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Das Häuschen ist sicher

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Die Linke kommt nicht vom Fleck. Da braucht es einen Gregor Gysi. Er nimmt der schwäbischen Hausfrau die Angst, dass ihr das Häuschen auf dem Killesberg weggenommen wird. Auch nicht, wenn Riexinger und Rockenbauch in den Landtag einziehen.

Gregor Gysi weiß, die Lage der Linken ist nicht gut, jene der Welt draußen ebenfalls nicht. Beides hat miteinander zu tun, weil auch er kaum mehr durchdringt, vor lauter Petry-Geschrei und vollgestopften Medienkanälen, die nur noch ein Thema zu kennen scheinen: die Flüchtlingspolitik im Spiegel der AfD. Talkshows lehnt er inzwischen ab, wenn abzusehen ist, dass die Zündler nicht zu etwas anderem gefragt werden. Zur sozialen Gerechtigkeit etwa, zur Vermögenssteuer, zu TTIP. Zu all dem eben, wovon sie "keine Ahnung" haben.

Im Cannstatter Kursaal kann der 68-Jährige vom Anfang her sprechen, vom Krieg, den Waffenlieferanten, der hilflosen EU, vom Wohlstand weniger und der Armut vieler. Er sagt, er kenne viele Reiche, denen er immer erzähle, dass ihr Reichtum gefährdet sei, wenn die Situation "unbeherrschbar" würde. Da würden sie doch nachdenklich werden, versichert er den 750 Zuhörern. Wenn Gysi kommt, ist die Hütte voll.

Die Schere weitet sich, nur, wie lange noch? Die britische Hilfsorganisation Oxfam hat gerechnet. Ein Prozent besitzt fast die Hälfte des Weltvermögens. Millionär geht, so wie es läuft, nur mit Hartz IV als Gegenüber und trägt nicht für alle Ewigkeit. Das hat er auch schon seinem Lieblingsgegner Volker Kauder von der CDU gesagt, Jesus zitierend: Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Das hat den frommen Mann aus Tuttlingen sehr empört. Die Auslegung der Heiligen Schrift sei seine Sache, nicht die eines Ungläubigen, hat er dem früheren DDR-Bürger entgegengeschleudert, und damit klargemacht, dass mit der Bibel die Welt auch nicht zu retten ist.

Kretschmann tut so, als tränke er Starkbier

Später, kurz vor Mitternacht, die beiden Bodyguards vom BKA sind weg, erklärt Gysi im Kübler-Stüble, warum das auch mit dem Katholiken Kretschmann nicht klappen kann. Verzeihbar sei, sagt Gysi, die Schummelei auf dem Nockerberg, als alle, auch sein Tischnachbar Kretschmann, so getan hätten, als tränken sie Paulaner Starkbier. Gefärbtes Wasser sei's gewesen, nur er habe zwei echte Maß in sich hineingeschüttet. Aber in der Flüchtlingspolitik die CDU "rechts überholen", nein, das will er dem grünen Ministerpräsidenten nicht durchgehen lassen. Das könne wohl nur einer, dem es "ziemlich wurscht" sei, was seine Partei so denke. Ob sie wohl einen Schwulen zur Hinrichtung nach Saudi-Arabien zurück schicken wollten?

Neben ihm sitzt Feuerkopf Hannes Rockenbauch (36), der Stuttgarter Kandidat der Linken, und lässt sich erläutern, wie er dem MP begegnen muss: "Präsidiale Typen" nie frontal angreifen, besser fragen, ob der Ministerpräsident vor lauter Bedeutung auch noch zum Schaffen käme – "das verfängt bei den Schwaben". Bedeutende Männer seien nämlich komisch, fährt Gysi fort und erzählt, wie er einst zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder gestanden hat und jeder sein Lieblingsspielzeug verraten sollte. Zuerst Oskar: einen Fußball. Danach Gerd: eine Blechbüchse, weil für einen Fußball kein Geld da war. Zuletzt Gregor, hirnend, wie er beide toppen konnte: eine "Negerpuppe". Fortan fürchteten sie ihn. Selbst die Kanzlerin guckte vom Smartphone hoch, wenn er sie im Bundestag direkt angesprach.

