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Keine Alternative für Deutschland

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In acht Landtagen sitzt die AfD inzwischen. Allein im Südwesten vertrauten den Rechtspopulisten am 13. März mehr als 800 000 Menschen ihre Stimme an. Vor allem, wie Demoskopen wissen, in der Hoffnung auf einen neuen Politikstil. Den bekommen sie: In allen Parlamenten, in denen die selbst ernannten Retter der Republik sitzen, geht es drunter und drüber.

"Sie leben den Parlamentarismus nicht!", schleudert Björn Höcke neulich den anderen Fraktionen im Erfurter Landtag entgegen, in der herrischen, vielen Nationalisten eigenen Tonlage. Da hatte er sich schon eine der regelmäßigen Rügen für seinen unbotmäßigen Ton abgeholt. Er hatte versucht, die im Präsidium des Hauses vereinbarte Verkürzung der Redezeiten wegen übervoller Tagesordnung zum Beweis für die Verlotterung des Altparteienkartells zu machen. Und schließlich die Kollegenschar diskreditiert, wider besseres Wissen: "Wie erklären Sie es dem Thüringer Arbeitnehmer, der sich eine normale 40-Stunden-Woche wünschen würde, warum das Plenum als Herzstück unseres Parlamentarismus gerade einmal für drei Tage im Monat zusammenkommt?" Natürlich ist sogar Höcke nach fast zwei Jahren im Landtag bekannt, dass Plenarsitzungen nur einen Bruchteil der Abgeordnetentätigkeit ausmachen. Aber warum nicht mal (wieder) das Parlament anpinkeln, in das man doch unbedingt einziehen wollte.

Die Aufregung ist nach Höckes Rede groß unter den anderen Fraktionen. Die AfD muss sich vorhalten lassen, selber verantwortlich für ihre Lage zu sein, weil sie – wie so oft – zuerst alle Absprachen sabotiert und sich dann beklagt. Sie stelle sich als unschuldiges Opfer dar, versucht der Geschichtslehrer Volker Emde (CDU) nach der Höcke-Rede "eine kleine psychologische Erklärung". Und schreibe als Opfer "Missstände, die Folgen eigenen Versagens sind, immer äußeren Umständen zu". Oder den anderen. Obstruktion, selbst zum eigenen Schaden, und eine derbe, aggressive Tonlage ziehen sich wie ein roter Faden durch das Auftreten der Populisten. Nicht nur in Erfurt, sondern überall in Landtagen und Gemeinderäten. Gepflogenheiten werden missachtet, die Möglichkeiten der Volksvertreter, das Volk wirklich zu vertreten, ignoriert. Statt sich einzufädeln in bewährte Mechanismen, legt die Alternative für Deutschland erkennbar den größten Wert darauf, Parlamente zu instrumentalisieren für ihre Inszenierungen.

Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind schon blau eingefärbt in den Selbstdarstellungen der AfD. Im September sollen Mecklenburg-Vorpommern und Berlin folgen. Mit dem Einzug der AfD werden aber nicht nur verbale Ausfälle, Beleidigungen und Verdrehungen die Regel. Überall gibt es, statt sich an die Abarbeitung der Wahlversprechen zu machen, kleinere Streitigkeiten oder größeren Streit, Skandale und Skandälchen.

