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Scharfmacher

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Seit Jahresbeginn gelten für Ausländer neue Regeln: Sie müssen Deutschland verlassen, wenn sie straffällig geworden und zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt worden sind. Dennoch wird nach den frauenverachtenden Übergriffen in der Silvesternacht nach weiteren Gesetzesverschärfungen gerufen.

Für CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf gibt es "überhaupt nur eine Konsequenz" aus den Ereignissen in Köln, Hamburg, Stuttgart und anderswo: "Diese Menschen müssen schnellstmöglich in ihrer Heimat zurückgeführt werden." Der Jurist weiß, was er sagt, wenn er derart auf die Tube drückt. Schließlich war er Richter am Verwaltungsgericht in Sigmaringen, woran er nur zu gerne erinnert. Allerdings sind damals, in den Neunzigerjahren, vor allem Unionspolitiker – getrieben von den rechtskonservativen Republikanern – schon einmal nicht willens gewesen, die richtigen Antworten darauf zu finden, dass Hundertausende Menschen in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten.

Natürlich weiß der Herausforderer von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dass das, was er unter schnellstmöglicher Rückführung versteht, gar nicht möglich ist. Bis wohin soll der Rechtsstaat gegenüber mutmaßlichen Straftätern seine Standards absenken? Sollen Verdächtige einfach ausgeflogen oder über die Grenze nach Österreich oder die Schweiz verbracht werden? Soll dieses "schnellstmöglich" selbst für jene gelten, denen in ihrer alten Heimat womöglich die Todesstrafe droht? Fragen über Fragen, die schwer wiegen, die aber nach Besonnenheit und Umsicht verlangen, um nicht wie damals bei der Landtagswahl 1992 vor allem wieder Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten zu lenken.

Die anstehenden Landtagswahlen trüben den Blick

Aber der Drang zurück an die Macht trübt den Blick auf unbequeme Fakten, und dies nicht nur in Stuttgart, sondern auch anderswo, zum Beispiel in Mainz. Julia Klöckner, Wolfs CDU-Pendant in Rheinland-Pfalz, ätzt gegen "das rot-grüne Multikulti-Larifari". Dessen Konsequenz ist für sie, "dass jeder als ausländerfeindlich gebrandmarkt wurde, wer Kritik geübt hat an denjenigen, die ein überkommenes Frauenbild haben". Belege für diese erstaunliche Wahrnehmung dürften zwar ähnlich rar sein wie Muslime bei der Mainzer Fasnet, macht aber nichts. Stattdessen greift Klöckner, die da und dort schon als mögliche Merkel-Erbin gehandelt wird, zu raschen Lösungen, die keine sind: Jeder Täter, der zu einer Strafe ohne Bewährung verurteilt wird, müsse sogleich abgeschoben werden. In seriösen Juristenportalen taucht da umgehend die Frage auf, ob Richter und Richterinnen eine solche Regelung dann nicht bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen hätten.

Das Rezept allzu vieler Politiker und -innen: Lieber keine Details und Differenzierungen, lieber alles in einen Topf und kräftig rühren. CDU-Landeschef Thomas Strobl, auch er ein Jurist, hat gemeinsam mit einigen anderen Unions-Experten jene Verschärfung des Ausländerrechts erkämpft, die am 1. Januar in Kraft trat. Statt im Zusammenhang mit den frauenfeindlichen Ausschreitungen genau darauf und auf seine Weitsicht zu verweisen, glaubt Strobl offenbar nicht daran, dass seine in Gesetzestext gegossenen Forderungen irgendetwas bringen. Als einer der Ersten reiht er sich stattdessen in die Phalanx jener ein, die jetzt "schnelles Handeln" verlangen: Das Vertrauen in den Rechtsstaat müsse durch Gesetzesverschärfungen untermauert werden.

