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Dein Freund und Filmer

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In den USA sind Bodycams der letzte Schrei. Sie sollen Polizisten kontrollieren. Auch in Baden-Württemberg kommen sie demnächst zum Einsatz. In Baden-Württemberg ist ein Einsatz zum Schutz der Beamten geplant. Obwohl der Nutzen nach mehreren Praxistests umstritten bleibt.

Jetzt kommen sie also doch zu Ehren im Südwesten, die kleinen schwarzen Geräte, die wie Science-Fiction-Vögel auf der Schulter von Einsatzbeamten sitzen. In Mannheim, Stuttgart und Freiburg soll ein sechsmonatiger Modellversuch gestartet werden. Grün-Rot hat einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht – im sicheren Wissen, dass er bis zur Wahl Mitte März nicht mehr verabschiedet werden kann. Aber natürlich musste nach der Silvesternacht in Köln, Hamburg oder Stuttgart Tatkraft demonstriert werden – selbst wenn die von Aktionismus kaum zu unterscheiden ist. Schließlich sind sich alle Experten einig, dass Bodycams bei solchen Großeinsätzen wie auf der Platte vor dem Dom vollkommen überflüssig wären, weil ohnehin Videotrupps der Polizei unterwegs sind. Oder zumindest sein sollten.

Politisch betrachtet verwundert das Vorgehen der Koalition in mehrfacher Hinsicht. Lange hatten sich die Grünen gegen die neuartige Form der Einsatzdokumentation gewehrt, ließen sich dann aber auf das Geschäft Bodycams versus Kennzeichnungspflicht ein. Das allerdings war von vornherein ein schlechtes. Denn die anonymisierte Kennzeichnungspflicht bei Großeinsätzen steht nicht nur ohnehin im Koalitionsvertrag, sondern sogar im Wahlprogramm der SPD von 2011. Und jetzt stimmen die Grünen sogar ohne verbindliches Entgegenkommen der Sozialdemokraten zu.

Trickreich verweist Innenminister Reinhold Gall auf das neue Wahlprogramm, das einen zweiten Anlauf verheißt. Frei nach dem Motto: Bleibe ich Minister, hab ich die digitale Schulterfilmerei schon mal durchgesetzt, und die Kennzeichnung kommt dann irgendwann; bleibe ich nicht Minister, ist's eh egal. Der Grünen-Landesvorsitzenden Oliver Hildenbrand hat fünf Jahre lang engagiert für die Zahlenkombination auf den Uniformen gekämpft, wie sie in anderen Ländern längst gang und gäbe ist. Jetzt bleibt ihm nur die gute Miene zum bösen Spiel. Natürlich würde Ministerpräsident Winfried Kretschmann so wenige Wochen vor der Wahl niemals einen Koalitionsknatsch vom Zaun brechen.

Was zählt da schon, dass alle bisherigen Versuche bestenfalls teilweise überzeugende Ergebnisse gebracht haben. Zum Beispiel im Frankfurter Szeneviertel Alt-Sachsenhausen. Dort sank die Zahl der Fälle, in denen pöbelnd, tretend oder spuckend Widerstand gegen Ordnungshüter geleistet wurde, von 40 auf 25. Dank der Bodycam, sagen die einen. Weil während des Kameraeinsatzes häufig nicht wie üblich zwei, sondern drei Beamte Streife gingen und damit die sichtbare Präsenz erhöhten, sagen die anderen. Selbst Praktiker sind also uneins. Dennoch plant das schwarz-grün regierte Hessen schon eine breitere Verwendung der Apparate. Die entsprechenden Regelungen sehen nicht nur Bild-, sondern zusätzlich Tonaufnahmen vor, um Beleidigungen ebenfalls zu dokumentieren.

Die Bürgerrechtsgruppe "Die Datenschützer Rhein-Main" hat den gesamten Gesetzentwurf als unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig bewertet: "Vor allem aber die Verhältnismäßigkeit des Bodycam-Einsatzes erscheint zurzeit fraglich. So ist im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung nicht nur der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Polizisten zu berücksichtigen, sondern auch der Persönlichkeitsschutz des Bürgers", hieß es in der Stellungnahme vor dem Innenausschuss des Wiesbadener Landtags. Der sei in den "derzeitigen Regelungen leider aber nur in einem unzureichenden Maße" berücksichtigt.

