KONTEXT:Wochenzeitung
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Schöne Bescherung

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Ein Bündnis von Grünen und CDU setzt im Stuttgarter Doppelhaushalt 2016/17 neue Akzente in der Kultur- und Flüchtlingspolitik. Doch auch weiterhin heißt es für viele, die auch etwas vom Kuchen verdienen: Kosten steigen, Zuschüsse nicht.

Das gibt es nirgendwo sonst: Nach angedrohten Kürzungen im Kulturbereich diskutierten von 2011 bis 2013 rund 200 Bürger, Vertreter von Kulturinstitutionen und der Stadt zwei Jahre lang Leitlinien der Stuttgarter Kulturpolitik. Dabei kam zutage, dass vielen Kultureinrichtungen aufgrund der Preisentwicklung auch so schon immer weniger Mittel zur Verfügung standen. Die städtischen Zuschüsse des Württembergischen Kunstvereins zum Beispiel waren seit 1982 nicht gestiegen: bei inzwischen doppelt so hohen Kosten.

Eine der zentralen Forderungen lautete daher, diese strukturelle Unterfinanzierung zu beheben. Zwar waren die Mittel für einzelne Einrichtungen von Zeit zu Zeit angepasst worden, aber immer nur abhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Gemeinderat und nicht angepasst an die Kostensteigerungen. Eine "Dynamisierung der Förderung", hieß es im Abschlussdokument des Kulturdialogs, sei in Zukunft unabdingbar.

Es sorgte daher für einige Irritationen, als das Thema im ersten Haushaltsentwurf, den Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Finanzbürgermeister Michael Föll am 24. September in den Gemeinderat einbrachten, gar nicht vorkam. Hatte Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann dem Rat nicht empfohlen, den Etat der personalintensiven Einrichtungen gegenüber 2013 um 15 Prozent zu erhöhen? Bei den anderen sollten die Zuschüsse <link http: www.stuttgart.de img mdb item external-link-new-window>laut Eisenmanns Vorlage nach einem Stufenmodell um 2,5 bis 15 Prozent wachsen.

Gleich am nächsten Tag übten die sachkundigen Bürger im Kulturausschuss heftig Kritik: Von den 1,31 Millionen Euro, die Eisenmann veranschlagt hatte, blieben in Kuhns Entwurf nur 438 000 jährlich, also 876 000 übrig. Sollten etwa die Schauspielbühnen, das Musikfest der Bachakademie und das Neue-Musik-Festival Eclat schon wieder leer ausgehen, die bereits beim letzten Mal unberücksichtigt geblieben waren?

Wieder Kulturpolitik nach Gutsherrenart?

Stattdessen sah der Entwurf eine Erhöhung um 100 000 Euro für Eric Gauthiers Tanzfestival Colours und einen Zuschuss für ein Lichtkunstfestival der Kulturregion vor. Kulturpolitik nach Gutsherrenart, der Bürgermeister entscheidet? Am 14. Oktober <link http: www.kontextwochenzeitung.de kultur die-kultur-ausgehungert-3193.html external-link-new-window>hat Kontext darüber berichtet, zwei Tage danach tagte erneut der Kulturausschuss.

Eine Woche später sprachen sich alle größeren Parteien im Gemeinderat einhellig dafür aus, Eisenmanns Vorschläge zu befolgen: SPD und Freie Wähler forderten, diese in voller Höhe zu übernehmen. SÖS-Linke-Plus wollten anstelle des Stufenmodells auch für die kleineren Kultureinrichtungen eine Erhöhung um 15 Prozent.

CDU und Grüne gingen ebenfalls über Eisenmanns Vorschläge hinaus. Ihre Anträge unterschieden sich nur in Details. So wollte die CDU Mundarttheater, die Jazz-Initiative und das ehemalige Wohn- und Atelierhaus des Malers Adolf Hölzel gefördert wissen, die Grünen unter anderem das Solo-Tanz-Theater-Festival, das Theater Tredeschin, das Fantasy-Festival Dragon Days und den Poetry-Slam-Verein Ausdrucksreich. Bald darauf wurde bekannt, dass CDU und Grüne eine Vereinbarung unterzeichnet hatten, die ihnen bei den Haushaltsberatungen die Mehrheit sicherte.