Warum nicht erst einmal die vorhandenen anwenden? Aktionismus spült die Frage weg. Die Große Koalition beschließt am Dienstag in Berlin, dass Ausländer, die "wegen Taten gegen die körperliche Unversehrtheit, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht oder wegen Eigentumsdelikten in Serie zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt sind", künftig mit Ausweisung zu rechnen hätten. Prompt melden sich Praktiker zu Wort mit dem Hinweis, dass dies längst möglich sei, wenn bestehende Regelungen konsequent angewendet würden.

Auch SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid, noch ein Jurist, ein promovierter sogar, wünscht sich dringend eine rasche Abschiebung von straffällig gewordener Flüchtlinge, und zwar noch vor Prozess und Urteil. Nirgendwo in Deutschland dürften Frauen Freiwild sein, sagt er, und dass ihn als Vater einer kleinen Tochter das Thema persönlich beschäftige. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht, ohne sich allzu lange beim Kleingedruckten aufzuhalten, gleich ganz pauschal "das Bleiberecht verwirkt", sobald Flüchtlinge straffällig werden. Anders als seine Parteifreunde auf Bundesebene wäre der grüne Wahlkämpfer sogar zu entsprechenden Gesetzesänderungen bereit. Immerhin, er verweist auf Grundgesetz und internationale Verträge: Drohten im Heimatland Folter oder Tod, könne niemand abgeschoben werden. 

Zur Erinnerung: Es gilt das Grundgesetz und internationale Verträge 

Genau daran erinnert Pro Asyl seit Tagen eindringlich. Auch für Straftäter seien "menschenrechtliche Garantien" zu beachten, heißt es in einer im Internet verbreiteten Erklärung. Das internationale Recht verbiete die Abschiebung, wenn im Herkunftsland schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen Praxis sind: "Besteht im Herkunftsland die Gefahr von Folter, so darf die betroffene Person aufgrund des absoluten Folterverbots nach der Europäischen Menschenrechtskonvention auf keinen Fall in dieses Land abgeschoben werden."

Statt immer neue Ideen in die Debatte zu werfen, müsste vor allem sprachlich Klarheit geschaffen werden, nicht zuletzt bei den Begriffen Abschiebung und Ausweisung. Abgeschoben werden Asylbewerber, deren Antrag negativ beschieden wurde. Tatsächlich scheitert dies häufig nicht daran, dass sich die betroffenen Flüchtlinge der Ausreise unter Zwang entziehen, sondern vor allem an fehlenden Papieren oder an fehlenden zwischenstaatlichen Abkommen über eine Wiedereinreise.

Ausgewiesen wird nach den schärferen gesetzlichen Regelungen, wer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt ist. Deutschland tatsächlich verlassen haben die Betroffenen damit aber noch längst nicht. Sollte unter den Tätern in Köln, Hamburg oder Stuttgart etwa ein Marokkaner sein, müsste er nach den geltenden Abkommen ausreisen. Die Behörden in Rabat bestehen ihrerseits aber auf einer eingehenden Prüfung, weil sie viele Migranten als afrikanische Transitflüchtlinge einstufen, die lediglich angeben, Marokkaner zu sein, oder weil sie den Kontinent nur über Marokko verlassen haben.

Schnellstmöglich sieht jedenfalls anders aus. Ein Bleiberecht, das verwirkt worden sein soll, müsste erstens erst einmal gelten und zweitens seine Beendigung durchgesetzt werden. Über Selbstverständlichkeiten wie diese sehen CDU und FDP – die Regierungsparteien vor sich hertreibend – aber ohnehin geflissentlich hinweg und zünden die nächste Stufe. Mit der Forderung, die Maghrebstaaten zu neuen sicheren Herkunftsländern zu erklären.


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11 Kommentare verfügbar

  • someoensdaughter
    am 19.01.2016
    Antworten
    "Heute gab es eine Razzia und Überprüfung solcher Menschen im Kölner Marokkoviertel. Dabei wurde kein Verbrechen registriert, sonder lediglich der "illegale Aufenthalt". Diesen Menschen sollten wir helfen wie Parksündern oder zu schnellem Fahren."

    Abgesehen davon, dass es kein "Kölner…
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