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Mit zweierlei Maß

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Der Schlossgarten-Untersuchungsausschuss hat seinen Abschlussbericht präsentiert. Für die CDU steht fest: Es hat vonseiten der Politik nie eine "direkte oder indirekte Einflussnahme auf die Polizei" gegeben. Die FDP wirft Grün-Rot gar "sachwidrige Legendenbildung" vor.

Guido Wolf, Winfried Kretschmanns Herausforderer bei der Landtagswahl am 13. März, versteht die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht als "Zeitenwende". Seine Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen, allen voran der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet, ziehen politische Schlüsse, die weit über die Verantwortung der Einsatzbeamten und ihrer Führung hinausgehen. Ein Innenminister, ereiferte sich Laschet kürzlich im Düsseldorfer Landtag, sei "der oberste Dienstherr" der Polizei. Er müsse sie so organisieren, dass es zu derartigen Missständen gar nicht erst kommt. Und weiter: "Ein Innenminister, der sagt, für die Polizei vor Ort, für alles, was schiefläuft, bin ich nie verantwortlich, denn die sind immer selbst nur operativ tätig, der ist in der Tat eine Gefahr für die innere Sicherheit."

Ob Heribert Rech kurz stutzte angesichts solch starker Worte? Nach diesem Maßstab hätte er zurücktreten müssen im Oktober 2010, als CDU und FDP in Baden-Württemberg von der jetzt eingeforderten politischen Verantwortung so überhaupt nichts wissen wollten. Stattdessen ließen es die beiden Regierungsparteien nicht beim Persilschein für die Politik bewenden, sondern befanden sicherheitshalber auch noch, es sei ja gar nichts auszusetzen gewesen an diesem Polizeieinsatz. Also wurde im Abschlussbericht des ersten Untersuchungsausschusses kurz vor der Wahl 2011 nicht nur politische Einflussnahme bestritten und jede Verantwortung des Innen- und Staatsministeriums abgelehnt, sondern weitreichend festgestellt: "Der Einsatz ist insgesamt als rechtmäßig zu beurteilen."

Heftige Vorwürfe gegen die Landesregierung

Für eine Revision dieser fünf Jahre alten Schlussforderungen gäbe es viele gute Gründe. Stattdessen versuchen die Oppositionsobmänner im zweiten Ausschuss, Reinhard Löffler (CDU) und Timm Kern (FDP), den Spieß einfach umzudrehen. Statt einzugestehen, dass die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Mails der früheren Verkehrsministerin Tanja Gönner und die Aussagen des ehemaligen Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf sehr wohl eine Einflussnahme nahelegen – über all die Indizien hinaus, die schon der erste Ausschuss ohnehin zusammengetragen hatte –, richteten sie heftige Vorwürfe gegen die grün-roten Regierungsfraktionen.

Getreu dem Motto, ein Untersuchungsausschuss sei nun mal ein "politisches Kampfmittel", so der frühere Gymnasiallehrer Kern, soll die Landesregierung "vor allem politisch motiviert agiert" haben. Besonders ärgert den Liberalen, dass Anträge "mit Mehrheit durchgedrückt" wurden. Als wäre dies nicht über Jahrzehnte und alle Themen hinweg – von Atomaufsicht bis FlowTex, von Lothar Späths Traumschiff-Affäre bis Schossgarten I – gängige Praxis von CDU und FDP gewesen. Ein Beispiel von vielen ist der Umgang mit den beiden Staatsrechtlern im ersten Ausschuss. Die Aussagen des einen, der die Meinung der damaligen Landesregierung stützte, es habe sich um eine unrechtmäßige Blockade gehandelt, wurde medienwirksam in die Vormittagsstunden platziert. Der von SPD und Grünen geladene Rechtsprofessor, der schon im Dezember 2010 erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit formuliert hatte, kam spätabends dran, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Selbst die Bestätigung dieser Rechtswidrigkeit durch das Verwaltungsgericht Stuttgart ficht die FDP-Fraktion nicht an: Dieser Umstand habe "auf das Ergebnis des Untersuchungsausschusses keinen unmittelbaren Einfluss". Denn "der Einsatz stand in der Verantwortung des Polizeiführers". War es nicht Bundesparteichef Christian Lindner, der gerade erklärte hatte, der nordrhein-westfälische Innenminister würde, hätte er nur einen Funken Anstand in sich, angesichts der Versagens in Köln seinen Hut nehmen? Außerdem erschließt sich Kern gar nicht, warum Mappus im Herbst vor gut fünf Jahren Interesse "an einer Eskalation der Situation im Schlosspark hätte haben sollen". Es sei doch klar gewesen, "dass hiervon vor allem die damalige grüne Opposition profitieren würde, die die Lage entsprechend anheizte".

