Wovon sie nicht erzählt, sind die "Wettbewerbssituationen", die "Konkurrenzkämpfe", die "Starallüren der Einheitsführer" und vor allem der "übertriebene Corpsgeist", den einzelne Beamte, wie aus den Akten hervorgeht, beschrieben haben. Sabine Rieger, jene LKA-Kriminalhauptkommissarin, die die Heilbronner Ermittlungen nachgearbeitet hat, hält dem Einheitsführer der BFE 523, Thomas Bartelt, diese Aussagen 2011 auch vor. Der bestätigt zumindest die "Wettbewerbssituation", beschreibt Rieß als den dafür Verantwortlichen. Dem sei er, Bartelt, angesichts seiner dienstlichen Vita "ein Dorn im Auge" gewesen.
Nichts gewusst von rechten Tendenzen?
Aber es gibt noch ganz andere interne Schilderungen, die allesamt nicht öffentlich auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft wurden: Berichte, dass in Böblingen radikale Musik auf internen Festen gang und gäbe war, das einschlägige Grußformeln verwendet wurden, über Dresscodes, T-Shirts mit bestimmten Symbolen unter der Uniform und Springerstiefel, über ausländerfeindliche Äußerungen und Glatzenschneiden im Schlaf. Bekanntlich war Timo Hess, einer der bisher ermittelten baden-württembergischen Beamten mit Ku-Klux-Klan-Vergangenheit, der Gruppenführer am 25. April 2007 in Heilbronn.
Im vergangenen Juni machte der frühere Landespolizeipräsident Wolf-Dieter Hammann als Zeuge im Landtag jedenfalls eine bemerkenswerte Aussage zur rechten Fama: "Ich habe die feste Überzeugung und Hoffnung, dass es in der baden-württembergischen Polizei keinen strukturellen Rassismus gibt – das wäre furchtbar." Hoffnung? Immerhin hat Hammann schon in einem 2012 vorgelegten Bericht 25 Vorgänge in zehn Jahren belegt. "Das hätte ich mir niemals vorstellen können", bekannte er damals.
Die Kiesewetter-Freundin will im Ausschuss von rechten Tendenzen nichts wissen. Ohnehin sei über Politik kaum geredet worden. Sie antwortet immer in kurzen Sätzen. So, als wollte sie sich auf keinen Fall verplappern. Ähnlich wie Romy Stricksner, die Mitte Oktober auch einigermaßen verhuscht für eine 32-jährige Frau auf dem Zeuginnenstuhl saß und ebenfalls so wenig wie möglich preisgeben mochte. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Nik Sakellariou, führt die Performance treuherzig auf die Erschütterung zurück. "Hautnah" sei der Kummer zu spüren, sagt der Sozialdemokrat nach Münnings Vernehmung. Tatsächlich brechen beide Frauen in Tränen aus, Stricksner, als die danach gefragt wird, wie es dazu kam, dass sie Kiesewetter am Tattag ihre Schutzweste geliehen hatte.
Die Bereitschaft fehlt, nachzufragen
Am Umgang der Abgeordneten mit den beiden Zeuginnen zeigt sich wieder einmal, wie den Ausschussmitgliedern die Zeit zur Vorbereitung – angesichts der Aktenberge – und die Bereitschaft, nachzufragen, gleichermaßen fehlt. Denn: Laut zahlreichen Hinweise aus dem Jahr 2011 hatten beide längst kein ungetrübtes Verhältnis mehr zur Ermordeten. Aus den LKA-Vernehmungen geht hervor, wie rau der Ton war unter den Bereitschaftspolizistinnen. Kiesewetter habe sich gekränkt gefühlt und sich geärgert, weil sie von Stricksner schon mal als "Zugschlampe" bezeichnet worden sei. Bartelt wiederum sprach von einem "anfänglich ruhigen, introvertierten Typ", sein Stellvertreter dagegen von einer "sehr lebenslustigen jungen Frau", die "gerne mal Party machte".
Im Ausschuss beschrieben alle inzwischen gehörten Kollegen Kiesewetter als freundlich und umgänglich. Tatsächlich gab es in Böblingen immer wieder Probleme, mit einem aus ihrer Einheit mochte sie nicht mehr zusammenarbeiten, eine anderer nervte mit seinen SMS. Auf jeden Fall wollte sie weg nach Karlsruhe in den Einzeldienst, in der Nähe einer Tante in Philippsburg und mit einem Kollegen eine neue WG gründen, mit dem ihr ein Verhältnis nachgesagt wurde. Alles Gerüchte, wie sie immer entstehen, wenn Menschen in Gruppen zusammenarbeiten? Genauso wie die Bedrohung Bartelts durch die Mafia, die Möglichkeit, dass Kiesewetter getötet worden sein könnte, um ihn zu treffen?
2 Kommentare verfügbar
Blender
am 16.11.2015