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Im Sandwich

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Winfried Hermann hat fünf strapaziöse Jahre hinter sich: Die Stuttgart-21-Gegner sind anhaltend unzufrieden mit ihm, für die Opposition ist er der Buhmann. Und doch hat sich der 63-Jährige nicht nur ordentlich eingerichtet im Sandwich, sondern kann auch beachtliche Erfolge vorweisen.

Kurz vor knapp lässt die Junge Union Autos durchs Land fahren, die so kühne Behauptungen transportieren wie "Kretschmann wählen bedeutet keine Straßen" oder "Kretschmann wählen bedeutet generelles Tempolimit". Der Übeltäter ist natürlich Winfried Hermann, der immer herhalten muss, wenn es den Schwarzen und den Gelben darum geht, den Regierungschef und seine Politik als Mogelpackung zu entlarven. Als Einziger im grün-roten Kabinett hat es der Verkehrsminister sogar zu einer Facebook-Seite gebracht, die ihn permanent zur Aufgabe des Amts auffordert: "Winfried Hermann treten Sie zurück." Die Macher, mit immerhin 664 "Gefällt mir"-Angaben belohnt, verbreiten aktuell die JU-Kampagne und warnen vor noch viel Schlimmerem. Der (moderate) Parteilinke könne in zwei bis drei Jahren nach dem Amt des Regierungschefs greifen, suggerieren die Jungunionisten und fragen drohend: "Eine Gefahr für Baden-Württemberg?"

Egal, welche Position er vertritt, der Ex-Studienrat, der ein Direktmandat in Stuttgart erobern möchte, bekommt allemal Druck von mindestens zwei Seiten. Wenn er ankündigt, die Geschwindigkeit auf 80(!) von mehr als eintausend baden-württembergischen Autobahnkilometern reduzieren zu wollen, schreien die einen "Placebo!", und die anderen überbieten sich in Polemik. Im Schaufenster sitze "Winfried Kretschmann", sagt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, "im Laden erhält man aber die wirtschafts- und mittelstandsfeindliche Politik eines Winfried Herrmann". Wenn der Gescholtene Förderung für Busunternehmen ökologisiert, gehen den einen die Grenzwerte nicht weit genug, und die anderen sagen den Untergang einer ganzen Branche voraus. Hermann, so Nicole Razavi, die verkehrspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, sei eben "allergisch gegen freies Unternehmertum und den Mittelstand" und nehme "Kollateralschäden in Form von Unternehmenspleiten und erhöhter Arbeitslosigkeit in Kauf".

Der Lacher bei der CDU: Wer ist mit dem Fahrrad da?

Einig sind sich die Antipoden auch in ihrer grundsätzlichen Ablehnung. Bei der Landtagswahl am 13. März 2016 stehe die "gesamte Verkehrspolitik im Bundesland Baden-Württemberg auf dem Prüfstand", sagt Winfried Wolf für die Linke, denn es habe mit Grün-Rot im gesamten Bereich "keinen versprochenen Neuanfang und keine Trendwende im Sinn einer ökologischen, nachhaltigen und sozialen Verkehrspolitik gegeben". Im CDU-Wahlprogramm wiederum heißt es: Baden-Württemberg brauche eine Verkehrspolitik, die sich "nicht in Verboten erschöpft". Und Spitzenkandidat Guido Wolf redet sich beim Stichwort Hermann grundsätzlich in Rage, verbreitet immer wieder – allen Gegenbelegen zum Trotz – die Geschichte von den versemmelten Bundesmitteln, die 2013 nicht in den Straßenbau geflossen seien. Mit einem Strahlen quittieren CDU-Wahlkämpfer die wenigen hochfliegenden Hände, wenn sie in ihr Auditorium fragen, wie viele denn mit dem Fahrrad gekommen sind.

Absurde Blüten trieb das oppositionelle Bashing im Abgasskandal. Die "Bürgerinitiative Neckartor", geplagt vom Feinstaub nicht nur an der schmutzigsten Kreuzung Deutschlands, erkennt eine "vorsätzliche, massenhafte Köperverletzung mit Todesfolge, begangen durch das Topmanagement einer deutschen Vorzeigeindustrie und gedeckt durch verantwortungslose Spitzenpolitiker unseres Staates". Hermann allerdings kündigte – als Erster bundesweit – überraschende Kontrollen bei den Herstellern an. Der Applaus der einen Seite war leise, die Missbilligung der anderen maßlos. Das müsse man sich einmal "auf der Zunge zergehen lassen", so FDP-Rülke, "da ist der harmlose Autofahrer auf der Landstraße unterwegs, hält sich an die Verkehrsregeln, und plötzlich bricht eine Hermann-Verkehrsguerilla aus dem Unterholz, um eine willkürliche Schadstoff-Messung zu veranstalten".

Von "Abgasschnüffeltests" fabulierte der stellvertretende CDU-Landes- und Fraktionschef Winfried Mack, der sich in Zeiten, als die Umfragewerte für seine Partei noch andere waren, schon mal als künftiger "Superminister" in Stellung gebracht hatte. Verbraucher würden verunsichert, Autobauer unter Generalverdacht gestellt. Das war im vergangenen Oktober. Als aber Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Mitte Februar sogar den Vergleich seines Stuttgarter Kollegen mit Dopingkontrollen aufnahm und dieselben Maßnahmen ankündigte wie er, da dröhnte Schweigen im schwarzen Walde.

