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Schwarzer Stolperstart

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Nach Grün-Rot jetzt Grün-Schwarz. Im Stile alter Politprofis haben die Wahlsieger die Verhandlungen mit der CDU abgewickelt. Höchstens verwundert über das Schauspiel, das ihnen Strobl & Co. auf der anderen Seite des Tisches bot. Wenn die Koalition nicht vorher knallt, ist Bewegung im Spiel.

Selbst seine Parteifreunde reiben sich noch immer die Augen, weil sie nicht glauben können, wie sie Winfried Kretschmann auf der Zielgeraden der Gespräche erlebten. Bockelhart verweigerte er jedes Gezerre über das Verkehrsministerium und vor allem über Winfried Hermann, den Mann vom linken Parteiflügel. Zugleich illustriert allein das Begehren eine bedenkliche Rauflust in der CDU, die mit ihren Attacken ihren anhaltenden Frust und ihre Desorientierung nach dem Desaster von 13. März überspielen will. Spätestens als der Ministerpräsident Hermann öffentlich als seinen besten Mann bezeichnete, hätte die CDU umdenken müssen. Fehlanzeige.

Die Grünen gehen aus dem Fingerhakeln um die inhaltliche Dominanz in der neuen Konstellation als klare Sieger hervor. Einige von vielen Beispiele, die die Schnellbleiche in Sachen Modernität unterstreichen, der sich die CDU gerade unterziehen muss:

Die Aufwertung des Sozial- zu einem neuen Gesellschaftsministerium, samt dem Aktionsplan für Akzeptanz sexueller Vielfalt und gleicher Rechte.

Die Wiederernennung von Gisela Erler zur Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung (mit einem lesenswert modernen Kapitel im Koalitionsvertrag).

Die Weiterführung aller Reformen in der Bildungspolitik unter der Stuttgarter CDU-Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann, die sich in ihrem allerersten(!) Interview zur Gemeinschaftsschule bekannte.

Solche und etliche andere Punkte wiegen selbst für die Grüne Jugend schwerer als die neuen Polizeistellen, das von der CDU erzwungene Ausbleiben der anonymisierten Kennzeichnung der Polizei bei Großeinsätzen oder die Verschärfungen bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber (Praktiker erwarten, dass der Law-and-order-Mann an der Spitze des Innenministeriums sich schwertun wird mit der Realisierung).

Einen besonderen Modernitätsschub erlebt das Land durch die Zusammensetzung des Kabinetts. Es ist weit mehr als ein Symbol, wenn so viele Frauen wie noch nie bestellt werden, wenn mit Finanzen, Wissenschaft, Kultus und Wirtschaft gleich vier klassische Ressorts Frauen auf dem Chefinnensessel sehen. Noch nie in seiner Geschichte war das Stuttgarter Neue Schloss, das die Ministerien für Finanzen und Wirtschaft beherbergt, komplett in Frauenhand, weil auch die Staatssekretäre weiblich sind. Es waren die Grünen, die die CDU hier vor sich hertrieben. Nachdem Kretschmann, bis eben nicht gerade als herausragender Frauenpolitiker bekannt, früh klargemacht hatte, dass sein Team 2016 geschlechtermäßig ausgewogen sein würde, konnte Strobl die immer neuen Appelle seiner Parteifreundinnen nicht mehr überhören.

Endgültig in die Geschichte eingehen wird die neue Baden-Württemberg-Partei allerdings dank einer Entscheidung der Landtagsfraktion. Mit Muhterem Aras bekleidet künftig nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Muslima das Amt der Landtagspräsidentin, protokollarisch nicht weniger als das zweithöchste im Land. Und die 50-Jährige Stuttgarterin mit kurdischen Wurzeln rammte denn auch gleich Pflöcke ein an die Adresse der Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" – bekanntlich die drittstärkste politische Kraft im Land. Die werde sie "sehr korrekt und würdevoll im Umgang behandeln, wenn sie sich an die parlamentarischen Grundregeln halten". Aber eines müsse auch klar sein: "Die Frage, ob der Islam zu Baden-Württemberg gehört, ist heute beantwortet."


Info:

Liste der MinisterInnen und ihrer StaatssekretärInnen, Stand 10.05.2016

Ministerpräsident: Winfried Kretschmann (Grüne), Klaus-Peter Murawski (Chef des Staatsministeriums/Grüne)

Finanzen: Edith Sitzmann (Grüne), Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne)

Verkehr: Winfried Hermann (Grüne)

Wissenschaft: Theresia Bauer (Grüne), Staatssekretärin Petra von Olschowski (parteilos)

Umwelt: Franz Untersteller (Grüne), Staatssekretär Andre Baumann (parteilos)

Soziales: Manfred Lucha (Grüne), Staatsekretärin Bärbl Mielich (Grüne)

Stv. Ministerpräsident und Innen: Thomas Strobl (CDU), Staatssekretär noch offen

Kultus: Susanne Eisenmann (CDU), Staatssekretär Volker Schebesta (CDU)

Wirtschaft: Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Staatssekretärin Katrin Schütz (CDU)

Ländlicher Raum: Peter Hauk (CDU), Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch (CDU)

Justiz: Guido Wolf (CDU)

Staatsrätin für Bürgerbeteiligung: Gisela Erler (Grüne)


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14 Kommentare verfügbar

  • Jo
    am 14.05.2016
    Antworten
    Sie lesen: Werbung.

    Dass z.B. die Polizeikennzeichnung wegen der CDU nicht umgesetzt wird, vergisst kommoderweis', dass die Grünen sie auch schon mit der SPD nicht eingeführt haben. Obwohl sie dort sogar im Koalitionsvertrag stand.

    "Sachzwänge", ach ja, man kennt es.


    [Aus dem Handbuch…
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