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Wenn der Trafo im Tunnel brennt

Wenn der Trafo im Tunnel brennt
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Ein Unglück kommt selten allein: Innerhalb weniger Tage gerieten fünf Züge der Deutschen Bahn in Brand, es gab mehrere Verletzte. Die Vorfälle lenken den Blick auf Stuttgart 21. Im 60 Kilometer langen Tunnelsystem wäre alles nicht so glimpflich ausgegangen, sagt ein Lokführer.

Das aktuelle Brandtagebuch der Bahn liest sich beunruhigend: Am 27. Juli fing in München eine Intercity-Lok Feuer. Der Lokführer stoppte die qualmende Zugmaschine im Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs. Während der stundenlangen Löscharbeiten am Transformator standen Zug- und S-Bahn-Verkehr in München still. Der Lokführer und ein Polizist mussten mit Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Keine 48 Stunden später brannte es in einem ICE. Der Zug hielt außerplanmäßig im unterfränkischen Iphofen, damit die Feuerwehr den Kabelbrand löschen konnte. Am Abend des 3. August gab es Feueralarm im Stuttgarter Hauptbahnhof. Aus der Klimaanlage des ICE 599 schoss eine Stichflamme. Ursache: ein defekter Kondensator. Nach Mitternacht stand in einem ICE von Dortmund nach München der Mülleimer einer Zugtoilette in Flammen. Zugbegleiter und ein Reisender konnten das Feuer während der Fahrt löschen. Die 250 Fahrgäste mussten in Mannheim zwei Stunden auf einen Ersatzzug warten. Am Morgen des selbigen Tages stoppte ein Interregio-Express im oberschwäbischen Aulendorf wegen Rauchentwicklung. Die Bundespolizei vermutet, dass Öl austrat und auf heißes Metall tropfte, sodass es qualmte.

Flammen, Rauch, Verletzte, Chaos – innerhalb weniger Tage passierte gleich mehrmals das, was nicht nur Reisende, sondern auch die Bahn in Aufregung versetzt. Brennende Waggons und Lokomotiven machen Schlagzeilen, kommen fast immer in den Nachrichten. Und selbst wenn die Unglücke relativ glimpflich abliefen – sie schaden dem Image der Bahn, verringern das Vertrauen in Züge als sicheres Verkehrsmittel.

Zudem sind diese Feuerwehreinsätze Wasser auf die Mühlen der Stuttgart-21-Gegner, die stets vor den Gefahren von Zugbränden im geplanten Tiefbahnhof und seinen unterirdischen Zulaufstrecken warnen. Und die sich nicht damit zufriedengeben, dass das zuständige Eisenbahn-Bundesamt (EBA) das umstrittene Brandschutzkonzept für den Trogbahnhof nach mehrfacher Überarbeitung im Frühjahr dieses Jahres genehmigte.

Die Bahn denkt vor allem an durchgeschmorte Kaffeemaschinen

Zumal Verantwortliche das Thema immer wieder verharmlosten. "Wir haben zwar 50 bis 60 Brände pro Jahr bei der Deutschen Bahn, aber das sind in aller Regel beherrschbare technische Defekte wie eine durchgeschmorte Kaffeemaschine", hatte Klaus-Jürgen Bieger, der Brandschutzbeauftragte der Bahn, in einem Zeitungsinterview im Oktober 2013 behauptet. Echte Brände im Zug seien europaweit die absolute Ausnahme, da es in Schienenfahrzeugen einen hohen Brandschutz nach europäischer Norm gibt, hieß es vom obersten Bahn-Brandschützer auch in der Lenkungskreissitzung einen Monat später.

Die jüngsten Brandereignisse bestätigen Kritiker jedoch in ihrer Sorge um einen funktionierenden Brandschutz beim Bahnprojekt Stuttgart–Ulm. Brennende Trafos und explodierende Kondensatoren erwähnte Brandschützer Bieger nämlich nicht. Dabei ereigneten sich die "Ausnahme"-Brände im Münchner und Stuttgarter Hauptbahnhof unter freiem Himmel und nicht in einem engen Tunnel des Milliardenprojekts. Fahrgäste konnten schnell in Sicherheit gebracht werden, Rettungskräfte waren wenige Minuten nach Alarmierung am Einsatzort. Doch obwohl die giftigen Rauchgase ungehindert abziehen konnten, gab es in München zwei Verletzte.

