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Endspurt!

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Gökay Akbulut kandidiert für die Linke in Mannheim, Wahlbezirk 35. Seit Wochen versucht sie, vor allem Migranten von sich zu überzeugen. Immer mit dabei: ihre beiden Wahlhelferinnen. Ein Freitagabend kurz vor knapp mit dem sicher schönsten Wahlkampfteam Deutschlands.

Gökay Akbulut ist auf Demos aufgewachsen, an der Hand der Mutter mitgelaufen, wenn die ganze Familie für die Rechte der Kurden demonstriert hat, der Vater, die zwei Brüder. Sie kennt Polizeikessel aus ihrer Kindheit, Polizeigewalt aus ihrer Jugend, sie liebt die Solidarität der linken Community, sagt sie, eine Hand am Kaffeebecher, die andere in der Manteltasche, eine kleine Frau mit offenem Gesicht, glänzendem schwarzem Haar bis über die Schultern im Gewühl des Mannheimer Hauptbahnhofs an einem Freitag. Kurdische Frauen sind stark. Und sie sind kämpferisch. Aber manchmal auch ein bisschen fertig. "Ich hab gewusst, dass es anstrengend wird. Aber nicht, wie anstrengend", sagt Akbulut. Es ist ihr erster Landtagswahlkampf, Endspurt.

Sie ist mit Bernd Riexinger Spitzenkandidatin für die Linke, Wahlkreis Mannheim I, Norden. Manche sagen, sie sei die Alibikandidatin, weil sie hinter Hannes Rockenbauch aus Stuttgart verschwindet, obwohl der nicht mal ein Parteibuch hat. Eine Frau, in Baden, mit Migrationshintergrund. "Ach was", sagt sie, winkt ab und drückt ihren beiden Wahlkampfhelferinnen zur Begrüßung Küsschen auf die Backen.

Gül, 50 Jahre alt, dunkle, wilde Locken, die Handtasche voller Flyer auf Deutsch, Türkisch und Kurdisch – "Ji bo Baden-Würtembergeke civakî", "Oylar Die Linke ye" –, und Gülsen, dunkelblonde Lockenpracht bis zur Hüfte, 37, Verkäuferin in einem Brautladen, insgesamt: drei Engel für die Linke – Deutschlands attraktivstes Wahlkampfteam. Seit Wochen plakatieren sie, verteilen Zettel, klappern Veranstaltungen, Geschäfte und Vereine ab.

Kurz vor fünf sitzen die drei in der Straßenbahn zum ersten Termin in der Alevitischen Gemeinde. "Keks?", fragt Gül, kruschtelt eine "Die Linke"-Packung Taschentücher zur Seite und zaubert ein Stück Gebäck aus der Handtasche. Für den Abend hat jetzt auch noch der Neckarstädter Wahlcheck zugesagt. Die Veranstalter hatten Akbulut erst ausgeladen, weil sie fürchteten, dann auch die AfD einladen zu müssen. Nun darf sie doch. Ohne AfD. "Wird alles eng", sagt Akbulut, kaut den Keks, checkt ihre Mails am Handy.

Gökay Akbulut ist stolze Kurdin. 1990 floh ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland. Damals war sie zehn, die Familie zog nach Uelzen in Norddeutschland, später nach Hamburg. "Ich war immer fremd", sagt Akbulut. "In der Türkei gehörten wir zu den Menschen zweiter Klasse, hier war ich die mit dem Migrationshintergrund." Heute nutzt sie das: Sie sei zuständig für die "Migranten-Community", sagt sie, Animateurin im Wahlbezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung im ganzen Land. 52,6 Prozent gaben bei der Landtagswahl 2011 ihre Stimme ab, 5,8 Prozent für Die Linke, der beste Wert in Baden-Württemberg.

