KONTEXT:Wochenzeitung
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Wege aus dem Engpass

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Für einen Plan B zu Stuttgart 21 müssten die Projektverantwortlichen eigentlich mehr als dankbar sein. Am kommenden Samstag finden sich dazu die Gegner des Tiefbahnhofs zu einer Großdemo auf dem Stuttgarter Schloßplatz ein.

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"Die Deutsche Bahn AG und das Land Baden-Württemberg weisen Aussagen des Ingenieurbüros Vieregg-Rössler zu angeblichen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 als rein spekulativ zurück", heißt es in einer <link http: presseservice.pressrelations.de standard external-link-new-window>Pressemitteilung der Bahn vom 18. Juli 2008. "Tatsache ist vielmehr: Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist eines der am besten und umfassendsten geplanten Projekte der Deutschen Bahn AG. Daher ist davon auszugehen, dass der derzeit vorgesehene Kostenrahmen eingehalten wird."

Milliardenspiel: von 2,8 auf 4,5 auf 6,5 auf 9,8 ...

Der Kostenrahmen belief sich damals auf 2,8 Milliarden Euro. Allerdings hatte das Büro Vieregg-Rössler im Auftrag von BUND und Bündnis 90/Den Grünen bereits 6,9 bis 8,7 Milliarden ermittelt. Der Bundesrechnungshof kam auf 5,3 Milliarden. Bei der Prellbockanhebung, dem offiziellen Baubeginn am 2. Februar 2010, schienen Bahnchef Rüdiger Grube und Ministerpräsident Günther Oettinger von der Behörde freilich noch nie etwas gehört zu haben. Sie rechneten mittlerweile mit 4,1 Milliarden.

Kurz zuvor hatte Grube die Zahl von 4,5 Milliarden als "Sollbruchstelle" bezeichnet. Im Oktober 2010 meinte er dann: "Stuttgart 21 rechnet sich für uns bis zu Baukosten von 4,8 Milliarden Euro." Ein Jahr später, kurz vor der Volksabstimmung über einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung, kam er auf die 4,5 Milliarden zurück und nannte den Rest einen "Risikopuffer". Ein Ausstieg würde 1,5 Milliarden kosten. Projektgegner kamen auf nur 350 Millionen.

Dann musste die Bahn im Dezember 2012 zugeben, dass sie inzwischen bei 6,8 Milliarden angekommen war, einschließlich Risikopuffer. Die Landesregierung sei damit nicht mehr an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden, gutachtete der Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Nur mit Bauchgrimmen hat der Bahn-Aufsichtsrat den neuen Stand im März 2013 durchgewinkt. Zugleich suchten sich die Aufsichtsräte eilends einen Rechtsbeistand – denn für Entscheidungen, die dem Unternehmen wirtschaftlichen Schaden zufügen, können die Kontrolleure belangt werden.

Angeblich sollte der Weiterbau zu diesem Zeitpunkt noch <link http: www.kontextwochenzeitung.de politik falsche-zahlen-212.html external-link-new-window>77 Millionen weniger kosten als ein Ausstieg aus dem Projekt. Dass der Risikopuffer mittlerweile fast aufgebraucht ist, hat nun Bahnvize Volker Kefer seinen Job gekostet. Nur drei Wochen später stellt sich allerdings heraus, dass der Bundesrechnungshof, dessen neuerliche Stellungnahme seit Langem erwartet wurde, dem Büro Vieregg-Rössler zustimmt, das bereits Ende 2015 eine Gesamtsumme von rund zehn Milliarden prognostiziert hatte.

... auf Ausstieg, auf Umstieg

Auch wenn die Bahn dementiert: Dass der Weiterbau damit immer noch günstiger kommt als ein Ausstieg, kann damit beim besten Willen niemand mehr ernsthaft behaupten. Damit stellt sich, unabhängig davon, wer das Projekt ursprünglich unbedingt gewollt hat, die Frage, wer an einem Weiterbau heute noch interessiert sein kann. Die Landes-CDU hatte im Frühjahr jedenfalls keine Probleme, sich mit den Grünen im Koalitionsvertrag darauf zu einigen, dass sich das Land an weiteren Kosten nicht mehr beteiligt. Auch die Stadt will nicht noch tiefer in die Tasche greifen. Bleibt nur der Bund, der aber auch ohne das Projekt nicht weiß, wie er die vielen Löcher in der Bahnbilanz stopfen soll.

