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Welt der vielen Nullen

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Fünf Prozent der Baden-Württemberger besitzen mehr als ein Viertel des Gesamtvermögens. Aber wer bittet sie zur Kasse? Die verschleppte Erbschaftssteuerreform beweist, wie sehr es an Willen und Mut fehlt, an der schreienden Ungleichheit etwas zu ändern.

Eines ist Dagobert Duck nicht abzusprechen: Er hat sein Geld selber verdient, beginnend mit der berühmten Kreuzer Nummer eins, als "Großbankier, Großindustrieller, Großhändler", wie er sich selber beschreibt. Zudem macht er aus seinem Vermögen kein Hehl und badet gern in seinen Talerbergen. Da geht es im wirklichen Leben ganz anders zu. Eine weit überwiegende Mehrzahl der Reichen und Superreichen in der Republik lebt diskret und zurückgezogen. Und lüftet den Vorhang allenfalls für vom Boulevard gefakte Homestorys für einen Blick auf ein Dasein zwischen Golf-Charity und Stiftungsrat, Ahnengalerie und Vorstandskollegen. (Sollten sich Milliardäre unter der Kontext-Leserschaft falsch dargestellt fühlen: Jeder Kommentar, der realistische Infos über die Welt der vielen Nullen vor dem Komma liefert, ist hoch willkommen).

Dabei ist es um die Faktenbasis gar nicht so schlecht bestellt, wie die unentwegt rührigen Verschleierungsexperten glauben machen wollen. Gewiss, es gibt widersprüchliche Aussagen darüber, ob in den nächsten Jahren 2000, 3000 oder 4000 Milliarden Euro in Deutschland vererbt werden. Aus jedem Armuts- und Reichtumsbericht, der im Bund oder in den Ländern seit inzwischen 15 Jahren vorgelegt wird, geht aber hervor, dass die Armen immer ärmer werden und die Reichen immer reicher. Und dass Letztere besonders glimpflich davonkommen im internationalen Vergleich.

Schon im ersten einschlägigen Werk, vorgelegt im Auftrag der Bundesregierung 2000, ist zu lesen: "Die Ungleichheit der Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist in Westdeutschland von 1973 bis 1998 tendenziell gestiegen, und das Vermögen in Deutschland ist sehr ungleichmäßig verteilt." Dabei seien diejenigen, "die im landläufigen Verständnis als reich gelten, mit Vermögen in mehrstelliger Millionenhöhe bis zu mehreren Milliarden Mark" gar nicht einbezogen. Weder mit ihren Vermögensbeständen und den daraus resultierenden Vermögenseinkommen noch mit Wertzuwächsen, Ersparnissen oder "Vermögensübergängen in Form von Erbschaften und Schenkungen".

1999 wollte Rezzo Schlauch den Reichtum genauer betrachten

Die damalige rot-grüne Bundesregierung hätte gegensteuern müssen, hatten die 30 Gutachter und Gutachterinnen doch verlangt, gerade die Vermögensbildung in den Blick zu nehmen. Die nämlich sei "aus politischer Sicht von besonderer Bedeutung, denn sie bestimmt, wie sich die Verteilung der Vermögensbestände und Vermögenseinkommen entwickelt". Mehr noch: Die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen, Peter Struck (SPD) und Rezzo Schlauch (Grüne), hatten schon im Mai 1999 versprochen, künftig mehr Wert auf die Reichtumsberichterstattung zu legen. In Übereinstimmung mit einer Forderung der beiden christlichen Kirchen, "nicht nur Armut, sondern auch Reichtum" zum Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte zu machen. Da war Oskar Lafontaine gerade fünf Wochen nicht mehr Finanzminister im Kabinett Gerhard Schröder I, und die Geschichte, insbesondere die der Sozis und der Grünen, nahm einen ganz anderen Lauf. Heute, angesichts der neu aufflammenden Steuerdebatte in seiner Partei, verkündet Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Stentorstimme Sätze wie: "Ich bin ein Gegner der Vermögenssteuer." Oder: "Gegen eine Vermögensabgabe werde ich mich vehement."

