Aber schon damals hätte ein Blick zurück Klarheit bringen können: Im Herbst 2002 wollte FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle vor der Bundestagswahl unbedingt mit Gerhard Schröder und Edmund Stoiber im gemeinsamen Studio von ARD und ZDF auftreten. Die Öffentlich-Rechtlichen lehnten ab. Westerwelle klagte - und verlor. Die Richter am Kölner Verwaltungsgericht waren der Ansicht, aus dem Recht der Parteien auf Chancengleichheit sei keineswegs automatisch ein Anspruch auf Gleichbehandlung abzuleiten in dem Sinne, dass sie alle in gleichem Umfang zu Wort kommen müssten.
Auch deshalb hatte der SWR im März 2011 mit Roland Hamm den Spitzenkandidaten der außerparlamentarischen "Linken" zum Schlagabtausch mit Mappus, Schmid, Kretschmann und Ulrich Goll (FDP) geladen. Zeitgleich sah sich der Sender außerdem mit einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts Stuttgart konfrontiert, die rechtsgerichteten Republikaner in der allgemeinen Wahlberichterstattung ausreichend zu berücksichtigen. "Mit Ausnahme der kommunistischen 'Linken' kommen die Nicht-Landtagsparteien im SWR praktisch nicht vor", hatte Rep-Landeschef Ulrich Deuschle bemängelt. Allerdings ging es gar nicht in die traditionelle Elefantenrunde, sondern um eine den "Parteien ÖDP, PBC oder Piraten vergleichbare Darstellung". Tatsächlich wurde am 25. März, zwei Tage vor der Wahl, im "Dritten" um 21.45 Uhr ein entsprechender Beitrag über die "Republikaner" ausgestrahlt, die am Ende bei 1,1 Prozent landeten.
Mit einem Grün-Rot-Blindfleck ist schlecht zu sehen
Von Kretschmann jedenfalls hat nie jemand vernommen, dass er auch nur auf die Idee gekommen wäre, sich ins Duell einzuklagen. Die damalige Grünen-Landesvorsitzende Silke Krebs reagierte auf den Grün-Rot-Blindfleck des Senders ebenfalls gelassen und forderte die Parteibasis auf, einfach die SWR-Mail-Postfächer zu bestücken. Und als sie nach dem Wahlsieg als Medienministerin in die Villa Reitzenstein einzog, wusste sie ihre Möglichkeiten zu nutzen: Die Freiburgerin ist hauptverantwortlich für jene Novelle des Staatsvertrags, die die Reform der längst überholten Gremienzusammensetzung eingeleitet hat, eine Quote zur Beseitigung des Männerüberhangs eingeführt und ein Redaktionsstatut für mehr Mitbestimmung verankert hat. Auch tagt der Rundfunkrat neuerdings stets öffentlich. Interessierten Kreisen ermöglicht das, (Vor-)Urteile dem Praxistest zu unterziehen. Zum Beispiel jenes, dass beim SWR ausgerechnet in der öffentlich-rechtlichen Kernkompetenz der politischen Berichterstattung zu viele Eunuchen das Sagen hätten. Genau deshalb, heißt es in den Reihen der internen Kritiker, gebe es in sensiblen Einschätzungsfragen so viele Pannen.
Der Wackelkurs eines Hauses, in dessen Leitbild das Thema Politik praktisch nicht vorkommt, führte über die Jahre zu einer schleichenden Akzentverschiebung. Kochen und Schunkeln haben Vorrang. Erst die neue Struktur mit der halbstündigen "Landesschau aktuell" um 19.30 Uhr gebot dieser Entwicklung ein wenig Einhalt. Dabei hatte Intendant Peter Boudgoust, unter Lothar Späth und Erwin Teufel Beamter im Staatsministerium, im Spätherbst 2010 ein ehrgeiziges Selbstverständnis formuliert: "Hinter die Politisierung durch die Schlichtung", sagte der Intendant damals in einem Zeitungsinterview, werde der Sender nicht zurückfallen. Der SWR hatte die S-21-Schlichtung live übertragen und in Harald Kirchner einen so kundigen wie kritischen Reporter.
"Lieber ein bisschen Politik an viele Leute bringen"
Das alles jedoch fand vor dem Regierungswechsel statt. Danach schien oberstes Ziel, keinesfalls in den Verdacht unbotmäßiger Grün-Rot-Nähe zu kommen. Die Liste einschlägiger Beispiele ist überlang. Als Fritz Kuhn im Oktober 2012 zum ersten grünen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt wurde, lief im SWR das Sonntagabend-Standardprogramm, mit dem Hinweis, über die Grenzen Stuttgarts hinaus interessiere das Ereignis kaum. Abteilungsleiterin Strautmann übersetzte die Boudgoust-Vorgabe mit minimaler Ambition: "Lieber ein bisschen Politik an viele Leute bringen, statt eine Sendung zur Primetime unter Ausschluss der Öffentlichkeit anzubieten."
Wenn das Drumherum mehr zählt als der Kern, können Ideen reifen, die sich eigentlich verbieten müssten. Wie jene, anstelle des Duells vor dem Wahlgang im März 2016 ein "Triell" zu veranstalten - mit CDU-Herausforderer Guido Wolf, mit Kretschmann und Schmid. Dass letzterer gar nicht nach dem Amt des Ministerpräsidenten greift, war den Verantwortlichen offenbar entgangen. Nach ein paar bewegten Wochen und viel Spott in Fachkreisen musste das in Deutschland bis dahin noch nie realisierte Projekt beerdigt werden.
7 Kommentare verfügbar
Barolo
am 22.12.2015Nettelbeck, wo macht Maaßen denn Werbung für die AfD?
Den NSU schützt er eigentlich nicht, nur das NSU Märchen. Aber das machen ja alle: Ziercke, Range, KDF als von Merkel…