Warum es fünf Jahre bis zur ersten Verhandlung gedauert hat und dadurch hinsichtlich vieler Straftaten, die jetzt noch ans Licht kommen könnten, bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist, kann nicht so recht nachvollzogen werden. Denn nach Einreichung der Klagen Ende Oktober 2010 beantragte die Rechtsanwaltskanzlei Dolde und Partner für das beklagte Land schon am 13. 12. 2010 Klageabweisung, da alles rechtmäßig zugegangen sei. Am 14. 2. 2011 übersandte sie eine umfangreiche Stellungnahme. (Übrigens wird darin unter anderem eingeräumt, dass auch Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren von den Maßnahmen der Polizei betroffen gewesen seien. Ein interessantes Detail, denn der damalige Chefermittler, Oberstaatsanwalt a. D. Bernhard Häußler, hatte als Zeuge im Wasserwerferprozess genau dies bestritten und behauptet, alle von Pfefferspray-Einsätzen betroffenen Personen seien älter als 18 Jahre gewesen.)
Den Einsatz von Wasserregen begründeten die Rechtsanwälte damit, dies sei nötig gewesen, "um ein gefährliches Gedränge zu vermeiden". Und: "Treffer im Bereich des Kopfes sind ein unvermeidbares, mit dem Einsatz eines Wasserwerfers verbundenes Verletzungsrisiko." Dennoch vergingen nach diesem Schriftsatz gut neun Monate, bis Oberstaatsanwalt Häußler dem Gericht mit Schreiben vom 2. 12. 2011 mitteilte, die Ermittlungsverfahren würden "mit Hochdruck betrieben". Das Verwaltungsgericht ordnete daraufhin am 10. 1. 2012 die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss dieser Ermittlungen an, verbunden mit der optimistischen Annahme, diese seien binnen eines Jahres beendet. Zwar kam es später zu rechtskräftigen Strafbefehlen gegen Mitglieder der Wasserwerferstaffel genau wegen der Straftaten zum Nachteil der Kläger. Das gab aber keine Veranlassung, spätestens jetzt das Verfahren wieder aufzunehmen. Denn noch war das Verfahren gegen zwei Einsatzabschnittsleiter (Wasserwerferprozess) beim Landgericht offen.
Grün-Rot wollte lieber aussitzen
Hätte Rechtsanwalt Mann nicht bereits vor Beginn des Wasserwerferprozesses am 3. 3. 2014 mit ausführlicher Begründung auf 50 Seiten beantragt, das Verfahren wieder aufzunehmen, es wäre wohl weiter nichts mehr geschehen. Denn ausgerechnet das Land, jetzt unter grün-roter Regierung, hielt es für richtig, neuerlich zu beantragen, das Verfahren ausgesetzt zu lassen. Und ließ das vortragen durch die nämliche Anwaltskanzlei Dolde und Partner, die einst von der schwarz-gelben Vorgängerregierung mit dem Fall beauftragt worden war. (Genau diese Kanzlei hatte ab 2007 bereits das Land beraten und die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Mischfinanzierung bei der Neubaustrecke nach Ulm konstatiert, war dann im Spätsommer 2010 in einem Gutachten für die Mappus-Regierung zum Ergebnis gekommen, ein Volksentscheid über Stuttgart 21 sei nicht verfassungskonform, und hatte 2011 für Stuttgarts Ex-OB Wolfgang Schuster die Frage positiv beantwortet, ob die finanzielle Beteiligung der Stadt an Stuttgart 21 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.) Nichtsdestotrotz: Das Verwaltungsgericht hob trotz Doldes Widerspruch vom 25. 3. 2014 die Aussetzung der Verhandlung am 13. 6. 2014 auf.
Die Frage, warum es seit diesem Beschluss bis zum ersten Termin weitere 16 Monate dauerte, müsste das Verwaltungsgericht beantworten. Ebenso wie diejenige, warum die Stuttgarter Justiz Besucher und Beobachter von Prozessen, in denen es um den Schwarzen Donnerstag geht, weiterhin behandelt, als seien sie Angehörige krimineller Vereinigungen. <link http: vgstuttgart.de pb external-link-new-window>Wie schon beim Wasserwerferprozess müssen sich Zuhörer auf Leibesvisitationen und die Wegnahme persönlicher Gegenstände einstellen, wie es sonst nur in Verfahren der Fall ist, in denen es um organisierte Kriminalität geht.
Info:
Der Prozess ist vorläufig auf vier Verhandlungstage angesetzt (28. 10., 11. 11., 18. 11., 25. 11., jeweils 10 Uhr, Augustenstraße 5, Saal 5). Zeugen und Sachverständige sind bislang nicht geladen, allerdings sind die Prozessbeteiligten aufgefordert worden, von ihnen gewünschte Zeugen zu benennen. Die im Urteil unterliegende Partei kann Berufung zum Verwaltungsgerichtshof einlegen, falls diese (wovon ausgegangen werden kann) wegen der Bedeutung der Sache zugelassen wird.
6 Kommentare verfügbar
liane
am 24.10.2015"Das ist das Besondere: Wo anderswo politisches Kabarett endet und dem Zuschauer das Weiterdenken selbst überlässt, da bestimmt Schramm, dass das Ganze kein Spaß ist. Und Deutschland sich in einem nur mühsam verdeckten Krieg befinde. Die Gegner heißen nicht Jung gegen Alt, Links…