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Wer links wählt, wird bestraft

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Die Griechen sollen für ihr "Oxi" büßen. Die Botschaft eines revanchelüsternen Parteienkartells lautet: Neue linke Protestbewegungen scheitern mangels Kompetenz, Linke sind einfach Loser. Unser Autor kritisiert auch das Tsipras-Bashing von Sigmar Gabriel.

Mit dem Referendum haben die Griechen ein klares Signal gesetzt: Schluss mit der endlosen ruinösen neoliberalen Sparideologie. Allen Drohungen und von außen geschürten Ängsten zum Trotz. Aber damit ist noch nichts gewonnen, denn der Kampf des regierenden Parteienkartells in der EU gegen den von Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangten Kurswechsel wird jetzt noch härter werden.

Die Mehrheit der politischen Funktionselite in Europa schäumt vor Wut und mit ihr die breite Front der Mainstream-Medien. Diese verstehen sich heute überwiegend als politische Akteure und Komplizen der Politik. Man hat dabei den Eindruck, dass Athen trotz einer auch von der griechischen Opposition unterstützten neuen Verhandlungsinitiative unbedingt aus dem Euro gedrängt werden soll. In zahlreichen Talkshows, Interviews und Sondersendungen dominiert ein rabiater Druck, "den Griechen" als Strafe für das Nein den Finanzhahn der EZB völlig abzudrehen. Ein Paradebeispiel ist der ARD-Korrespondent Wolf Dieter Krause in Brüssel, der, wie viele andere, nicht mehr nur berichtet, sondern in Nachrichtensendungen polemisiert und wie ein Derwisch in Diskussionsrunden gegen die griechische Regierung ausfällig wird. Dieser deformierte Journalismus ist sich einig: Die älteste Demokratie der Geschichte soll jetzt für ihr unbotmäßiges "Oxi" büßen!

Tsipras ist für das EU-Establishment ein knallrotes Tuch

Tsipras ist zwar für Millionen in Europa ein charismatischer Hoffnungsträger, aber für das Gros des politischen Establishments in der EU ein knallrotes Tuch einfach weil er in der Gremienmühle Europas nicht all das aufgegeben hat, was er vor den Wahlen versprochen hatte: eine andere Politik! Diese Ungeheuerlichkeit, an einer anderen Politik festzuhalten und nicht, wie alle Vorgängerregierungen, nach den Wahlen geschmeidig einzuknicken, war die Hauptursache für die aggressive politische und mediale Hetzjagd. Die Jagd auf einen manchmal auch ungeschickten Idealisten, der sich die provozierende "Naivität" eines politischen Traums bewahrt hat. Wer in dem europäischen Machtkartell wäre eigentlich bereit, sein Amt aus Loyalität zu seiner politischen Botschaft durch einen ergebnisoffenen Volksentscheid nur sechs Monate nach erfolgreichen Parlamentswahlen zur Disposition zu stellen? Das ist der psychologische Hintergrund des unglaublichen Furors gegen das griechische Referendum.

Wenn jetzt Chaos und noch größere Not von revanchelüsternen Syriza-Gegnern ganz offen herbeigeredet wird, dann ist das nicht nur unüberlegte Emotionalität, sondern strategisches Kalkül. Die rasende Wut über den "David" Tsipras, der den Austeritätskurs der Europa-Queen Angela Merkel durchkreuzt, ist das eine, die Furcht vor der Ansteckung mit dem griechischen Virus das andere: Ein Verhandlungserfolg von Tsipras etwa ein Schuldenschnitt und ein Stimmungsaufschwung in Griechenland könnte bei den anstehenden Wahlen in Spanien im Herbst dazu führen, dass Mariano Rajoy, der Lieblingseleve von Merkel, durch den jungen Pablo Iglesias von der Protestbewegung Podemos aus dem Sattel gehoben wird.

Die Botschaft des etablierten Parteienkartells in Europa ist deshalb klar: Wer die neuen linken Protestbewegungen in Südeuropa wie Syriza oder Podemos wählt, wird durch noch größere ökonomische und soziale Rückschläge bestraft. Iglesias wird wie Tsipras im Drahtverhau der EU-Institutionen durch den Widerstand der "ewigen" Koalition aus Konservativen, Christdemokraten, Sozialdemokraten und oft auch Liberalen stecken bleiben. Denn in Wahrheit geht es in der EU um einen zähen Abwehrkampf der neoliberalen Ideologie gegen neue linke Bewegungen wie in Griechenland, Spanien und Portugal, sprich um den Machterhalt des traditionellen europäischen Parteienkartells.