Ein vergleichbarer Lokbrand im insgesamt rund 60 Kilometer langen Tunnelnetz von Stuttgart 21 wäre nicht so glimpflich ausgegangen. Zugevakuierung und Brandbekämpfung seien unvergleichbar schwieriger als auf freier Strecke, sagt Thilo Böhmer. "Passagiere, Zugpersonal und Rettungskräfte sind im Tunnel in weitaus größerer Gefahr", betont der Lokführer und ausgebildete Feuerwehrmann.

Zwar sieht das Tunnelsicherheitskonzept für Stuttgart 21 vor, dass ein brennender Zug den Tunnel verlassen und gegebenenfalls erst im unterirdischen Hauptbahnhof anhalten soll. Doch diese Sicherheitsoption ist gleich von mehreren, im Notfall nur schwer zu beeinflussenden "Variablen" abhängig. "Sie verlangt nach freien Fahrstraßen in den Bahnhof sowie nach freien Bahnsteiggleisen", erläutert Lokführer Böhmer. Sind sie blockiert, ist dieser Rettungsweg hinfällig.

Was ist, wenn sich die Zugbremsen nicht lösen lassen?

Voraussetzung für eine Notfall-Durchfahrt in den Tunnelbahnhof ist auch, dass alle Antriebssysteme weiter funktionieren. Ein Kurzschluss kann die Stromversorgung unterbrechen, was den Zug automatisch zum Halten zwingt. In diesem Fall könnte der Lokführer versuchen, Lok und Waggons in Gefällerichtung weiterrollen zu lassen. Dazu müsste er die Zugbremsen mit Druckluft lösen. "Der ICE 3 verfügt nur über zwei relativ kleine Drucklufttanks. Bei einem Nothalt im neun Kilometer langen Fildertunnel würde der Druckluftvorrat wahrscheinlich nicht reichen, um bis in den Tiefbahnhof zu rollen", erklärt Böhmer. In den Tunnelröhren nach Unter- und Obertürkheim kämen antriebslose Züge aufgrund des Gefälleprofils am Tunneltiefpunkt unter dem Neckar zum Stehen.

"Nach den heute geltenden betrieblichen Regeln ist es nicht zulässig, dass ein stehender Zug bei unterbrochener Energiezufuhr weiterfährt", betont ein Sprecher des Stuttgart-21-Kommunikationsbüros. Der Zug sei entsprechend gebremst und damit in einem sicheren betrieblichen Zustand. "Das Brandschutzkonzept für die Tunnel sieht dann eine Evakuierung im Tunnel vor", unterstreicht der Sprecher.

Diese bleibt Zugpersonal und Passagieren wohl selbst überlassen. Denn die Rettungskräfte müssen erst abwarten, bis die Parallelröhre für den Zugverkehr gesperrt ist, bevor sie mit ihren Fahrzeugen hintereinander dort einfahren können. Im ungünstigen Fall sind sie mehrere Kilometer im Tunnel unterwegs, bevor sie den Brandherd genau orten und Ausrüstung sowie Löschmittel durch den Querstollen beibringen können. Auf Drängen der Stuttgarter Berufsfeuerwehr wird der neun Kilometer lange Fildertunnel zwar mit einer nassen Löschleitung bestückt, um zeitnah "Wasser marsch" zu haben. Im Fall eines Trafobrands ist Wasser aber das falsche Löschmittel – <link http: www.muenchen.de rathaus stadtverwaltung kreisverwaltungsreferat branddirektion-muenchen aktuelles juli landsberger-strasse.html external-link-new-window>die Münchner Feuerwehr löschte den aktuellen IC-Lokbrand mit Kohlendioxid. 

Die Feuerwehr muss auf den Notfallmanager warten

Brände an elektrischen Bauteilen stellen im Tunnel spezielle Herausforderungen, weil Flüchtende und Retter nicht mit ihnen in Berührung kommen dürfen. "Kondensatoren beispielsweise stehen unter Hochspannung", erläutert Lokführer Böhmer. Vor einem Löschangriff müssen sie zunächst geerdet werden, um Feuerwehrleute vor tödlichem Stromschlag zu bewahren. Üblicherweise müssen hierfür spezielle Erdungsschalter umgelegt werden, die nicht nur in der Lok, sondern bei ICE-Triebzügen über den gesamten Zug verteilt sind. "Es ist schwer vorstellbar, dass ein Triebfahrzeugführer in einer Stresssituation, wie sie ein Brand mit starker Rauchentwicklung im engen Tunnel bedeutet, alle Erdungsschalter korrekt bedient", sagt Böhmer. Im Brandfall muss die Feuerwehr warten, bis ein Notfallmanager der Bahn vor Ort ist und abgeklärt hat, ob Lokomotive und Zug vollständig geerdet sind. Und das kann bei einem Tunnelbrand wertvolle Zeit kosten.