Den aktuellen Fall liefert die Stuttgarter Gemeinderatsfraktion. Sie sieht sich nicht nur dem Vorwurf ausgesetzt, 50 000 Euro zweckentfremdet, sondern auch noch die Öffentlichkeit über diesen Vorgang getäuscht zu haben. Die Immunität ausgerechnet der Höcke-Stellvertreterin Wiebke Muhsal wurde aufgehoben, um den Vorwurf aufzuklären, ob Steuergelder erschlichen wurden. Alexander Gauland sollte als früherer hessischer CDU-Staatssekretär die Grenzen des Schicklichen zumindest kennen. Dennoch hat er über die von ihm geführte Fraktion im brandenburgischen Landtag das Potsdamer Staatsschloss mietfrei nutzen wollen – für eine Feier zu seinem 75. Geburtstag. Laut "Spiegel" fiel das Fest aus. Jörn Kruse, Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft, begleitete seine Gattin, eine Erziehungswissenschaftlerin mit Gastprofessur in Stanford, drei Monate nach Kalifornien. Die Fraktion blieb ohne Vorsitzenden zurück, wie das "Hamburger Abendblatt" berichtete. Den Zuschlag für die Führungsfunktion – das Dreifache der normalen Diät – nahm Kruse gern mit.

Noch nie gab es so viele Ermahnungen und Rügen

Kritik an solchen und anderen Fällen bewirkt aber alles andere als reuige Einsicht. Vielmehr nehmen die Neulinge auf der Politbühne sie regelmäßig zum Anlass für Kritik an den Kritikern, an der Lügenpresse, an den anderen Fraktionen, am Parlament und seiner Spitze. Mit ihren Ausfällen sprengt die AfD alle einschlägigen Statistiken. Im baden-württembergischen Landtag gab's in so wenigen Wochen noch nie so viele Ermahnungen und Rügen. Die Möglichkeit, bei Plenarsitzungen eine persönliche Erklärung abzugeben, wird missbraucht für heftige, oft hetzerische Statements, Zwischenrufer überschreiten rote Linien ("Das ist ja schlimmer als bei den Nazis"). Einige verstehen sich aufs Spektakel wie der Ehinger Abgeordnete Daniel Rottmann, der sich sein Sakko vom Leib riss, um mit einem "I love Israel"-T-Shirt zu protestieren. Offen blieb, ob für oder gegen den unter Antisemitismus-Verdacht stehenden Wolfgang Gedeon.

Die Stuttgarter Fraktionsspaltung ist samt der historisch beispiellosen Mediation (noch) einmalig. Austritte allerdings sind es nicht. In Erfurt gingen seit September 2014 drei Fraktionsmitglieder von Bord, einer schloss sich als Parteiloser der SPD-Fraktion an. Rechte, die sogar Rechten zu rechts sind, wurden rausgeworfen: Ein Bergedorfer Arzt musste die AfD-Fraktion verlassen, behielt aber sein Mandat und wurde neulich nach minutenlanger Tirade gegen den Islam komplett aus einer Sitzung geworfen. Heinrich Fiechtner, dem Stuttgarter Stadtrat und Göppinger Landtagsabgeordneten, wurde von Landtagspräsidentin Muhterem Aras bereits mehrfach das Wort entzogen. Weil er den Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz einen "Brandstifter" genannt hatte, drohte Aras ihm einen Saalverweis an. 

Mit Verbalinjurien fallen die Abgeordneten vom rechten Rand häufig auf, mit ernsthaftem Engagement eher selten. Untersucht ist in drei östlichen Landtagen Zahl und Art ihrer ohnehin vergleichsweise raren Anträge: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg geht es in einem von drei Fällen um Flüchtlingspolitik. Minister oder Bürgermeister werden, gern mit untergriffigen Formulierungen, zu Maßnahmen jenseits ihrer Zuständigkeit aufgefordert, etwa in der Europapolitik. Oft werden Potemkinsche Dörfer aufgebaut: Die "Frühsexualisierung" der Schuljugend, wogegen die AfD mit besonderer Hingabe ankämpft, existiert nur in deren Fantasie. Christina Baum, stellvertretende Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete aus dem Main-Tauber-Kreis, will "wahre Werte vermitteln" und hält partout daran fest, "dass Kindern bereits in der Schule alle möglichen ausgefallenen sexuellen Praktiken vermittelt werden sollen".