Der MP möge wenigstens heimlich die Linke wählen

Zu Guido Wolf (CDU) kann er nichts sagen. Den kennt er nicht. Seine Kragenweite ist Kretschmann, dem er rät, lieber zweimal nachzudenken, als einmal seinen Beamten in den Hintern zu treten, zwecks deren Bewegung und eigener Entlastung. Und dann: zur Wahl der Linken aufrufen, oder, wenn ihm das unheimlich erscheine, sie wenigstens heimlich wählen. Dann habe er zwei Oppositionsparteien im Parlament. Eine rechte in der AfD und eine linke in der Linken. Gut für eine demokratische Streitkultur und gut für einen Ministerpräsidenten, der "doch so gerne mittig ist". Die Idee bringt ihn selbst zum Strahlen, Frontmann Bernd Riexinger und Rockenbauch eher zum Staunen.

Ein guter Gedanke in der Theorie, ein schwer umsetzbarer in der Praxis. Die Linke bleibt für Kretschmann der Gegner, und andersrum auch. Der Grüne sei der "Wiedergänger von Erwin Teufel", schimpft Gewerkschafter Riexinger immer wieder und zählt auf, was unter Grün-Rot alles nicht gemacht worden sei. Eine soziale Wohnungspolitik, ein Programm gegen Kinderarmut, gegen prekäre Arbeit, Leiharbeit, Sozialdumping. Stattdessen eine Erbschaftssteuer im Sinne der schwäbischen Millionäre. Und dann so tun, als wäre Baden-Württemberg das "letzte Paradies". Ja, sagt Rockenbauch, "es ist mühsam in diesem Land". Wir führen die "Welt an die Wand", und auf unseren Straßen die Giga-Liner von Daimler. Da ist was dran.

Wahltaktisch schöpfen er, Riexinger und seine Mitspitzenfrau Gökay Akbulut Hoffnung aus der neuen Lage. Sie glauben nicht an eine Neuauflage der Regierung Kretschmann, verabschieden das Argument, eine Stimme für die Linke sei eine verlorene. Niemand nehme ernsthaft an, meint Rockenbauch, dass die Grünen die CDU noch überholten und die SPD auf 20 Prozent käme. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün, das sei die Farbe der nächsten Regierung, prophezeien sie, und der bodenständige Riexinger will alle beruhigen, die sich vor dem bösen Wolf fürchten: Mit der Linken würden sie nicht im Bett der CDU landen.

Gysi will sagen: Auch Linke können nett sein

Genau. In der Ruhe liegt die Kraft. Das sagt auch Gregor Gysi und nimmt einen Schluck echte Weißweinschorle. Dafür stehe sein bekannter Bundesvorsitzender, der Bernd (Oskars Gattin Sarah weniger, wegen ihrer "Gastrecht"-Einlassung), was gerade in Wahlkampfzeiten, in denen die Parteien "immer hektisch" würden, ungemein wichtig sei. Er habe das auch erst lernen müssen, inzwischen aber einen Grad der Gelassenheit erreicht, der ihm sogar das Anschauen von Tierfilmen ermögliche.

Wer so entspannt ist, mag auch die Schwaben. Selbst Erwin Teufel ("Lächelt der eigentlich echt?") lobt er, weil er schlauer war als Kurt Biedenkopf ("Völlig humorfrei") und den Werbespruch ("Wir können alles außer Hochdeutsch") übernahm, der einst für Sachsen gedacht war. Richard von Weizsäcker war er zugetan, Parteifreund Ulrich Maurer, den Exsozi, nimmt er als "angenehmen Kerl" wahr und die Prenzlauer Schwaben überhaupt nicht als gierig. Das sei "Blödsinn", sagt Gysi, diese Behauptung, sie kauften alles auf, die Schwaben seien "nicht an allem schuld".

Will sagen: Ein Linker frisst weder kleine Kinder, noch nimmt er der schwäbischen Hausfrau ihr Häuschen auf dem Killesberg weg. Deshalb müssten die drei Prozent, die derzeit für die baden-württembergische Linke in den Umfragen stehen, keineswegs das Ende der Fahnenstange sein. Das Rennen sei offen, sagt Gysi und verweist auf die unberechenbare Stimmung im Volk. Es gebe nichts Schnelllebigeres als Wahlverhalten, betont er, und dann, wenn alles gut gehe, sprich die Linke in den Stuttgarter Landtag einzöge, "verändern wir Deutschland". Gelänge es in Bayern – "die ganze Welt".


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9 Kommentare verfügbar

  • Berhard Pflueger
    am 08.02.2016
    Antworten
    Ich würde mir sehr wünschen, dass ein Bernd Riexinger am 13. März in den Landtag gewählt wird. Das täte diesem geistig beharrlich-verstockt in den 50-igern des vergangenen Jahrhunderts verweilenden Bundesland (wer schon sonst bspw. ist so grundnaiv im Rest der Republik und lässt sich von…
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