KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft

Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft
|

Datum:

Viel wurde zum Tod von Lothar Späth geschrieben. Viel Richtiges, meint unser Autor, der den früheren Ministerpräsidenten als Regierungssprecher aus nächster Nähe erlebt hat. Dennoch bleibt bei ihm ein Unbehagen.

So zutreffend Politik und Medien die enorme Lebensleistung Lothar Späths gewürdigt haben, so schablonenhaft – wenn überhaupt – wurde der Umstände seines Rücktritts gedacht: Späth habe zurücktreten müssen, weil er sich von reichen Unternehmern luxuriöse Privatreisen habe finanzieren lassen; er sei gestrauchelt, weil er Privates und Politisches nicht konsequent genug getrennt habe. Das war damals die "offizielle" Lesart, die jetzt, ein Vierteljahrhundert später, ohne kritische Reflexion fortgeschrieben wird.

Meine Überzeugung ist: Wer dem Menschen und dem Politiker Lothar Späth gerecht werden will, kann dieses einfache Erklärungsmuster so nicht stehen lassen. Mochte es damals angesichts der hochgehenden Emotionen noch verständlich sein – der jungen Generation, für die das alles Geschichte ist, sollte eine objektive, realitätsnahe Bewertung der Vorgänge ermöglicht werden. 

Fakt ist: Lothar Späths angebliche Privatreisen mit Unternehmern waren durchweg politische Reisen, bei denen Firmenchefs für ein besonderes Engagement in Baden-Württemberg gewonnen werden sollten. Die Einladung zum Mittelmeertörn auf der Luxusyacht eines internationalen TV-Geräteherstellers abzulehnen hätte zum Beispiel im Schwarzwald eine dringend benötigte Investition in dreistelliger Millionenhöhe gefährdet.

Dergleichen politisch-industrielle Verknüpfungen galten seinerzeit auch in anderen Branchen als selbstverständlich. Baden-Württemberg ist nun mal ein hochindustrialisiertes Land mit einflussreichen Wirtschaftsbossen, die vor wichtigen Investitionsentscheidungen von einem wirtschaftsnahen Ministerpräsidenten Beweise seiner besonderen persönlichen Zuwendung forderten. Späths anschließende Schilderung der einen oder anderen "Dienstreise" hinterließ bei mir nicht den Eindruck, dass es sich dabei um eine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung gehandelt hatte.

Wer heute die besondere wirtschaftliche Kompetenz Lothar Späths rühmt und seine immensen Erfolge bei der Modernisierung der technologischen Infrastruktur Baden-Württembergs feiert, kann die Augen nicht davor verschließen, wie dieser Innovationsschub der Achtzigerjahre, von dem das Land heute noch zehrt, zustande gekommen ist. Im Umgang mit Unternehmern und Wissenschaftlern, die er für landespolitische Vorhaben gewinnen wollte, kannte Späth überhaupt keine Privatsphäre.

Deshalb bedeutet der Vorwurf, er habe Politik und Privates unzulässig vermischt, letztlich ein Verdikt über seine gesamte Art und Weise, Politik zu machen. Eine solche Auffassung kann man vertreten. Allerdings sollte man dann nicht zugleich seine wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Strukturinnovationen rühmen, die dem Land unzweifelhaft einen bedeutenden Entwicklungsvorsprung bescherten.

Diesen Widerspruch zu benennen ist ein Akt intellektueller Redlichkeit gegenüber der Person und dem politischen Wirken Lothar Späths. Ich fürchte aber, es ist noch mehr. Seit Späths Scheitern am politischen Pragmatismus mangelt es der Politik an Mut, sich auf riskante oder auch nur unkonventionelle Weise auf Wirtschaftsbelange einzulassen. Bei der Unterstützung mobiler digitaler Dienstleistungstechnologien beispielsweise sind andere Bundesländer schon an Baden-Württemberg vorbeigezogen. Das wird, wenn nicht schnell und energisch gegengesteuert wird, auch im industriellen Fertigungsbereich zu Standortnachteilen führen.

Lothar Späth war in den letzten Jahren krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, seinen Rat, seinen Sachverstand und seine Leidenschaft für einen fortwährend engen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft einzubringen. Ob man auf ihn, den Wanderer zwischen Politik und Wirtschaft, aber überhaupt noch gehört hätte? Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist: Er war ein Großer der Landespolitik, vor dem ich mich in Respekt und Dankbarkeit verneige.


Manfred Zach, Jahrgang 1947, hat als Sprecher und Redenschreiber für Ministerpräsident Lothar Späth (1978
–1991) nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch die CDU aus nächster Nähe erlebt. Wunderbar erzählt hat er dies in seinem Schlüsselroman "Monrepos oder die Kälte der Macht". Zuletzt hat er als Ministerialdirigent im Sozialministerium gearbeitet.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Stuagetter
    am 24.03.2016
    Antworten
    Und wann wird er heilig gesprochen?
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!