Frau Öney, wie haben Sie das Wochenende erlebt?
Es war viel los, aber das ist derzeit eigentlich ein Dauerzustand bei uns. Seit dem 5. September sind fast 10 000 neue Flüchtlinge zu uns nach Baden-Württemberg gekommen. Am Sonntag kam dann die Nachricht, dass Deutschland temporär Grenzkontrollen einführt.
Wenn Sie derzeit Nachrichten schauen, wie geht es Ihnen damit?
Ich versuche, das nicht immer so nah an mich heranzulassen, aber das klappt meistens nicht. Ich habe deshalb auch schlaflose Nächte, weil mich das schon mitnimmt.
Etwa, dass die Ungarn Stacheldrahtzäune bauen und Flüchtlinge füttern wie Tiere?
Oder dass 70 Menschen in einem Transporter sterben oder dass schon wieder Hunderte im Mittelmeer ertrunken sind. Diese schrecklichen Nachrichten hören ja gar nicht mehr auf. Der Krieg in Syrien tobt seit vier Jahren. Was dachten denn die Leute, wo die 16 Millionen Syrer hingehen? Wieso tut die UNO nicht mehr, um diesen Krieg endlich zu beenden? Da läuft doch was schief. Als ich jung war, war die UNO für mich Vorbild. Ich wollte da arbeiten, weil ich dachte, das sind die, die auf der Welt für Frieden sorgen. Dafür sorgen, dass es Entwicklungshilfe gibt, dass die Mädchen alle zur Schule können, dass es keine afrikanischen Kinder mit Hungerbäuchen gibt. Ich merke heute fast nichts mehr davon. Das frustriert mich. Früher war mehr Zuversicht.
Aber die Menschen flüchten nicht nur aus Kriegsgebieten hierher.
Es kommen viele aus sicheren Ländern innerhalb des Kontinents Europa, aus dem Westbalkan. Und warum kommen sie hierher? Weil sie dort keine Perspektiven haben. Warum hat sich dort nichts zum Besseren gewendet, trotz der massiven Unterstützung? Es gibt zu viele Menschen, die in Armut leben, zu viele Menschen, die keine Krankenversicherung haben, die keine Arbeit haben, und zu viele, die eine Arbeit haben, von der sie nicht leben können. Egon Bahr ist vor Kurzem gestorben. Er hat mal Aufsehen erregt, als er an einer Heidelberger Schule sagte: "In der internationalen Politik, geht es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um Interessen. Ganz egal was man Ihnen im Geschichtsunterricht sagt." Solange das so ist, wird alles beim Alten bleiben. Und ich als Integrationsministerin in Baden-Württemberg mit dem kleinsten Ministerium der Republik kann das Problem nicht lösen. Jetzt jedenfalls sitzt man in jedem Bundesland da und überlegt sich, wo wir die ganzen Flüchtlinge unterbringen sollen.
Sie sagten vorher: "Was dachten denn die Leute, wo die 16 Millionen Syrer hingehen?" Seit einigen Wochen ist auf jeden Fall sicher bekannt, dass eine große Zahl Flüchtlinge auch in Baden-Württemberg ankommt. Am Wochenende war das der Fall. In den Aufnahmeeinrichtungen herrscht Chaos, neue wurden in aller Eile eröffnet. Haben Sie den Eindruck, Sie sind gut vorbereitet?
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Rolf Steiner
am 18.09.2015