Die Alevitische Gemeinde ruft auf, gegen rechts zu wählen

Die Alevitische Gemeinde hat ihre Räume in einem flachen Fabrikgebäude. Eine Wand ist mit Bäumen bemalt, drum rum karges Land, Berge bis zum Horizont. In der Mitte hängt eine Uhr: 17 Uhr 25. Akbuluts Taxi kommt um zehn vor sechs, "bitte pünktlich", sagt sie am Telefon.

Im ersten Stock sitzt der Gemeindevorstand mit Gefolge. Er sagt: "Momentan ist es ja kritisch, wo die rechten Parteien so stark sind und die Wahlbeteiligung so gering. Wir als Verein müssen da was tun. Gerade wir Migranten." Deshalb laden sie sich nacheinander alle demokratischen Parteien zum Gespräch ein und raten ihren Schäfchen zum Kreuzchen. "Die Linke setzt sich gegen Rassismus und Faschismus ein und für eine humane Flüchtlingspolitik", sagt Akbulut, der Vorstand nickt.

Sie kennt die Probleme im Viertel, sagt sie, Zeitarbeitsjobs, teure Mieten, schlechte Bezahlung, 30 Prozent der Jugendlichen haben keine Ausbildung, keinen Abschluss. "Wir stehen für gleichberechtigte Teilhabe von Migranten. Wir sind gegen Waffenexporte, denen ja übrigens die SPD zugestimmt hat", sagt sie. Dann entschuldigt sie sich, das Taxi ist da. Im Untergeschoss wartet schon Gerhard Fontagnier von den Grünen, "Menschenfreund und Kulturliebhaber", steht auf seinen Flyern, die es schon vor ihm an den Tisch geschafft haben.

"Lindenhof, Lanz-Kapelle", sagt Akbulut im Taxi. "Was ist da?", fragt der Fahrer. "Bodo Ramelow." "Oh! Ramelow! Wo ist rechts, wo ist links, wo ist Mitte?", ruft er und lacht sich über seinem Lenkrad scheckig. Er kommt aus Polen und wählt grundsätzlich nicht, sagt er. Das Taxi düst an einem Plakat der Linken vorbei. Die Mädels hinten jauchzen, Gökay in Überlebensgroß. Kürzlich habe sie eine Frau angesprochen, sagt die: "Huch, sie sehen ja aus wie die auf dem Plakat!" Akbulut packt einen quietschgrünen Schminkspiegel aus, zieht schwungvoll die Lippen nach.

"Alles wird gut", sagt Bodo Ramelow

An der Tür der Lanz-Kapelle steht schon eine Frau und drängelt, "zack, zack, die warten fürs Foto auf dich!" Die Kandidatin von Mannheim II ist schon da, Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, schüttelt Hände. "Alles wird gut", sagt Ramelow leise, als sich die drei an den Tisch vors Publikum setzen. Die Kapelle strahlt weiß über braune Säulen, in der Ecke steht die Büste des Stifters Heinrich Lanz. Der hat den Lanz Bulldog erfunden.

Gökay Akbulut redet. Über bezahlbaren Wohnraum für alle, den groß angekündigten Politikwechsel, der an so vielen vorbeigegangen sei, echauffiert sich über Stuttgart 21, die nicht umgesetzte Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die Gemeinschaftsschule, der die Oberstufe fehlt. Rund 100 Leute sind gekommen, alte, junge, Migranten im Anzug, Frauen im Kostüm, Männer in Leierstrick. "Lasst uns zeigen, dass die Linke endlich auch in Baden-Württemberg angekommen ist und in den Landtag gehört!", ruft Akbulut kämpferisch. Dann dreht sie sich zur Seite und sagt: "O je, jetzt hab ich vergessen, dich zu begrüßen." Bodo Ramelow lacht herzlich, klopft ihr kumpelhaft auf die Schulter. "Ich freue mich über deinen Wahlkampfmodus."