Löffler ist bekannt für seine oft spezielle Sicht der Dinge

Auch Löfflers Geschichtsschreibung hat es in sich: Der direkt gewählte Stuttgarter CDU-Abgeordnete ist selbst in der eigenen Fraktion bekannt für seinen speziellen Blick auf viele Dinge. Er sieht keine Verantwortung bei Mappus und Rech, dafür aber "massive Einflussnahmen durch die Vertreter der Grünen-Fraktion und der politischen Führung des Staatsministeriums auf die baden-württembergische Justiz". Vor allem hat er Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch im Visier, die "sich in einem Schreiben an den Justizminister aus Anlass laufender Strafermittlungen für den Sohn ihres Zweitkandidaten verwendet" habe. Spitzfindig stellt er mit dem nächsten Satz eine Verbindung zwischen Brief und Fortgang her: "Das Verfahren wurde später eingestellt."

Löffler, selbst Jurist, lässt sich auch umfangreich über "gezieltes Durchstechen von Informationen" aus dem Ausschuss an Medienvertreter aus. Schon die Einsetzung des zweiten Gremiums basierte "auf Informationen, welche nur in rechtswidriger Weise an die Öffentlichkeit gekommen sein konnten", schreibt er im Minderheitsvotum seiner Fraktion zum Abschluss der Ausschussarbeit. Und dann schlägt er wieder einen weiten Bogen – hin zu einer weiteren versuchten Unterstellung: Inwieweit öffentlicher Druck "dazu geführt hat, dass das Amtsgericht in Stuttgart eine Änderung in der Geschäftsverteilung vornahm, durch welche – entgegen dem Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters – Verfahren gegen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 einem anderen als dem ursprünglich vorgesehenen Richter zugewiesen wurden, konnte nicht geklärt werden".

Schon 2011 hatten Grüne und Sozialdemokraten in ihrem Minderheitsvotum zum Abschluss des ersten Untersuchungsausschusses klar geurteilt: "Ministerpräsident Mappus ist mit seiner Entscheidung für den vorgezogenen Polizeieinsatz seinem Amtseid nicht gerecht geworden." Er habe "dem Land großen Schaden zugefügt". Diesmal meinen sie, weitere Indizien dafür zusammengetragen zu haben, dass schon im August 2010 mit dem Baggerabriss am Nordflügel eine "Erwartungshaltung" entstand, "die in den Folgewochen bei mehreren Anlässen vom damaligen MP Mappus immer wieder genährt wurde". Es sei "politischer Wille" der CDU/FDP-Koalition gewesen, die Bäume im Schlossgarten bis zu Mappus' Regierungserklärung am 7. Oktober zu fällen.

Ungehört verhallten die Aufforderungen von Grünen und SPD an die Opposition, sich wie Winfried Kretschmann in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident bei den Opfern des Polizeieinsatzes wenigstens mit gut fünfjähriger Verspätung zu entschuldigen. Der Obmann der Sozialdemokraten im Ausschuss, Sascha Binder, kritisierte, dass die CDU noch immer nicht bereit sei, "Fehler zuzugeben und aufzuarbeiten", aber das liege wohl in ihrer DNA. Und in der Tat könnte eine Formulierung, die Armin Laschet nach den Kölner Übergriffen ganz besonders auf die Palme brachte, wortwörtlich von Rech oder Mappus sein: Die Politik trage "keine operative Verantwortung". Das sei eine Binsenweisheit, so der CDU-Oppositionsführer, der 2017 Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen werden will, und zugleich offenbare sich in diesem Satz ein "erschreckendes Amtsverständnis". Eines allerdings, das im Herbst 2010 für Baden-Württembergs schwarz-gelbe Landesregierung selbstverständlich war. 


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5 Kommentare verfügbar

  • Peter S.
    am 29.01.2016
    Antworten
    Ich kann nur sagen, daß das in dem sehr guten Artikel beschriebene Verhalten von CDU und FDP mich die nächsten Jahrzehnte abhalten werden auch nur ein einziges Kreuz bei diesen Parteien zu machen. Egal bei welcher Wahl.
    Und ich war Jahrzehnte deren Klientel. (ausser bei F.J. Strauß :-)
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