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Wichtige Fragen sind ungeklärt, den Zeitpunkt der Auslösung oder die Sichtung des Materials betreffend zum Beispiel. Nik Sakellariou, Innenexperte der SPD-Landtagsfraktion, nennt Bodycams "ein wirksames Instrument, um vor Übergriffen auf Polizisten abzuschrecken und gleichzeitig strafbare Handlungen beweiskräftig zu dokumentieren". Wann aber wird das Instrument eingeschaltet? Wer sorgt dafür, dass unbeteiligte Dritte nicht in Ermittlungen verwickelt werden? Was geschieht mit irrelevantem Material? Datenschützer verlangen umgehende Löschung. Was aber auch bedeutet, dass alle Aufnahmen und nicht nur die als beweiserheblich eingestuften sofort nach Übergriffen durchgesehen werden müssten. Von einer Polizei, die ohnehin überlastet ist und eine riesige Bugwelle von Überstunden vor sich herschiebt. In England und einzelnen amerikanischen Bundesstaaten wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze wieder zurückzufahren, weil die Auswertung zu teuer ist.

Und vor allem: Wer kontrolliert die Kontrolleure? So alt wie die Videotrupps in Uniform sind die Erfahrungen mit gefälschten und suggestiv geschnittenen Materialien. Als Anfang der Achtzigerjahre in Stuttgart ein besetztes Haus in der Gerokstraße geräumt wurde, kam es rasch zu einem Aufmarsch von Unterstützern an der Ecke Heidehofstraße. Die Einsatzhundertschaft, in voller Ausrüstung, ging hart zur Sache, mit Schlagstöcken und Fäusten. Der Videotrupp drehte, wie die Aufnahmen anwesender Fotografen belegten, in den entscheidenden Momenten immer ab, um solche Prügelszenen eben nicht zu dokumentieren.

Noch dreister war das Vorgehen der Polizeiführung am 1. Oktober 2010: Durch die Präsentation von Filmmaterial sollten Dutzende Journalisten davon überzeugt werden, dass die Aggressoren am Schwarzen Donnerstag allein in den Reihen der Demonstranten zu finden waren. Dabei zeigte die mitlaufende Zeit, dass ganze Sequenzen aus dem Material einfach herausgeschnitten worden waren. Die Öffentlichkeit bekam sie erst Wochen später im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu sehen. Den Gegenbeweis zu führen ist kaum möglich. Natürlich könnten Demonstranten oder Beobachter zurückfilmen, die Beamten können aber Kamera und Bilder einziehen. Wann Beschuldigte die Aufnahmen in welcher – womöglich inzwischen bearbeiteten – Fassung zu sehen bekommen, ist ungeklärt.

Gall verweist auf die Anhörung, die noch im Februar stattfinden wird. Sollte sich Grün-Rot am 13. März behaupten und trotz aller Bedenken zur Anschaffung entschließen, wird erst noch ein ernsthaftes Gespräch mit dem Genossen Finanzminister anstehen. Die Geräte kosten 1500 bis 1800 Euro pro Stück. Hamburg hat für einen Versuch und vier Stück der "mobilen Videoüberwachung" 20 000 Euro zur Verfügung gestellt. Da klotzen die Amis mit ganz anderen Zahlen: In den kommenden drei Jahren sollen mit 75 Millionen Euro 50 000 Bodycams gekauft werden. Dabei könnte man das Geld deutlich sinnvoller investieren – dies- und jenseits des Atlantiks.


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8 Kommentare verfügbar

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    am 16.02.2016
    Antworten
    Da hilft jetzt nur noch Selbstschutz für den demokratischen Bürger:
    Kauft euch eine GoPro (die billigste reicht), schaltet die Signal-LED der Aufnahme ab und den Aufnahmemodus auf "Schleife".
    Wenn ihr dann in von Polizeigewalt betroffen seid, dann habt ihr wenigstens ebenfalls einen Videobeweis.
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