Linke Strömungen sollen im Verhandlungsmarathon scheitern

Deshalb muss am Beispiel Griechenlands symbolhaft deutlich gemacht werden, dass die neuen linken Strömungen in der EU nicht nur konzeptionell unfähig, sondern auch machtpolitisch isoliert sind. Zusätzlich soll vermittelt werden, dass hier idealistische Charismatiker mit ihren Visionen von mehr sozialer Gerechtigkeit die Prozesse professioneller Regierungskunst nicht beherrschen und in ihrem Dilettantismus mit einer falschen "politischen DNA" einfach scheitern müssen. Der monatelange Verhandlungsmarathon in der Eurogruppe über eine zusätzliche griechische Finanzhilfe von 7,2 Milliarden Euro war nichts anderes als eine dramaturgisch raffiniert genutzte Bühne, um eine einfache Botschaft zu vermitteln: Linke sind Loser.

An der Spitze Deutschland, die europäische Führungsmacht, mit dem routinierten und sarkastischen Wolfgang Schäuble vorneweg und den folgsamen Mitgliedstaaten hinterher. Sie setzten Athen durch eine ständige Erpressung in der Eurogruppe unter Druck: Entweder ihr setzt unter Bruch eures Wahlprogramms einen nachweislich prozyklischen Rezessionskurs mit uns gemeinsam fort und bekommt Hilfszahlungen, oder ihr seid nicht mehr dabei und geht bankrott. Eine offen perfide Erpressung.

Tsipras und sein (inzwischen zurückgetretener) Finanzminister Yannis Varoufakis versuchten, durch ihre wachstumsorientierte Konsolidierungsstrategie aus dieser Schlinge einer verstärkten Rezession und politischen Unglaubwürdigkeit zu schlüpfen, und konnten deshalb zahlreiche verlangte sogenannte Reformen nicht akzeptieren. Dafür wurden sie wie verstockte oder trotzige Halbstarke behandelt, die einfach nicht die geforderte Reformliste liefern, die im EU-Sprech als "Gegenleistung" geliefert werden muss, bevor Geld fließt. Diese Strategie der Erpressung mit einem nicht hinterfragten, deformierten Reformbegriff ging voll auf: Die zwei griechischen "Spitzbuben" lieferten trotz angeblich größter Geduld und guten Zuredens, insbesondere der bekanntlich immer gutwilligen Angela Merkel, nicht die gewünschte Liste und wurden deshalb kollektiv in der europäischen Presse verrissen.

In Wahrheit kappte die Kanzlerin auch die letzten Vermittlungsversuche der EU-Kommission und des französischen Staatspräsidenten François Hollande. Tsipras und Varoufakis hätten in dieser zugespitzten Situation fast das gesamte letzte Angebot der Geldgeber allerdings nur unter der Prämisse einer verbindlichen Perspektive für einen Schuldenschnitt geschluckt. Dieser allerletzte Einigungsversuch wurde von der Bundesregierung wieder als Wackelkurs und Unzuverlässigkeit verhöhnt, und Tsipras musste die Verzweiflungsaktion, ein Ja im Referendum doch noch empfehlen zu können, abbrechen.

An der Spitze einer grotesken Kampagne: Sigmar Gabriel

Dazu kam eine groteske deutsche Kampagne in Politik und Medien, die Tsipras unterstellten, niemals ernsthaft verhandeln zu wollen. Das Referendum mit einem Nein sei sein politisches Ziel gewesen. An der Spitze der Bewegung der sozialdemokratische Vizekanzler Sigmar Gabriel, der sich zu dem Vorwurf hinreißen ließ, man könne den Deutschen nicht die Finanzierung der unseriösen Wahlversprechen einer kommunistisch beeinflussten Syriza zumuten. Im Bemühen, auch noch die Hardliner der Union zu übertreffen, warf er der griechischen Regierung vor, dass sie "politisch, man kann sagen, ideologisch eine andere Eurozone" wolle. Das hieße absurderweise, dass eine wirklich konsequent keynesianische Ausrichtung der Krisenpolitik in der Eurozone bereits eine politisch suspekte Systemveränderung ist. Sigmar Gabriel betonte zwar immer wieder, dass er das Votum des Referendums respektiere. Am Abend des Referendums aber krönte der SPD-Parteivorsitzende die wütenden Attacken der europäischen Führungsmacht Deutschland auf Tsipras mit der These, der griechische Ministerpräsident habe "alle Brücken abgebrochen" und sein Volk in eine Perspektive der "Hoffnungslosigkeit" geführt. Wenn diese Scharfmacherei nicht so traurig wäre, könnte man sich den burlesken Bezug nicht verkneifen, dass diese Hoffnungslosigkeit eher zu dem bundesweiten Umfragetrend der SPD passt.