Geschehen ist seither wenig bis nichts. Bei jedem neuen Bericht gingen (fast) alle bereitwillig oder naiv in die immer gleiche Falle: Dem Thema Armut wurden mehrere Hundert Seiten gewidmet, dem Reichtum eine Handvoll. Die von der damaligen Sozialministerin Karin Altpeter (SPD) im November 2011 veröffentlichte ersten Untersuchung zur Lage im Land legte das Hauptaugenmerk ebenfalls auf Armut, vor allem auf Kinderarmut. Was aller Ehren wert wäre, käme darüber, nicht zuletzt in der öffentlichen Wahrnehmung, das Leben im Überfluss nicht zu kurz. Auch deshalb wurden die bundesweiten Erkenntnisse aus dem Jahr 2000 kaum ernst genommen, außer von Betroffenen, die prompt ganze Lobbyistenarbeit leisteten. Jedenfalls konnte sich das Einkommen aus Vermögen in Baden-Württemberg zwischen 2002 und 2012 um 50 Prozent vermehren, das Einkommen der Selbstständigen wuchs um knapp 17, Löhne und Gehälter für Arbeitnehmer nahmen um 22 Prozent zu.

Und noch eine Erkenntnis unterstreicht die Schieflage: Einkommensmillionären und -millionärinnen bleibt im Südwesten mit gut 70 Prozent der höchste Anteil ihres Bruttogesamteinkommens als Nettoeinkommen. Die fünf Prozent vermögensreichsten Haushalte in Baden-Württemberg besitzen 28 Prozent des Gesamtvermögens. Dabei ist – was für ein Segen für die Dagobert Ducks in Württemberg und Baden – Vermögensreichtum in der Statistik noch immer "untererfasst", wie die Familienforscher im Statistischen Landesamt feststellen, "sodass von einer erheblichen Unterschätzung auszugehen ist".

Die sehr Wohlhabenden wurden steuerlich entlastet

Natürlich liegt das zuallererst an der komplett aus dem Ruder gelaufenen Steuergesetzgebung. Baden-Württembergs neue Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) hat zwar kein Geld, um jungen Lehrkräften die Kündigung während der Ferien und Hartz IV zu ersparen, sie ist aber stolz darauf, dass aus den rund 860 Millionen Euro, die das Land bisher dank Erbschaftssteuer einnimmt durch die Reform auf keinen Fall mehr wird. Die Stammtische hat sie da an ihrer Seite. Denn: Den Reichen und Superreichen gelang es im Schulterschluss mit der Union, jüngst in Sachen Erbschaftssteuer vor allem mit Horst Seehofer (CSU), wesentliche Teile der Bezieher mittlerer Einkommen gegen Maßnahmen aufzubringen, die sie gar nicht treffen würden. Woran Dutzende wissenschaftliche Arbeiten und selbst die Appelle einer Gruppe verantwortungsbewusster Reicher nichts ändern. "Gerade die sehr Wohlhabenden wurden in den letzten Jahrzehnten in den meisten Ländern steuerlich entlastet", schrieb Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schon 2011. Das DIW hat errechnet, dass ein Vermögenssteuersatz von 0,5 Prozent reichen würde, um von den Nettovermögen über einer Million Euro jährlich sieben Milliarden Euro zu erzielen. Kleinunternehmen und kleinere Mittelständler blieben durch einen Freibetrag weitgehend verschont. Betroffen wären 330 000 Steuerpflichtige.

Bekanntlich hat die Wählerschaft SPD und Grüne 2013 abgewatscht für ähnlich moderate Kurskorrekturen. Und die Linke brachte es jüngst mit ihrem Programm "Baden-Württemberg plus sozial" auf 2,6 Prozent oder 156 000 Stimmen – von mehr als 5,4 Millionen Wahlberechtigten. Dabei hatte sie einen Weg eröffnet, der auf einen Schlag 80(!) Milliarden Euro in die Kassen der zuständigen Länder spülen würde: "Wenn das Vermögen eine Million Euro übersteigt, soll es mit fünf Prozent besteuert werden [...] Damit wären in Baden-Württemberg zusätzliche Einnahmen von mehr als zehn Milliarden Euro möglich."

Verfassungswidrig!, tönten daraufhin Spachrohre der Millionäre. Im Bundestagswahlkampf 2017 werden sie es wieder tun. Stimmt aber nicht. Denn im Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995, das keine Abschaffung, sondern den Umbau verlangt, ist ausdrücklich die Möglichkeit einer Vermögenssteuer als Instrument zur Umverteilung als zulässig erachtet worden, vorausgesetzt, der Spitzensteuersatz wird gesenkt. Den hatte Rot-Grün bekanntlich um elf Prozentpunkte von 53 auf 42 abgeschmolzen.