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) verweist im Hinblick auf die Sicherheit der S-21-Tunnel auf europäische und nationale Spezifikationen, etwa die deutsche "Tunnelrichtlinie", die zu berücksichtigen seien. Darin würden Art und Umfang der baulichen und betrieblichen Sicherheitsmaßnahmen beschrieben, die nach dem Stand der Technik notwendig sind, um in Eisenbahntunneln die Selbstrettung der Reisenden und des Eisenbahnpersonals sowie den Einsatz der Rettungsdienste zu ermöglichen. Zudem hat die Deutsche Bahn AG konzerneigene Richtlinien zum Bau und Betrieb von Eisenbahntunneln sowie zum Notfallmanagement eingeführt. In den bereits planfestgestellten Abschnitten von Stuttgart 21 sei über das Brandschutzkonzept entschieden worden. Die Beschlüsse verpflichteten die Deutsche Bahn als Vorhabenträgerin, im weiteren Planungsverlauf eine fachtechnische Detailplanung vorzunehmen und sich mit den örtlichen Rettungskräften hierzu abzustimmen, so das EBA.

Mehr Klärungsbedarf sieht dagegen die Linke-Fraktion im Bundestag, die Anfang Juli eine <link http: dip21.bundestag.de dip21 btd external-link-new-window>Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Brandschutz bei Stuttgart 21 stellte.

Linke Leidig sieht eine Bankrotterklärung der Bundesregierung

Eine gemeinsam mit den Grünen im vergangenen Mai durchgesetzte Anhörung im Verkehrsausschuss hatte die Zweifel nicht ausräumen können. Eine Antwort der Bundesregierung auf den Fragenkatalog liegt seit Kurzem vor. "Die Bundesregierung gibt zum Brandschutz beim Großprojekt Stuttgart 21 eine Bankrotterklärung ab. Sie kann die gravierenden Mängel bei Entfluchtung und Entrauchung des Bahnhofsneubaus nicht entkräften", erklärt die verkehrspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Sabine Leidig. Der Großteil der Fragen bleibe in der Substanz unbeantwortet oder die Antworten seien sogar grob unrichtig, kritisiert Leidig.

So basierten die Evakuierungspläne des Bahnhofsneubaus auf Zügen, die den Bahnhof aufgrund seiner Steigungen gar nicht befahren können. Zudem wären bei der beabsichtigten Bahnhofskapazität anderthalbmal mehr Reisende als in den bisherigen Brandschutzszenarien zu evakuieren, wofür aber die Treppenkapazität nicht ausreiche. Auch fehle ein Nachweis für die funktionierende Entrauchung der Bahnhofshalle und ihres Dach, auf das die Flüchtenden geführt werden. "Entweder wird der Bahnhof für Hunderte Menschen im Brandfall zur Todesfalle, oder aber er kann die von ihm geforderte Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht erbringen. Schon deshalb muss der Bau sofort gestoppt werden", fordert Leidig.

Und jetzt beschäftigt Stuttgart 21 erneut die Justiz. Am 10. August ging eine Klage gegen die Baugenehmigung für den Tiefbahnhof beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein. Die Planfeststellung sei hinfällig, da die extreme Gleisneigung im neuen Bahnhof gegen alle Regeln der Technik verstoße und ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstelle, so der Kläger Sven Andersen, ein früherer Bahnmanager. Erst vor Kurzem hatte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken bestätigt, dass in Deutschland weitaus mehr Züge unbeabsichtigt wegrollen als bislang bekannt. Die meisten in Köln, wo die Neigung weit weniger steil ist als in Stuttgart geplant. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht prüft derzeit Andersens Klage auf Zulässigkeit.


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8 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 24.08.2015
    Antworten
    @Rolf Steiner
    "Wir" nicht, das Großkapital, (Wirtschaftsinteressen/Immobilienspekulation/Autoindustrie), deren Handlanger aus Regierungskreisen und die durch Meinungsmanipulation in Dämmerschlaf versetzte Bevölkerung schon.
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