Ganz anders dagegen das Gros renommierter US-Ökonomen: vorneweg der Nobelpreisträger Paul Krugman, der seit Jahren den von Berlin durchgesetzten Austeritätskurs in der Eurozone als kontraproduktiv analysiert. James Galbraith sagte sogar, beim Referendum mit Nein zu stimmen sei für Griechenland die einzige Chance, im Euro zu bleiben. Selbst David Kelly von J. P. Morgan, übrigens keine kommunistische Tarnorganisation, hält die gesamte Krisenpolitik Europas weitgehend für verfehlt. Und der renommierte Nobelpreisträger Josef Stiglitz warnt schon lange davor, dass der von Berlin durchgesetzte einseitige Sparkurs Griechenland und die ganze Eurozone destabilisiert.

Finanzminister Yannis Varoufakis wurde zum Buhmann, weil er nicht damit aufhörte, diese Kritik der US-Ökonomen in der Runde der makroökonomisch teilweise überforderten Kollegenschaft vorzutragen. Er wurde dort zur Unperson, weil Wolfgang Schäuble mit der gesamten Eurogruppe die schlichte Wahrheit nicht mehr hören wollte, dass Griechenland übrigens vom IWF längst belegt ohne Schuldenschnitt nie mehr wirtschaftlich und finanziell auf die Beine kommen würde und die mühselig zusammengestupfelten Hilfsprogramme nur kontraproduktive Selbstbeschäftigung sind, die die griechische Abwärtsspirale fortsetzen.

Die Griechen sind einfach undankbar

Aber warum funktioniert die Propaganda für den ruinösen Krisenkurs Berlins dennoch wie geschmiert? Der deutsche Publizist Georg Dietz hat zu Recht auf die psychologische Dimension des Bündnisses von politischem Establishment und Mainstream-Medien hingewiesen. Dieses Bündnis reduziert die Finanzkrise in Euroland auf die Fiktion, dass Merkel und Schäuble durch die Programme Griechenland bisher "gerettet" haben. Die Wahrheit aber ist, dass in Griechenland und anderswo primär die Banken gerettet wurden. Wenn einmal der Begriff "Rettungspaket" für Griechenland in der Debatte etabliert ist, werden automatisch die "Retter" mit edlen Motiven aktiv, während die "undankbaren" Empfänger des "Rettungspakets" die gütige Hand der geduldigen Spender ausschlagen.

Vorläufiges Fazit: Durch die Verluderung der politischen Debatte und hohle Parolen wie "Die müssen ihre Hausaufgaben machen" wird von der ökonomisch völlig berechtigten Kritik abgelenkt, dass der Berliner Brüning-Kurs in Griechenland die Wirtschaft weitgehend zerstört, die Verschuldung dramatisch erhöht und die Jugendarbeitslosigkeit auf 50 Prozent gesteigert hat. An diesen Fakten dürfte eigentlich auch ein Sigmar Gabriel nicht vorbeikommen.

 

Dieter Spöri war SPD-Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Er ist Ehrenpräsident der Europäischen Bewegung Deutschland, arbeitet heute als Publizist in Berlin und ist einer der Herausgeber des <link http: www.blog-der-republik.de _blank>Blogs der Republik.


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29 Kommentare verfügbar

  • invinoveritas
    am 20.08.2015
    Antworten
    Was die Geldgeber mit Griechenland veranstaltet haben, war nicht in Ordnung: unsozial, undemokratisch und obendrein auch ökonomisch weitgehend ineffizient. Trotzdem möchte ich den sage und schreibe über elfhundert Likern und allen anderen, die so begeistert waren von Dieter Spöris Auslassungen,…
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