescheitert 

Heute ist der eingetragene Verein geschrumpft auf noch rund 170 Mitglieder. Etwa 60 Zuhörer fanden am Wochenende den Weg. Und angesagt war zuallererst Schadensbegrenzung. Denn Harald Seubert hatte seinen Rückzug mit schweren Vorwürfen unterlegt. Der evangelische Professor für Philosophie und Religionswissenschaft war 2011 Präsident geworden, wollte die Einrichtung als "bürgerlich liberalen Thinktank" präsentieren. In einem seiner Vorträge erklärte er den Idealismus "zum geistigen Erbe unserer Nation" und zum "Anknüpfungspunkt für einen modernen freiheitlichen Konservatismus", den das Studienzentrum bewahren müsse. Hat es aber nicht.

Vor sechs Wochen meldete sich der 49-Jährige in einer "wichtigen Mitteilung" zu Wort: "Mit sofortiger Wirkung bin ich als Präsident zurückgetreten." Ein langer Erwägungsvorgang sei damit zu einem Ende gekommen, "währenddessen eine Dissonanz zwischen der Integrität meiner philosophischen und institutionellen Bemühungen mit der faktischen Interessenlage einer Mehrzahl von Mitgliedern und der Institution immer weiter gehend deutlich wurde". Und weiter: "Ich sehe mit Besorgnis und Entsetzen, wie 'Bewegungen' wie die AfD und Pegida, unter Berufungen auf 'Abendland' und gesellschaftliche Homogenität eine Unkultur von Ressentiment und Hass neu aussäen." Die "widerlichste Ausgeburt" dieser Tendenzen sei ein neuer oder gar nicht neuer deutscher Antisemitismus, der es natürlich nicht sein möchte. "Meine klare Linie, jedwede Berührung des Studienzentrums mit diesen Tendenzen eindeutig zu verneinen", so Seubert, "ist bis in den engeren Kreis des Präsidiums hinein nicht geteilt worden, ohne dass ihr offen widersprochen worden wäre."

Alles Blödsinn, sagen seine Nachfolger, die früher seine Stellvertreter waren. Eine Doppelspitze führt den Verein seit wenigen Tagen: Karl Albrecht Schachtschneider und Jost Bauch, die Deutschland ausweislich eines gemeinsamen Buches durch die Einwanderung "am Scheideweg sehen". Sie sind die neuen Präsidenten. Einstimmig, berichtet Geschäftsführer Daniel Tapp, seien auf der obligatorischen Mitgliederversammlung vor dem Jahrestreffen alle Vorwürfe zurückgewiesen worden. In Bälde werde im Netz eine entsprechende Erklärung veröffentlicht.

Eigentlich reicht aber ein Blick ins Programm der selbst ernannten Denkfabrik, um ihre Nähe zu den neuen erfolgreichen rechten Ultras zu diagnostizieren. "Zuwanderung, zumal in der bisherigen, weithin ungesteuerten Form, ist keine Lösung für das Problem der Bevölkerungsimplosion", heißt es da. Oder: "Die Gesellschaft ist auf dem Weg zu einer Multiminoritätenstruktur, in der das zum Überleben notwendige kulturelle Zentrum zu verschwinden droht." Oder: "Die Politik ist aber nicht ermächtigt, das deutsche Volk gegen eine beliebig andere, neue Bevölkerung auszutauschen." Und zum Thema Bildung: "Die heute unübersehbar gewordene Bildungskatastrophe ist auf eine seit Jahrzehnten verfehlte, ideologisch motivierte Schul- und Hochschulpolitik zurückzuführen." Oder zur inneren Sicherheit: "Im Gegensatz zu mancher offiziellen Beschwichtigungs- und Verschleierungstaktik hat die gesellschaftliche Desorganisation und Anomie zu- und die 'gefühlte Sicherheit' in der Bevölkerung abgenommen." So oder so ähnlich formuliert auch die AfD in ihren Pamphleten.

Der Geschäftsführer ist FPÖ-Sympathisant

Beleg für den (weiteren) Rechtsruck ist zudem die Person des Geschäftsführers. Daniel Tapp gehört zwar nicht der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) an, die einst von Jörg Haider auf stramm national umgekrempelt wurde. Aber er fungiert als Mitarbeiter von Barbara Rosenkranz. Die besonders exponierte österreichische Rechte stellt sich seit Jahren gegen die strenge sogenannte Verbotsgesetzgebung, die vergleichsweise rasch greift, wenn der Holocaust in Österreich geleugnet oder verharmlost wird. Die Erzkonservative argumentiert, wie die Unterstützer des inzwischen fraktionslosen AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon hierzulande, mit der Meinungsfreiheit.