Dass Angela Merkel von dem Projekt einmal die Zukunftsfähigkeit Deutschlands abhängig machen wollte, dass sie meinte, ohne Stuttgart 21 werde Deutschland unregierbar und Europa sei in Gefahr, macht den Rückzug natürlich nicht einfacher. Abgesehen von <link http: www.ingenieure22.de images publikat stuttgart_21_maengelliste.pdf external-link-new-window>den vielen Problemen des Tiefbahnhofs – Gleisneigung, Brandschutz, zu enge Bahnsteige, Störanfälligkeit und anderes mehr – stehen die größten Schwierigkeiten wie der Bau des Nesenbachdükers in der Mineralwasser-Schutzschicht noch bevor. Für den Filderbahnhof fehlt bis heute eine Genehmigung, für den anschließenden Abschnitt nach Rohr sogar eine Bauplanung. Jeder "Baufortschritt" kann neue Probleme und Kosten bringen.

So hat die Bahn kürzlich eine Planänderung für den Abschnitt 1.6a, also die Unterquerung des Neckars, beantragt: eine besonders diffizile Stelle, da sich hier je zwei Tunnelröhren in Richtung Bad Cannstatt und Obertürkheim verzweigen und auf zwei Ebenen zwischen Mineralwasser führenden Schichten und Neckargrund hindurchsollen. Der Änderungsantrag weist darauf hin, dass am bisherigen Plan etwas nicht funktioniert. Selbst wenn das Eisenbahn-Bundesamt im Eilverfahren zustimmt, wird aber der Planabschnitt nach eigenen Angaben der Bahn nicht vor 2024 fertig sein, also noch ein Jahr später als der bisher genannte Fertigstellungstermin, wie die Ingenieure 22 monieren.

Es gibt einen Plan B – inklusive S-Bahn-Ringschluss

"Es gibt keinen Plan B", <link http: www.faz.net aktuell politik inland stuttgart-21-es-gibt-keinen-plan-b-12055028.html external-link-new-window>titelte die "Frankfurter Allgemeine" vor der Bahn-Aufsichtsratssitzung 2013. Trotz aller Probleme wiederholen die Verantwortlichen gebetsmühlenartig seit 15 Jahren: Stuttgart 21 "wird gebaut", sei unumkehrbar, nicht mehr zu stoppen. Sich auf eine einmal eingenommene Position zurückziehen ist einfach, aber wenn die Probleme erkennbar zunehmen, nicht sonderlich klug. Insofern sollten alle, die für das Projekt Verantwortung tragen, bis hin zu Angela Merkel, den Fachleuten aus dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 dankbar sein, die sich genau darum gekümmert haben: einen Plan B zu entwickeln.

Ein Umstieg, kein Ausstieg, betont Peter Dübbers, der Enkel des Bahnhofs-Architekten Paul Bonatz: "Durch einen Umstieg werden so viele Gelder eingespart, die jetzt in den Tunnelbau und die komplizierten Ingenhoven'schen Kelchstützen fließen." Der Plan, kurz gesagt: die Baugrube nicht wieder zuschütten, sondern als Busbahnhof und Parkhaus nutzen, die bereits betonierte "Sauberkeitsschicht" eines Bauabschnitts im früheren Schlossgarten als Fundament für einen Veranstaltungsort. Nicht weitere Tunnel bohren, sondern beim Kopfbahnhof bleiben, der viel besser funktioniert als ein Bahnhof in Schräg- und Tieflage.

Dies könnte in der Tat ein Befreiungsschlag auch für den Regionalverkehr sein. Denn trotz Verspätungen und überfüllten Zügen nützen immer mehr Menschen die S-Bahn und die Regionalzüge. Aber der unterirdische Bahnhof ist nicht ausbaufähig. Er entwickelt sich absehbar zum Engpass des gesamten öffentlichen Verkehrs, der auch aus anderen Gründen wie Feinstaub eigentlich wachsen sollte.

Dass dringend mehr Kapazität gebraucht wird, darauf sind auch stramme Stuttgart-21-Befürworter wie Wolfgang Arnold schon gekommen. Anfang April hat sich der SSB-Technikvorstand mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn für einen Erhalt der Panoramabahn ausgesprochen. Der den Talkessel umrundende letzte Abschnitt der Gäubahn war schon aufgegeben, dient aber bei Störungen im Tunnel schon jetzt häufig dazu, den S-Bahn-Verkehr nach Stuttgart-Vaihingen aufrechtzuerhalten. Im Berufsverkehr fährt die S-Bahn an der Grenze ihrer Kapazität. Die unterirdische Stammstrecke im Stadtgebiet lässt sich nicht weiter ausbauen. Die Panoramabahn bietet eine Alternative. Allerdings will Arnold die Bahnlinie völlig unnötigerweise unterirdisch in den Bahnhof führen. Ein Nutzen ist nicht erkennbar.

