Erst recht, seit nach der Landtagswahl die Karten neu gemischt sind. Viele der Stuttgart-21-Fans spekulierten auf ein anderes Ergebnis. Wäre Guido Wolf Ministerpräsident in einer schwarz-grünen oder gar in einer CDU/FDP-Landesregierung geworden, hätte sich die Lage entscheidend verändert. Das Gezerfe um den Kostendeckel während der grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen ist ein starkes Indiz dafür, dass die Union als größerer Partner auf jeden Fall versucht hätte, eine Zusage zur Übernahme von Mehrkosten zu erzwingen. Stattdessen fochten die Grünen als eindeutige Wahlsieger einen Satz durch, der dem DB-Management wie -Aufsichtsrat schwer im Magen liegen muss: "Dabei hält das Land in den Sprechklauselgesprächen am Ziel fest, dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus von Seiten des Landes keine Zahlungen zu leisten sind."
Obendrein hatte die CDU, ohnehin noch amateurhaft agierend in der neuen Rolle, beim Zugriff auf die Ministerien offensichtlich das Thema S 21 aus dem Blickfeld verloren. Das Ergebnis: Nicht nur ging das einflussreiche Finanzressort an die Grünen, sondern es sitzen der Bahn im Lenkungskreis künftig ausschließlich Projektgegner gegenüber. Das vom Merkel-Vize Thomas Strobl geführte Innenministerium wird jetzt informell beteiligt. Er selber will aber nicht in das Gremium – was gerade jetzt als erste Absetzbewegung eines führenden Befürworters interpretiert werden kann. Der Wechsel im Regierungspräsidium wird hinter den Kulissen auch mit Stuttgart 21 erklärt: Johannes Schmalzl (FDP) stand im Sommer 2013 schon einmal kurz vor dem erzwungenen Abgang, als der Erörterungstermin zum Grundwassermanagement unter seiner Verantwortung wegen der Besorgnis der Befangenheit des Verhandlungsleiters platzte. Die DB wünscht sich, um die jetzt zugegebenen zusätzlichen Risiken zu minimieren, mehr Entgegenkommen von den Behörden. Das war schon unter Schmalzl schwer vorstellbar und ist unter seinem Nachfolger Wolfgang Reimer (Grüne) ausgeschlossen.
Kombi-Bahnhof als Friedensangebot
In vielen Gesprächen und Diskussionen war die Kombilösung ohnehin immer ein Thema. Von einer "Option, die man offenhalten sollte", sprach Winfried Hermann im Kontext-Interview vor zweieinhalb Jahren. Und weiter: "Es braucht kluge Menschen, eine interessierte Bürgerschaft und natürlich entsprechende Mehrheiten, um solche Optionen zu diskutieren und zu nutzen. Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen." Da hatte die Grünen-Fraktion bereits ein Papier mit sieben Gründen für einen kombinierten Kopf- und Tiefbahnhof "als Friedensangebot" präsentiert. Einer der Autor*innen war Andreas Schwarz, und der ist seit wenigen Wochen Fraktionschef.
Auf eine dialektische Art und Weise sind der Pro-Seite zudem mit den sozialdemokratischen Stuttgart-21-Unterstützer*innen deutlich wichtigere Partner abhandengekommen als jene, die sie in der CDU hat. Für die SPD-Spitze war das Milliardenprojekt seit der Zustimmung in der Großen Koalition Mitte der 1990er Jahre und vor allem seit 2011 in der Regierung mit den Grünen ein wichtiges Profilierungsthema. Ohne Claus Schmiedels scharf kalkuliertes Vorpreschen im Juli 2012 wäre der Stresstest niemals als glatt bestanden bewertet worden. Schmiedel und Superminister Nils Schmid taten seinerzeit alles, die Skeptiker*innen schlecht aussehen zu lassen, die beispielsweise die Art und Weise bemängelten, wie die DB die eigenen Prämissen für die Überprüfung verändert hatte.
10 Kommentare verfügbar
D. Hartmann
am 15.06.2016Siehe auch meinen Kommentar zu:
http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/269/ein-tunnel-blamiert-die-kanzlerin-3663.html)
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