Was Hermann auch tut – Prügel gibt es immer

Entschuldigungen oder Richtigstellungen erwartet der Grüne schon lange nicht mehr, von der einen Seite so wenig wie von der anderen. Bei der Vergabe des Nahverkehrsnetzes, das durch Stuttgart führt, ging die Deutsche Bahn wegen eines Formfehlers nicht nur leer aus, sie unterlag mit ihrem Einspruch selbst vor dem zuständigen Regierungspräsidium in Karlsruhe. Das Konzept des Ministeriums hat den Steuerzahlern nach Berechnungen von Grün-Rot rund eine Milliarde Euro erspart. Ab 2019 kommen "barrierefreie und voll klimatisierte Neufahrzeuge zum Einsatz, die über ausreichende Fahrradmitnahmekapazitäten sowie über kostenloses WLAN verfügen", verspricht der Minister und versichert, dass er die eingesparten Gelder in einen Stunden- oder einen Halbstundentakt stecken will, je nach Auslastung der Strecke.

Die Vergabekammer segnete die Entscheidung am 18. Februar ab. Vier Tage später, auf der Montagsdemo, blieb Winfried Wolf dennoch eisern bei seiner Fundamentalkritik, die er aufgrund einer Zwischenbilanz formulierte, die das Ministerium selbst – allerdings bereits im Mai 2015 – vorgelegt hatte. Auch wenn letzten Endes der Bund für das Schienennetz verantwortlich sei, sagte Wolf, müsse die gesamte Situation der Schiene im Südweststaat "kritisch bilanziert werden". Das aktuelle Schienennetz in Baden-Württemberg umfasse heute noch nur 75 Prozent des Netzes von Mitte der 1920er-Jahre oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Hinzu komme, dass die Leistungsfähigkeit auf den bestehenden Schienensträngen "seit Jahrzehnten" abnehme – infolge von einem "massiven Abbau von Weichen, einem Herausnehmen von Ausweichgleisen und dem allgemein schlechten Zustand der Infrastruktur mit entsprechend vielen Baustellen und Langsamfahrstellen". Zugleich würden Straßen immer leistungsfähiger. Zu all dem finde sich in der grün-roten Zwischenbilanz vom Mai 2015 kein Wort.

Außer auf Seite elf, zum Beispiel. Dort wird aufgelistet, dass das Land sich mit der Hälfte der Kosten an der Elektrifizierung der Südbahn beteiligt, die Planungskosten zum Ausbau der Gäubahn Stuttgart übernimmt, S-Bahn-Netze in den Ballungsräumen fördert oder sich finanziell an Projekten des regionalen Schienenverkehrs beteiligt, etwa dem Ausbau der Schönbuchbahn oder der Reaktivierung der Hermann-Hesse-Bahn Calw.

CDU-Razavi freut sich schon über Schaufensterpuppen

Anfang Februar legte die Landesregierung eine Statistik vor, die all jenen, die auf weniger Straßenbau setzen, nicht gefallen kann: Danach wurden zwischen 2011 und 2015 mehr als vier Milliarden Euro in Bundesstraßen und Autobahnen investiert. Die Opposition schmäht den "Verhinderungsminister" dennoch, macht sich anhaltend über das Radwegenetz lustig oder über Mobilitätskonzepte, die dem Zufußgehen eine ansehnliche Rolle zuweisen. CDU-Razavi, die mit Hermann auf Kriegsfuß steht, hat in einer ihrer letzten Landtagsreden in dieser Legislaturperiode eine ganze "Liste der Grausamkeiten" präsentiert: "Abgasschnüffelei mit Messkommando, Fahrbahnverengungen, City-Maut, blaue Plakette und Fahrverbote, gerade und ungerade Autokennzeichen, aus denen hervorgeht, wer hereinfahren darf oder nicht, mindestens zwei Personen pro Auto." Über Letzteres, malte sich die schneidige Volksvertreterin aus, freue sich gewiss die Schaufensterpuppenindustrie. Kritik der Opposition hagelte es zudem, weil der Minister sich viel zu lange gegen den Versuch mit den ultralangen Gigalinern gesträubt habe. Und natürlich unterstellen CDU und FDP, der Grüne würde, wenn er nur könnte, Stuttgart 21 noch immer verhindern.

Wieder Druck und Gegendruck. S-21-Gegner Wolf zitiert aus der Zwischenbilanz des Ministeriums: Unter maßgeblicher Mitwirkung von Hermann "haben sich die Projektpartner im März 2015 auf ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit [der S-21-Anbindung] im Flughafenbereich verständigt". Und er moniert, wie nur lapidar gestreift werde, dass die S-21-Kosten sich bereits nach offiziellen Angaben massiv erhöhten und sie weiter ansteigen würden. "Womit allein dadurch die Grundlage für die Volksabstimmung entfallen ist", sagt der Linke. Im Zentrum einer negativen Bilanz stehe das "doppelte Desaster" von Stuttgart 21: "Das rein handwerkliche Desaster, das von Grün-Rot im Rathaus und in der Landesregierung mit zu verantworten ist, und das politische und moralische Desaster, das, was man schlicht als 'Verrat am Wählerwillen' bezeichnen muss." Wolfs Konsequenz: "Oben bleiben!" Auf seine Weise arbeitet daran auch Winfried Hermann.


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2 Kommentare verfügbar

  • Jona Gold
    am 10.03.2016
    Antworten
    Eine Runde Mitleid für unseren Winne: Ohhhhhhhhhhhh!
    Und noch eine Runde für die Autoren, für die das auch ganz dolle schlimm ist, dass es der Winne so schwer hat: Ohhhhhhhhh.
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