In der letzten Gemeinderatssitzung vor Weihnachten hieß es nun: Schwarz-Grün gegen den Rest der Welt. Dabei konnte die schwarz-grüne Mehrheit ihre Vorstellungen fast restlos durchsetzen, darunter auch alle beantragten Zuschüsse für die Kultureinrichtungen. So kommen die Schauspielbühnen mit 397 000 Euro im Jahr, Theaterhaus, tri‑bühne, Gauthier, Theater der Altstadt und das Renitenztheater, das Kammerorchester, das Musikfest und das Festival Eclat alle in den Genuss einer Erhöhung. Mehr als vorher erhalten auch das Literaturhaus, der Jazzclub Bix, eine Reihe von Chören und Musikensembles, drei kleinere Theater sowie das Haus des Dokumentarfilms, das Filmbüro und der Verein Wand 5, der den Stuttgarter Filmwinter veranstaltet.

Viele kleine Kultureinrichtungen gucken wieder in die Röhre

Neu in die Förderung aufgenommen werden darüber hinaus Kulturprojekte in Musikclubs. Die Musikschule bekommt zwei neue Stellen. Die städtischen Beiträge für das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), die 1993 eigentlich vertragswidrig halbiert worden waren, werden nun stufenweise angehoben. 429 600 Euro wären nötig, um zum vereinbarten Niveau zurückzukehren. Über Kuhns ersten Vorschlag hinaus sollen sie nun 2016 um 200 000 und 2017 um 300 000 Euro anwachsen.

Frohes Fest also für die Kultur? Alle, die nicht in den Anträgen von Grünen und CDU enthalten waren, gucken allerdings erneut in die Röhre. Eisenmanns Stufenmodell ist wieder in der Versenkung verschwunden. Rund 100 zumeist kleinere Einrichtungen, vom Kunstraum Oberwelt bis zum Kommunalen Kontakttheater, müssen ein weiteres Mal auf Anpassungen verzichten. Zwischen 14,25 und 28 890 Euro variieren die Erhöhungen, die in Eisenmanns Liste vorgesehen waren: in den meisten Fällen drei- bis niedrige vierstellige Beträge, die jedoch den Einrichtungen, die in der Regel mit viel Engagement ihre Programme erarbeiten, nun fehlen. Insgesamt geht es um jährlich 358 373 Euro: bei einem Haushaltsvolumen von 2,9 Milliarden eine verschwindend geringe Summe.

Das Figurentheaterzentrum Fitz!, das Künstlerhaus und der Württembergische Kunstverein (WKV) hatten wiederum im letzten Doppelhaushalt eine Erhöhung zugesprochen bekommen, die aber weit unter den anvisierten 15 Prozent lag. Dem Künstlerhaus fehlen auf diese Weise nun 49 000 Euro: Bei einem Etat von 425 000 Euro, von dem allerdings 190 000 Euro als Miete an die Stadt zurückfließen, bedeutet dies unterm Strich Mindereinnahmen von 20 Prozent. Beim WKV mag der Differenzbetrag von 26 700 Euro angesichts eines Etats von rund 1,35 Millionen weniger dramatisch erscheinen. Aber die 45 000 Euro Erhöhung der letzten Runde wurde von Tariferhöhungen fast vollständig aufgefressen: Fürs Programm bleibt kaum etwas übrig.

Kultur ist kein Luxus und keine Nebensache. Kultur fördert den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Für kulturelle Bildung – das Programm kubi-S – sind im Haushalt 50 000 Euro pro Jahr vorgesehen, ebenso für interkulturelle Projekte. Unstrittig bleibt auch die Sanierung der Wagenhalle sowie eine Aufstockung für das Deutsch-Türkische Forum.

Integration heißt das Zauberwort, auch in der Flüchtlingsfrage: Wie ist es zu schaffen, die vielen Neuankömmlinge so einzugliedern, dass beide Seiten zufrieden sein können? Bereits am 22. Oktober hatten die Grünen die Verwaltung aufgefordert, zu eruieren, wo sich junge Menschen im Freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) in der Flüchtlingshilfe betätigen und welche Arbeitsgelegenheiten (AGH) die Flüchtlinge in städtischen Einrichtungen selbst wahrnehmen könnten. Wie der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Winter erklärt, soll eine Kinderbetreuung den Frauen ermöglichen, an Sprachkursen teilzunehmen, während Männer Gelegenheit erhalten, gegen eine Aufwandsentschädigung von 1,05 Euro pro Stunde einer Halbtagstätigkeit nachzugehen.