Mittlerweile ist die Geschäftsstelle des Studienzentrums sogar nach Wien verlegt, samt von dort ausgehenden neuen Aktivitäten. Im vergangenen Winter fand im ehrwürdigen Palais Epstein, das heute auch eine Demokratiewerkstatt(!) beherbergt, ein in bestimmten Kreisen viel beachtetes Symposium statt zur "Ungarns Rolle in Europa", unterstützt von der FPÖ, die demnächst mit ihrem Vorsitzenden Heinz-Christian Strache sogar den Bundeskanzler zu stellen hofft. Schachtschneider, der seit Jahr und Tag den Euro und den europäischen Solidaritätsgedanken bekämpft, lobte Viktor Orbán über den grünen Klee und kritisierte die deutsche Bundeskanzlerin scharf: "Die Souveränität des Volkes verbietet es, die Verantwortung für die Sicherheit und Ordnung aus der Hand zu geben." Staatsorgane, die Sicherheit und Ordnung "vernachlässigen, verlieren ihre Berechtigung".

Nur wenige Tage später wollte der frühere Professor an der Uni Nürnberg-Erlangen die Bundesregierung per Verfassungsbeschwerde zwingen, die deutschen Grenzen "gegen die illegale Einreise von Ausländern zu sichern": Die Grenzöffnung sei als Verstoß gegen geltendes Recht einzuordnen. Unterstützt unter anderem von dem irrlichternden Jürgen Elsässer und dem Magdeburger AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, sollte außerdem die Suspendierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel durchgesetzt werden. Karlsruhe wies die Beschwerde ohne Begründung im März 2016 zurück.

Heute gibt es keine nennenswerten Drähte zur Landes-CDU mehr

Mit Seuberts Abgang geht die Phase der "personellen und programmatischen Erneuerung, um sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen", abrupt zu Ende. 2011 wollte sich das Studienzentrum aufmachen, um – längst ohne Staatsknete und längst ohne nennenswerte Drähte zur bis dahin regierenden CDU – eine "eigene attraktive Rolle" im rechten Spektrum zu finden. Seit der Gründung durch Filbinger war jeder Ministerpräsident, ausgerechnet außer Stefan Mappus, Vereinsmitglied und unterstrich seine Verbundenheit durch den jährlich zu entrichtenden Beitrag von 100 Euro. "Das Studienzentrum wurde zur 'geistig-moralischen Erneuerung' als Antwort auf die sogenannte Kulturrevolution der 68er und den Einfluss der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule gegründet", schreibt Kontext-Autor Anton Maegerle in einem Buchbeitrag. Als Ideologiezentrum am Rande der Union "wollte man diese neu als 'christlich-nationalkonservative' Partei profilieren".

1997 gab Filbinger den Vorsitz ab. Ihm folgte der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Freiherr von Stetten, heute einer der schärfsten Kritiker der grün-schwarzen Landesregierung. Auch an seinen Werdegang erinnert Maegerle. Er habe "als Jugendrichter jugendliche Ladendiebe zu Freiheitsstrafen verurteilt" und später seine Bundestagsfraktion in einem Rundschreiben davor gewarnt, "Vergewaltigungen in der Ehe zu bestrafen". Auf von Stetten folgte 2001 der umstrittene Politikwissenschaftler Klaus Hornung ("Für Böswillige bin ich rechtsextrem"), der heute noch immer Beisitzer ist. Sein Stellvertreter wurde damals Jörg Schönbohm, Brandenburgs CDU-Innenminister, der für die CDU die alte Franz-Josef-Strauß-Losung übernommen hatte, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Immerhin waren 2001 die "Republikaner" nach neun Jahren gerade aus dem baden-württembergischen Landtag geflogen, geführt von Rolf Schlierer, einst Filbingers Ziehsohn in Weikersheim. 

Heute, beteuert CDU-Generalsekretär Hagel, gebe es keinen "spürbaren Einfluss" mehr "auf die CDU Baden-Württemberg oder die Formulierung unserer Politik". Seubert hingegen wäre an einer Wiederbelebung der Verbindungen von ehedem durchaus interessiert gewesen. Er habe die Aufgabe übernommen, "wissend um sein problematisches Erbe, um daraus einen liberalen, metapolitischen Denkkreis zu formen, beste europäische Traditionen seit der Antike aufnehmend". Die von Kant angemahnte Verschränkung des Patriotischen mit dem Universellen, des Nationellen, nicht Nationalen, mit dem Globalen hätte nach seinen Vorstellungen eine Rolle spielen sollen. Und ein "Rendezvous mit der Realität" sollte das Studienzentrum gerade in der Flüchtlingspolitik sogar links von der CSU, Teilen der Union und Teilen der Jungen Union positionieren: "Die neuen Gegebenheiten werden dazu nötigen, die eigene Identität in der Tiefe neu zu entwickeln, in Kulturachtung und Skepsis gegenüber sich selbst und den Anderen." Daraus wird nun nichts mehr.


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3 Kommentare verfügbar

  • Studienzentrum Weikersheim
    am 21.09.2016
    Antworten
    Die in dem Artikel angesprochene Erklärung des Studienzentrums Weikersheim im Wortlaut:

    Das Präsidium des Studienzentrums Weikersheim zum Rücktritt des Präsidenten Prof. Dr. Harald Seubert

    Mit großem Befremden nimmt das Präsidium die Art und Weise des Rücktritts des Präsidenten Harald Seubert…
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