Im Rosensteindialog, der Bürgerbeteiligung zum neuen Quartier, das einmal auf den frei werdenden Gleisflächen entstehen soll, ist kürzlich erstmals die Frage aufgeworfen worden, ob die Gleise überhaupt entwidmet werden können. Im August wird nun die Klage der Stuttgarter Netz AG verhandelt: Wenn auch wegen der hohen Feinstaubwerte mehr Pendler auf die Schiene umsteigen sollen, werden die Kopfbahnhof-Gleise noch gebraucht. Doch selbst wenn die Netz AG keinen Erfolg haben sollte: Ab 2019 übernehmen Abellio und Go-Ahead, Bahnunternehmen aus den Niederlanden und Großbritannien, den Regionalverkehr. Eigentlich hat der Einstieg in den Umstieg bereits begonnen.

Klaus Gebhard, Parkschützer und Diplomingenieur, hat sich die Planungen um den Filderbahnhof genauer angesehen und dafür einen Plan B entwickelt. Der Flughafenbahnhof selbst, tief unter der Erde, ist noch nicht genehmigt, nur vom Filderportal bis zum Ortsrand von Degerloch ist bisher eine der zwei Tunnelröhren gebohrt. Von da an soll es steil abwärts gehen, durch schwieriges Terrain. Gebhard hat ausgerechnet, dass die Fahrt von Ulm nach Stuttgart auf dieser Strecke ebenso lang dauern würde, wie wenn der Zug in Wendlingen auf die bestehende Strecke durchs Neckartal einbiegt.

Von Wendlingen zum Flughafen könnte stattdessen eine S-Bahn-Linie gebaut werden, die zwar die Fahrtzeit für die Fluggäste aus Ulm geringfügig erhöht, dafür aber eine Verbindung herstellen würde, die sehr vielen Menschen in der Region hilft. Denn auf diese Weise wären nicht nur Fluggäste aus Ulm, sondern auch aus Nürtingen, Kirchheim, Esslingen oder Plochingen besser an den Flughafen angebunden. Das würde aber nicht nur den Fluggästen nützen: Der Ringschluss würde eine Verbindung vom Neckartal auf die Fildern herstellen.

In den Kommunen südlich der Stuttgarter Stadtgrenze, so Gebhard, leben 437 000 Einwohner, so viel wie in einer Großstadt. Der öffentliche Verkehr ist aber völlig unzureichend, er beschränkt sich häufig auf Buslinien, die im Schneckentempo von Dorf zu Dorf zuckeln. Gebhard möchte die S-Bahn, die heute von Vaihingen über den Flughafen bis nach Bernhausen führt und irgendwann einmal nach Neuhausen verlängert werden soll, von dort aus bis Wendlingen weiterführen.

Heute hat der Fahrgast etwa von Plochingen oder Esslingen auf die Filderebene nur die Wahl zwischen langsamen, unzuverlässigen Busverbindungen und der Fahrt mit der S-Bahn durchs Stuttgarter Stadtzentrum. Durch eine Querverbindung von Wendlingen nach Echterdingen würde nicht nur die S-Bahn-Stammstrecke in Stuttgart merklich entlastet, sondern auch die chronisch verstopfte Autobahn.

 

Info:

Die Arbeitsgruppe Umstieg 21 um Norbert Bongartz, Peter Dübbers, Klaus Gebhard und Werner Sauerborn will das Umstiegsszenario am Freitag, dem 15. Juli, vorstellen – morgens der Presse und um 17 Uhr der Öffentlichkeit: im Gewerkschaftshaus, Willi-Bleicher-Straße 20, Stuttgart-Mitte.

Zeitgleich wird die 52 Seiten starke Broschüre "Stuttgart 21 umnutzen – Auswege aus der Sackgasse" präsentiert und online gestellt, ab Freitag ist sie unter <link http: www.umstieg-21.de external-link-new-window>www.umstieg-21.de einsehbar.


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18 Kommentare verfügbar

  • Horst Ruch
    am 18.07.2016
    Antworten
    ....liebe Streitlustigen zu SKU21. Es hat sich nach langem Schweigen doch was getan in der letzten Woche. Die Bahn muß nach Prof. Dr. Ullrich Martin nur ETCS einzusetzen, dann flutscht auch auf den S 21-Bahngleisen alles noch besser wie geschmiert. Zumindest bei der S-Bahn.
    Das Problem bleibt…
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