Reiche höher zu besteuern bleibt dennoch in den Augen viel zu vieler des Teufels. Und schon werden erste Forderungen laut, doch mit der Erbschaftssteuer genauso zu verfahren. Die Wirtschaftsjunioren, ein Verband, der sich mit rund 10 000 Mitgliedern aus allen Bereichen der Wirtschaft als größter deutscher Verband von Unternehmern und Führungskräften unter 40 Jahren präsentiert, verlangt seit Jahrzehnten dasselbe: die "komplette Abschaffung der Erbschaftssteuer". Das sichere die "Überlebensfähigkeit der Unternehmen und Tausende Arbeitsplätze".

Die "Stiftung Familienunternehmen", der sich klingende baden-württembergische Unternehmerdynastien wie Stihl, Leibinger oder Merck verbunden fühlen, macht ebenfalls Stimmung, nicht zuletzt gegen die Pläne aus dem Hause Schäuble, während Nils Schmid mit seinen Erben schonenderen Ideen deutlich besser ankam. Genutzt hat das nichts, seine SPD wurde dennoch abgewählt. Der Verband "Die Familienunternehmer" (O-Ton Sigmar Gabriel: "Das sind keine engstirnigen Lobbyisten") fährt bereits im Wahlkampfmodus. Den Grünen gehe "es nicht um die Ärmsten der Armen", weiß Lutz Goebel, der Präsident des Verbands, und nimmt Jürgen Trittin ins Visier.

Steigende Gewinne bedeuten nicht mehr Arbeitsplätze

Der Göttinger Bundestagsabgeordnete hatte Anfang Juli in einem differenzierten Beitrag für die FAZ unter Berufung auf einschlägige Statistiken hervorgehoben, dass, wer viel verdient, eben nicht zwangsläufig viel investiert und Arbeitsplätze schafft. Im Jahr 1991 reinvestierten die Unternehmen danach noch mehr als vierzig Prozent ihrer Gewinne, "im Jahr 2000 immerhin noch rund 25, seit 2001 liegt diese Quote unter zehn Prozent". Die Behauptung, dass steigende Gewinne zu steigenden Investitionen führen, "ist also ein Märchen der Propagandaabteilungen der Wirtschaftslobby", schreibt Trittin. Goebel kontert, es gehe dem Politiker um "noch mehr Steuereinnahmen für den Staat, um noch mehr Geld, das dann in grünen Projekten wie zum Beispiel dem EEG versickert". Die Forderungen nach einer Verschärfung der Erbschaftssteuer und einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer "gefährden die Substanz der Familienunternehmen mit weitreichenden Konsequenzen für viele Arbeitsplätze und den Wohlstand und damit auch den Zusammenhalt der Gesellschaft".

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Von Letzterem verstand sogar Dagobert Duck mehr. Der Geizhals häutet sich in seinem Comicleben mehrfach. Irgendwann beginnt er an seinen Neffen Donald und dessen Neffen zu denken, hortet nicht mehr nur, sondern investiert, und vor allem – das loben Anhänger wie Kritiker des Multimilliardärs –, es ist nie von Gewinnmaximierung die Rede. "Unternehmer von seinem Schlag hätten wir gerne", schrieb Springers "Welt" zum 60. Geburtstag. Heute gehöre die Fähigkeit, massenhaft Leute auf die Straße zu setzen, zu den wichtigsten Eigenschaften jedes Konzernlenkers, sei geradezu seine Königstugend. In Dagoberts Ökonomie werde "man dagegen nicht entlassen, weil andere Leute Fehler gemacht haben, sondern nur, wenn man selbst unfähig ist". Außerdem käme heute "gewiss kein Kapitalist großen Stils mehr auf die Idee, Geld herumliegen zu lassen, bis es schimmlig oder von Mäusen gefressen wird, sondern er würde es investieren, damit es sich mehrt, oder es für prestigeträchtige Anschaffungen ausgeben: Fußballclubs, Models, Wolkenkratzer, Politiker". Auf nach Entenhausen.


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10 Kommentare verfügbar

  • CharlotteRath
    am 18.07.2016
    Antworten
    Die Umverteilung von unten nach oben geht ungebremst im großen Stil weiter (oder: Wer hat, dem wird gegeben):

    „Europas Grossbanken bereiten den Finanzmärkten Sorgen. Wieder einmal. .. Kein Geringerer als David Folkerts-Landau, Chefökonom der Deutschen Bank, forderte vor wenigen Tagen, dass…
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