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Das Feinstaubhörnchen

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Zwei Stuttgarter Bürger haben wegen der Feinstaub- und Stickoxidwerte geklagt. Am Tag vor der Verhandlung präsentiert das Regierungspräsidium Stuttgart seine Sicht der Dinge. Fazit: Es wird langsam besser – mit Betonung auf langsam.

"Mühsam nährt sich das Eichhörnchen", sagt Regierungspräsident Johannes Schmalzl zum Schluss. Das "zweistufige Verfahren", bei erhöhten Feinstaubwerten zunächst zum freiwilligen Verzicht auf die eigenen vier Räder aufzurufen und erst, wenn dies nicht hilft, mit Zwangsmaßnahmen zu drohen, sei "nach wie vor der beste Weg." Es sei "müßig, sich darüber aufzuregen, dass nicht alle dem Feinstaubalarm gefolgt seien", vielmehr sei es "gelungen, viele Menschen zum Umsteigen zu bewegen", wenn auch "nicht in der Dimension, wie es die Optimisten erwartet haben".

Im Klartext: Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn wollte, dass 20 Prozent der Autofahrer ihr Vehikel bei Feinstaubalarm, also an Tagen mit Inversionswetterlage stehen lassen. In der Realität waren es gerade mal drei Prozent. Dass auf diese Weise die Feinstaubbelastung nicht merklich zurückgeht, ist klar. Immerhin ist Schmalzl zuzugestehen: 22 Überschreitungstage bis März am Rekordmessgerät Neckartor, das ist weniger als in den vergangenen Jahren. Aber am 12. April waren es schon wieder 29 Tage, und es kann als sicher gelten, dass im letzten Viertel des Jahres, wenn es wieder vermehrt zu Inversionswetterlagen kommt, noch mal 20 bis 30 Tage hinzukommen.

Aber warum klappt es mit dem freiwilligen Umsteigen nicht? Scheibchenweise ist in den letzten drei Wochen ans Tageslicht gekommen, woran es hapert. Innerhalb der Stadt, wo fast jeder Zweite auf dem Weg zur Arbeit den öffentlichen Verkehr nutzt, sind die Stadtbahnen im Berufsverkehr bereits jetzt überfüllt. Das hat Wolfgang Arnold, technischer Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB), in zwei Terminen mit der SPD und OB Fritz Kuhn klargemacht. Die SSB muss alte Stadtbahnwagen und Busse ersetzen und dringend neue beschaffen, wenn sie den Andrang noch bewältigen will. Denn Stuttgart wächst.

Wenn noch mehr Menschen vom Automobil auf den ÖPNV umsteigen, steigt der Bedarf weiter. Bisher hat aber die SSB ihre Fahrzeuge selbst finanziert. Wenn sie das weiter tun soll, droht ein Milliardendefizit. Und selbst die Stadt kann die notwendigen Ausgaben nicht stemmen. Eine Stadtbahn kostet etwa vier Millionen Euro. Kuhn zufolge liegt der Bedarf im Bereich von 250 Millionen. Ohne Zuschüsse des Landes ist hier nichts zu machen: ein deutliches Signal in Richtung Koalitionsverhandlungen.

SSB droht Milliardendefizit

Auch der Städtetag hat sich der Forderung angeschlossen. Arnold von der SSB hat sich auch dafür ausgesprochen, die Gäubahnstrecke zu erhalten. Um die Blamage der Fehlplanungen des Projekts Stuttgart 21 zu kaschieren, sollen die Gleise zwar weiterhin zum Hauptbahnhof führen, aber unterirdisch, unter dem bisherigen Gleisvorfeld. Was diesen Aufwand rechtfertigt, wo doch alles einfach bleiben könnte, wie es ist, bleibt schleierhaft. Immerhin reift die Erkenntnis, dass es im Tunnel keinen Kapazitätszuwachs gibt und bei Pannen ohne die alte Bahnstrecke rund um den Talkessel rein gar nichts mehr läuft. Zweiter Punkt: Im Auftrag der Industrie- und Handelskammer (IHK) haben die Verkehrswissenschaftler der Uni Stuttgart herausgefunden, dass sich von 48 Gewerbegebieten in der Region, jeweils acht in Stuttgart und in den umliegenden Kreisen, die Mehrzahl trotz Stau auch im Berufsverkehr besser mit dem Auto erreichen lässt als mit dem öffentlichen Verkehr. Die Folge einer jahrzehntelangen verfehlten Verkehrs- und Standortpolitik: Gewerbegebiete wurden möglichst weit weg auf die grüne Wiese geklotzt. Da ist Platz genug für Parkplätze und die S-Bahn häufig weit weg.

Ein aktuelles Beispiel ist Festo. Ein schickes neues Hochhaus hat das Unternehmen hoch über Esslingen am Rand des Neckartals gebaut. Die Stadt und das Land mussten am sogenannten Festo-Knoten die Straßen ausbauen. Es gibt 400 neue Parkplätze, aber keine Bushaltestelle, obwohl die Grünen im Gemeinderat dies angemahnt hatten. Zwischen 13 und 25 Minuten dauert die Fahrt mit dem Bus vom Esslinger Bahnhof, die direkte, kürzere Verbindung gibt es auch im Berufsverkehr nur im Halbstundentakt. Dazu kommen bis zu zehn Minuten Fußweg. Im Ergebnis heißt das: Wenn alles gut geht, braucht man etwa von Stuttgart aus mit dem ÖPNV anderthalbmal so lang wie mit dem eigenen Auto. Ist die S-Bahn verspätet, verpasst man den Anschluss, und es ist alles zu spät.