Flüchtlinge sollen in städtischen Einrichtungen arbeiten

Dieser Vorschlag stieß bei fast allen Parteien auf große Zustimmung. Die Opposition, ein unwahrscheinliches Bündnis von SPD, SÖS-Linke-Plus, Freien Wählern, FDP und Stadtisten, forderte, den Schlüssel in der Flüchtlingsbetreuung von 1:136 auf 1:120 zu verbessern. 2016 seien dafür 575 000 Euro vorzusehen, 2017 dann 1,1 Millionen. FSJ-Stellen und 400 AGH-Stellen sollten geschaffen werden. CDU und Grüne bremsten. Nun sind 200 000 Euro für die freien Träger sowie 200 Arbeitsgelegenheiten und 50 FSJ-Stellen vorgesehen, die zusammen 900 000 Euro kosten. Insgesamt rechnet Michael Föll für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen in den nächsten zwei Jahren mit Aufwendungen von 150 Millionen Euro.

So weit, so gut. Allerdings driftet die Stadtgesellschaft auch aus anderen Gründen dramatisch auseinander: Die größte Sorge der meisten Stuttgarter ist bezahlbarer Wohnraum. In den letzten fünfzehn Jahren hat die Stadt Grundstücke im Wert von vielen Hundert Millionen Euro verkauft, die ihr nun fehlen, um wieder in die Wohnbauförderung einzusteigen. Sie hat damit die Bodenspekulation angeheizt und die Grundstückspreise und Mieten in die Höhe getrieben. Jeder Sechste im Talkessel ist wegen der hohen Mieten bereits überschuldet. Einige landen auf der Straße, andere sind gezwungen, in die wenigen kostengünstigeren Wohnungen in Randlagen umzuziehen. Wohnen in Stuttgart ist ein Luxus geworden.

Dies ist mittlerweile allen klar. OB Kuhn will, dass jährlich 1800 neue Wohnungen gebaut werden, davon 600 gefördert und 300 Sozialwohnungen. Dieses Ziel wurde 2014 jedoch weit verfehlt. Im neuen Doppelhaushalt sind für Wohnbauförderung gerade mal drei Millionen Euro vorgesehen. In den 1990er-Jahren, als zum letzten Mal viele Menschen ins Land kamen, entstanden in Stuttgart zum Teil mehr als 1000 Sozialwohnungen im Jahr, von der Stadt gefördert mit bis zu 34 Millionen Euro. Nun soll der Sozialwohnungs-Anteil auf städtischen Grundstücken wie dem Feuerbacher Schoch-Areal stark angehoben werden. Aber die eigenen Flächen sind begrenzt. SÖS-Linke-Plus hatten gefordert, 25 Millionen im Jahr für den Erwerb von Grundstücken bereitzustellen. Dies hat der Gemeinderat abgelehnt.

Die Ersparnis könnte der Stadt eines Tages als Folgekosten wieder auf die Füße fallen. Wenn die Menschen keine bezahlbare Wohnung in Stuttgart finden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ins Umland auszuweichen. Dort sind zwar noch ausreichend Grundstücke vorhanden, aber dort befinden sich nun mal nicht die Arbeitsplätze. Der Verkehr, den die S-Bahn schon jetzt nicht bewältigt, wird weiter zunehmen. Und damit auch Stickoxide und Feinstaubwerte: sicher nicht im Sinne einer grünen Verkehrspolitik.


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2 Kommentare verfügbar

  • Stefan Urbat
    am 23.12.2015
    Antworten
    Ein Problem, das kaum adressiert wird, ist auch die absurde Subventionierung des Dreispartenhauses (Staatstheater), v.a. der Oper desselben, die pro Jahr sowohl von der LHS als auch dem Land BW jeweils 45 Mio. Euro pro Jahr und damit den Löwenanteil des gesamten Kulturhaushalts der LHS auffrisst…
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