Karl Bayer ist ein Stuttgarter SPD-Urgestein, Mitglied im berüchtigten Ortsverein Botnang, den er lange Jahre führte und der widerstand, als sich die Spitzengenossen auf die Seite der Fans von Stuttgart 21 schlugen. Auch sonst zählt Bayer zu der immerfort schrumpfenden Gruppe von Genossen im Kreisverband Stuttgart, die nicht auf Wohlfühlrhetorik und Anpassung setzen, sondern auf unbequeme Inhalte. Am vergangenen Samstag beim Treffen der Parteilinken ereiferte sich der frühere Ingenieur, Jahrgang 1935, mit hochrotem Kopf darüber, dass die Kreiskonferenz nach dem Wahldebakel vom 13. März als Erstes beschloss, bei der Aussprache dazu die Redezeit auf zwei Minuten zu begrenzen. "Wir pfeifen aus dem letzten Loch", sagt Bayer, "vor allem in Stuttgart." Ein Interesse, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, sieht er nicht.
Die drei Dutzend Genossen, die nach Stuttgart kamen, sind die Ausnahme von dieser Regel. Wie jene in Heidelberg, Freiburg und Ulm, die gemeinsam an einem Papier feilten, mit dem der linke Flügel sich einbringen will auf einer Basiskonferenz am kommenden Samstag in Böblingen. Erste Weichen sollen da gestellt werden, heißt es. Nur in welche Richtung bleibt unklar.
Der Spitzenkandidat und Superminister Nils Schmid, der fünf Jahre lang beweisen wollte, dass er besser regieren kann als Winfried Kretschmann, und doch immer kleiner wurde im großen grünen Schatten, will jedenfalls das Amt des Landesvorsitzen nicht hergeben. Mögliche Alternativen, etwa Verdi-Bezirksleiterin Leni Breymaier, halten sich bedeckt, um nicht zu früh verbrannt zu werden. Und der neue Landtagsfraktionschef Andreas Stoch tut so, als lasse ihn das Thema personelle Erneuerung kalt. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass er schon allein deshalb am Amt des Landesvorsitzenden interessiert ist, weil er 2021 Spitzenkandidat werden möchte.
Der Schlimmere heißt Reinhold Gall
Im Bürgersaal, mit Blick auf den Stuttgarter Osten, auf die Berger Kirche, auf die Arbeiterhäuser, die so viel erzählen könnten von großen Erfolgen und bitteren Niederlagen, vom Aufstieg und vom Niedergang der Demokratie, fiel als einziger ein ganz anderer Name. Und bei dem stellen sich vor allem den Jusos die Nackenhaare auf. "Am Ende wählen wir doch Nils Schmid", befürchtet Anaick Geißel, "um einen Schlimmeren zu verhindern."
Der Schlimmere heißt Reinhold Gall. So mancher in der Runde ist der Meinung, der Noch-Innenminister wäre längst designierter Landeschef, hätte die Linke gleich am Wahlabend Schmids Kopf gefordert. Gall gilt als Sinnbild dafür, wie sich die Partei programmatisch in den vergangenen Jahren noch so abmühen konnte, und Fraktion wie Regierung doch nichts davon wissen wollten. "Wir haben die Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Großeinsätzen zweimal beschlossen", erinnert ein Juso, und zweimal habe sich Gall gegen die eigene Partei und den Koalitionspartner gestellt. Er komme sich im Landesverband vor wie "auf einer Großaktionärsversammlung mit Rederecht für Kleinaktionäre". Die dürften zwar auch was sagen, Einfluss hätten sie aber null.
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Dr. Uwe Prutscher
am 29.04.2016