Kurz nach sieben. Wahlkampfhelferin Gül drängelt aus der ersten Reihe aufs Podium. Akbuluts Handy vibriert unauffällig, halb acht beginnt der nächste Termin. Akbulut steht auf, flüstert Ramelow etwas ins Ohr. "Sag's laut", entgegnet der. "Das schaffen wir!", ruft Gökay Akbulut und reißt die Faust hoch. "Mit links!", und verschwindet durch die Tür in die nächste Straßenbahn.

Sie hat als Studentin ein Praktikum im Bundestag gemacht. "Die anderen mussten alle in Abgeordnetenbüros Briefmarken kleben", erzählt sie. "Ich durfte überall hin mit. Zur Linken wollte ja keiner." Später lebte sie in Montreal, Kanada, dann in New York für ein Praktikum bei den Vereinten Nationen, beseelt vom Gedanken an festen und dauerhaften Frieden für die Kurden. 4000 Bewerber gibt es jedes Jahr, sie war eine von 180 Ausgewählten. Sie erzählt von einer Konferenz für Frauenrechte, die sie mit organisierte, und von der Gegenkonferenz, die viel spannender gewesen sei, weil es dort nicht um die Erfolge, sondern um die Versäumnisse ging.

Der CDU-Mann erleidet einen Schwächeanfall

Akbuluts Telefon vibriert. Das Plakatierteam steht vor dem Parteibüro und hat keinen Schlüssel. Gül tippt ins Handy, zwei Haltestellen weiter warten zwei grinsende Männer, Schlüsselübergabe aus der Bahn und weiter geht's. "Die kleben die letzten Plakate, die noch da sind", sagt sie.

Gökay Akbulut gähnt um 19 Uhr 33 herzhaft. Gül sitzt in der Reihe vor ihr und bequatscht ein fremdes, blondes Mädchen das erst skeptisch aussieht, dann aber brav den Karton mit den Wahlkampf-Unterlagen aus der Tram trägt. Akbulut lacht. "Gül ist unersetzlich", sagt sie und grinst.

Um zehn nach halb acht öffnet sie die Tür zum Neckarstädter Kandidatencheck im Stadtteiltreff, Parkett, Ballettstangen an eierschalenfarbenen Wänden, die Lampen an der Decke sehen aus wie leuchtende Einmachgläser.

Rund fünfzig Leute sitzen auf den Stühlen. Bei der Frage nach einer guten Lösung zur Integration der Flüchtlinge erleidet der CDU-Mann einen Schwächeanfall und muss sich setzen. Die FDP möchte keine Überwachungskameras, wenn man sie nicht unbedingt braucht. Beifall gibt's vor allem für die Grünen und die Linke. Der Moderator fragt, ob Akbulut für das Fach Wirtschaft an Schulen sei. Er grinst siegessicher. "Zieht man da nicht kleine Kapitalisten ran?" "Ne, ich finde das gut", sagt Akbulut. "Kinder sollen ruhig den Wirtschaftskreislauf kennenlernen." Applaus aus dem Publikum. "Karl Marx hat sich ja auch mit Wirtschaft befasst", sagt Gerhard Fontagnier, der Grüne, der nachmittags im Untergeschoss bei den Aleviten gewartet hat.

Gül lächelt im Publikum, Akbulut lächelt zurück. Ihre Bluse ist auf der einen Seite aus der Hose gerutscht. Es ist viertel nach neun. Und der Moderator ist erst bei Frageblock zwei.


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1 Kommentar verfügbar

  • Schwabe
    am 09.03.2016
    Antworten
    "Der Moderator fragt, ob Akbulut für das Fach Wirtschaft an Schulen sei. Er grinst siegessicher."
    Das siegessichere Grinsen des Moderators deutet auf bürgerlich konsevative Scheuklappen hin, welche das Fach "Wirtschaft" an Schulen wahrscheinlich gleichsetzt mit der Lehre kapitalistisch neoliberaler…
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