Sicher gibt es auch positive oder jedenfalls bessere Beispiele. Porsche und Bosch etwa beteiligen sich zum Teil an der Finanzierung von Buslinien. Dennoch stehen Pendler, so sie denn tatsächlich bereit sind umzusteigen, oft da wie der Ochs vorm Berg: An weiter außerhalb gelegenen Wohnorten verkehren die Buslinien allenfalls im Stundentakt. Nur mit garantierten Anschlüssen lässt sich da überhaupt planen. Davon kann im Moment kaum die Rede sein. Michael Münter, Leiter des Referats Koordination und Planung des Oberbürgermeisters, vertritt die Mosaikstein-Theorie. Wenn nicht alle erreichbar seien, so doch viele, schließlich wohne nicht jeder in Randlage. Im Moment ist der Fahrradverleih in der gesamten Region neu ausgeschrieben. 80 Kommunen wollen mitmachen, so Münter. Wenn dann etwa auf dem Heimweg der Bus verpasst werde, könne der Pendler per Pedelec zu günstigen Konditionen nach Hause radeln. Nun gibt es den Feinstaubalarm vorwiegend im Winterhalbjahr. Wer gerade mit Anzug und Krawatte von einer Besprechung kommt, wird sich bedanken.

Fahrradverleih auf dem Vormarsch

Immerhin, die Signale sind in den Koalitionsverhandlungen angekommen. Grüne und Schwarze wollen die Region Stuttgart nun gleich zu einem Modell einer nachhaltigen Mobilitätsregion machen. Vollmundiger geht es nicht, aber von den 250 Millionen für neue Fahrzeuge im ÖPNV, die Kuhn und der Städtetag angemahnt haben, wollen die künftigen Koalitionäre nicht mehr als 30 Millionen im Jahr übernehmen. Nach den miserablen Ergebnissen des Feinstaubalarms steht jetzt das Regierungspräsidium (RP) unter Zugzwang. Der Luftreinhalteplan muss aktualisiert werden, denn der freiwillige Verzicht aufs Automobil hat wenig gefruchtet. Die EU-Kommission will konkrete Ergebnisse sehen, sonst droht eine Klage. Daran kommt keine künftige Landesregierung vorbei, gleich welcher Couleur. Nun hat das RP allerdings die Fortschreibung erst mal verschoben, womöglich bis 2017.

Dagegen laufen zwei Klagen: die zweier Anwohner wegen Feinstaub und Stickoxiden, und noch mal wegen NOx seitens der Deutschen Umwelthilfe. Stadt, Land und RP wollen allerdings zuerst die Erfahrungen des Feinstaubalarms auswerten. Doch eigentlich geht es um etwas anderes. Ursprünglich waren als zweite Stufe, wenn es mit dem freiwilligen Verzicht auf das Automobil nicht klappt, Verbote geplant. Darauf will Kuhn nun aber verzichten. Mit gutem Grund: Rund um die Uhr am Stadtrand oder in der Innenstadt zu kontrollieren, ob etwa nur noch Fahrzeuge mit geraden oder ungeraden Nummernschildern unterwegs sind, dafür bräuchte es eine Heerschar von Polizisten. Und es geht nicht ohne Ausnahmen, etwa wenn jemand dringend zum Arzt muss.

Wenn Verbote nicht durchführbar sind, bleiben nur Anreize. Das Unternehmen Moovel und der Verkehrsverbund (VVS) haben mit ihren Sonderangeboten zum Feinstaubalarm viele Kunden gewonnen, sagt Münter. Kuhn denkt darüber nach, bei Feinstaubalarm die Ticketpreise generell zu senken. Aber gefragt, ob es nicht an der Zeit wäre, wenigstens auf die turnusmäßige jährliche Erhöhung der Fahrpreise zu verzichten, die zu den teuersten in ganz Deutschland gehören, antwortet Münter nur, die SSB müsse betriebswirtschaftlich rechnen. So dreht sich die Diskussion im Kreis, denn neue Stadtbahnen, ein dichterer Takt, ein besserer Anschluss für Randgebiete oder neue Buslinien: Das alles kostet Geld.

Freilich sind auch Straßenbaumaßnahmen nicht umsonst zu haben. Im Koalitionspoker wollen die einen mehr öffentlichen, die anderen mehr Autoverkehr. Da bleibt unter dem Gesichtspunkt der schwarzen Null für jeden nicht sehr viel übrig. Johannes Schmalzl meint, beim Feinstaub sei es schon möglich, die Werte Jahr für Jahr so lange weiter zu verbessern, bis schließlich die Richtlinie eingehalten werde. Um die Stickoxide zu reduzieren, sei dagegen ein Fortschritt in der Motorentechnik nötig. Dass sich der Ausstoß auch halbiert, wenn nur halb so viele Fahrzeuge unterwegs sind, daran denkt der Regierungspräsident nicht. Die B 14 bezeichnet er heute als eine Fehlplanung der 1960er-Jahre aus den Zeiten der "autogerechten Stadt". Aber er tut wenig, um daran etwas zu ändern.

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen. Aber die possierlichen Nager sind doch eigentlich recht flinke Tiere. Die Reduzierung der Schadstoffe geht dagegen eher im Schneckentempo voran. Oder meinte Schmalzl, die Behörden sind flink wie die Eichhörnchen, wenn es darum geht, immer neue Maßnahmen zu ersinnen, die am Status quo so wenig wie möglich ändern?


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6 Kommentare verfügbar

  • Sikasuu
    am 29.04.2016
    Antworten
    "Rund um die Uhr (....) , dafür bräuchte es eine Heerschar von Polizisten..."
    .
    Wie Einfallslos! Wie wäre es denn mit "Wir sperren die belasteten Abschnitte wenn die Werte drüber liegen komplett!" halten uns an bestehendes Recht und warten einmal ab was geschieht. Aber bitte beachten: Polizisten,…
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