Viel Tamtam und nichts dahinter

Zur Stimmungsmache gegen den real existierenden Parlamentarismus gesellt sich auffallendes Desinteresse am eigenen konkreten politischen Tun. Viele Abgeordnete verwechseln das Posten vorgefertigter Parolen mit ernsthaftem politischem Tun. Das Wahlprogramm für Baden-Württemberg ist 64 Seiten stark und prall gefüllt mit Versprechungen. Es böte eine breite Basis für jede Menge Initiativen. Infratest dimap hat herausgefunden, dass fast 80 Prozent die Möchtegern-Erneuerer gewählt haben aus Enttäuschung über das angebliche Nichtstun anderer Parteien in zentralen Fragen. Keineswegs nur beim Thema Flüchtlinge, sondern auch in Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder der inneren Sicherheit. Und dass sich viele der "Wähler und Wählerinnen aus Protest" sehr kurzfristig entschieden hätten.

Wie groß muss jetzt die Enttäuschung über die AfD und deren Abspaltung ABW (Alternative für Baden-Württemberg) sein. Denn bei so viel Selbstbespiegelung bleibt keine Zeit für die eigentlichen – und bekanntlich gut bezahlten – Aufgaben einer Opposition. Zusammen bringen es beide Fraktionen im Stuttgarter Landtag seit ihrem Start Mitte Mai bisher auf lächerliche 32 Kleine Anfragen an die Landesregierung. Aber: keine Anträge, schon gar keine Gesetzesentwürfe, keine Vorstöße zu inhaltlichen Fragen. Und dazu stammt mehr als die Hälfte der Kleinen Anfragen aus der Feder eines einzigen Abgeordneten. Lars Patrick Berg (Tuttlingen), der frühere Pressesprecher des Landratsamts Sigmaringen, ist besonders emsig und schreibt sogar seine Pressemitteilungen selber. 14 der 23 AfD- und ABW-Mandatare haben dagegen noch kein einziges Mal die Hand gerührt, um jedenfalls diesem Teil ihrer Volksvertreterpflichten nachzukommen.

Was den Eindruck stützt, dass die Arbeitsmoral ohnehin eine ziemlich spezielle ist. Bei einer Sitzung der Ursprungs-AfD-Fraktion vor Beginn der Sommerpause soll über das Gutachten zu den Möglichkeiten beraten werden, mit zwei Gruppierungen im Landtag vertreten zu sein. Ebenso über die Lage der Nation nach dem Angriff in dem Würzburger Regionalzug und dem Amoklauf in München. Einige Zeit nach Sitzungsbeginn ist nicht einmal die Hälfte der Volksvertreter und -innen anwesend. Fraktionschef Heiner Merz (Heidenheim) kann das Staunen der Journalisten nicht verstehen. Seine Kollegen hätten eben wichtigere andere Termine, zum Beispiel im Wahlkreis, erklärt der promovierte Informatiker die matte Anwesenheitsquote. Details will er keine nennen, Transparenz zählt nicht. Auch diese Forderung richtet sich immer nur an die anderen.

Dabei steht zusätzlich das Thema AfD-Wiedervereinigung auf der Tagesordnung. Emissäre der Dissidenten um den Bundes- und Landesvorsitzenden Jörg Meuthen waren geladen, als Einziger erscheint Rainer Balzer (Bruchsal). Zu Auskünften danach ist niemand willens oder imstande. Es gehe um Interna, beschied Merz und verwies an die Pressestelle. Was nicht ernst gemeint sein konnte. Denn der Pressesprecher hat in der elften Woche der 16. Legislaturperiode noch immer kein funktionierendes Telefon.


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11 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 15.08.2016
    Antworten
    Ich zweifle noch, ob die Linke wirklich die einzige Möglichkeit bietet, den "Stachel" im Fleisch der derzeitig sich an der Macht haltenden bzw. wie die Grünen zur Macht strebenden Parteien sein könnte, um der immer deutlicher werdenden Bedrohung der faschistisch sich ausrichtenden AfD zu begegnen. …
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